Die (fast) vollständige Geschichte des Urban Art Forms
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Rudis Brille

Die (fast) vollständige Geschichte des Urban Art Forms

Das Urban Art Forms war Österreichs wichtigstes und größtes Elektronikfestival. Unser Kolumnist Rudi Wrany hat die beiden Gründer getroffen und uns eine Geschichte über Höhen, Tiefen, verschwundene DJs und übers Loslassen mitgebracht.

Österreich und elektronische Musikfestivals – das passt nicht immer zusammen. Einerseits spielte bei manchen Versuchen in der Vergangenheit das Wetter des Alpenlandes nicht mit, andererseits ist es in einem so kleinen Land nicht so einfach, eine Marke zu etablieren. Graz zeigt seit fast zwei Jahrzehnten vor, wie es gehen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Das marode Springfestival wurde wieder aufgepäppelt und das Elevate im Herbst folgt vielen neuen musikalischen Strömungen abseits abgetrampelter Pfade.

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Urban Art Forms, 2006

In Wien gibt es zwar wieder einige neue Marken, die meisten sind aber auf Subventionen angewiesen und pendeln zwischen hohem künstlerischen Anspruch (Hyperreality) und freiem Eintritt (Electric Spring). Eine Festivalbrand, die es langfristig hätte schaffen können und die bereits auf dem besten Weg in die Ruhmeshalle war, sich aber schon seit geraumer Zeit (2015) wieder unauffällig verabschiedet hat, ist das Urban Art Forms Festival.

Wer kann sich nicht an die durchtanzten Nächte in Wiesen erinnern, jenem unauffällig entspannten Ort im Mittelburgenland, der über zwei Jahrzehnte der Nabel des österreichischen Festivalgeschehens war? Neben Jazz, Indie, Reggae und Rock war auch die elektronische Musik lange Bestandteil des dortigen Festivalkalenders. Mittlerweile liegt Wiesen im Dornröschenschlaf, Urban Art Forms ist Geschichte und die übrigen großen Festivalbrands sind weitergezogen. Rock und Indie waren ja hierzulande im Gegensatz zur Elektronik schon immer eine Macht im Festivalsektor.

Eine Retrospektive

Urban Art Forms ist eigentlich ein denglischer Begriff, der so gar nicht in der englischen Originalübersetzung für urbane Kunst existiert. Es hieße ja korrekterweise "urban arts", aber in den Anfangstagen wird daraus dieser Kunstbegriff, der suggerieren soll, dass Visuelles, Dekoratives und Elektronisches sehr gut ineinander fließen können.

Einer der Mitbegründer des UAF und das Gesicht nach außen ist Christian Lakatos. Heute blickt er entspannt auf diese bewegte Zeit zurück, er managt mittlerweile äußerst erfolgreich die Drum'n'Bass-Könige Camo & Krooked.

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Auf meinem Streifzug durch die Geschichte des Festivals treffe ich die beiden Gründer Christain Lakatos und seinen Kompagnon aus Jugendtagen Robert Stefan, auch bekannt als Body & Soul.

Christian Lakatos ist Anfang der Nullerjahre Geschäftsführer des Warehouse St. Pölten: Urban Art Forms war zuerst eine Radiosendung im Rahmen von Mixed Business. Robert veranstaltete eine Partyreihe namens Reload, in der die aufstrebende St. Pöltener Drum'n'Bass-Szene repräsentiert wurde. Stefan und Lakatos lebten damals noch gemeinsam in einer WG. Ursprünglich ist die Marke UAF das, was sie auch am Ende – als Nu Forms – war: Ein reines Drum'n'Bass-Event. Nachdem man sich mit St. Pöltener Soundsystemen (Cubus) fusionierte, wird auch Techno ein Teil des Kollektivs, das seine Partys meist im Warehouse in St. Pölten veranstaltete.

Lakatos sammelte in der Folge seine ersten Festivalerfahrungen als Personalchef vom Frequency und dem Nuke Festival. Seinem damaligen Chef – Harry Jenner (Musicnet/Skalar) – schlug er daraufhin vor, er solle doch auch über ein elektronisches Festival nachdenken. Jenner erwiderte in seiner, ihn stets verfolgenden Weisheit: "Interessiert ka Sau". Er sollte leicht daneben liegen.

Parallel dazu veranstaltet Lakatos seine VJ-Culture-Events im Museumsquartier, die die Idee, VJs mit DJs gleichzustellen, verfolgen. Das ist heute beinahe etwas bizarr, wenn man die Gagen der oberen 20 kennt. Franz Bogner, der Betreiber des Geländes in Wiesen, ist von den VJ-Culture-Events derart angetan, dass er Lakatos eine Zusammenarbeit anbietet. Kurz davor hat es bereits einen Split mit dem Hauptveranstalter Ewald Tatar gegeben, der Wiesen mit seinen Events verlassen hat.

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Panacea, UAF 2008

Wiesen gehört in dieser Zeit formal einer Subfirma der Bank Austria, die damals der große Player am österreichischen Musiksektor war, bis das Kartenhaus einstürzte und die Bank sich auf Nimmerwiedersehen aus diesem Business verabschiedete. 2005 veranstaltete Lakatos schließlich sein erstes UAF-Festival mit seiner eigenen Firma. Drei Hauptsäulen stützen das Festival: Das Visuelle, Drum'n'Bass und Techno. Für die visuelle Säule holte er sich das 4youreye-Visualisten-Team, um die Durchführung zu realisieren. Drum'n'Bass und die dazu gehörige Community deckten Lakatos und Stefan mit ihrem Know-How ab und für das Techno-Booking holte er sich auf Anraten von 4youreye-Mastermind Eva Bischof damals Eric Fischer. Als Mainacts fungierten DJ Hell und Miss Kittin. Es war anfangs ein finanziell hochriskantes Unternehmen, Freunde mussten aushelfen, um die ersten Kredite zu lukrieren – aber es gelang.

Lakatos erinnert sich noch mit Grauen an den Montag in der letzten Woche vor dem ersten Festival: "Damals waren 468 Tickets verkauft, doch bis zum Ende schaffte man 5000 Besucher pro Tag, weil auch das Wetter mitspielte." Das Festival hatte die offizielle Kapazität von 8000 Gästen, später konnte man noch aufstocken. Das UAF war in Wiesen 2007 bis 2010 an seinem Höhepunkt und einzigartig in Europa. Eine gekonnte Fusion aus Visual Arts und elektronischer Musik, die wiederum aufgeteilt war in Drum'n'Bass und unterschiedliche Spielarten der Elektronik – Techno, House und EDM.

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Seht hier unsere Doku zum Hyperreality Festival:


Hier wurden audiovisuelle Erlebnisse geschaffen, die ihresgleichen suchen. "2005 glaubte ich daran, dass VJs in zehn Jahren so gebucht werden wie die DJs", lautete das Credo von Lakatos in den Anfangstagen des UAF, deswegen wurde nicht an Leinwänden und aufwendigen Projektionen gespart. Doch die Entwicklung sollte in eine andere Richtung gehen. Jedenfalls erwies sich Wiesen für die Umsetzung des audiovisuellen Konzeptes als ein perfektes Pflaster, doch das Hauptproblem für die Expansionspläne war die Kapazität des Festivalgeländes. Als die Besucherzahlen von 2007 bis 2009 explodieren, wurde man dem Ansturm nicht mehr Herr.

UAF, 2008

Die Entwicklung der Besucherzahlen:

2005: 9.000
2006: 11.500
2007: 15.000
2008: 30.000
2009: 36.000
2010: 45.000
2011: 45.000
2012: 51.000
2013: 75.000
2014: 60.000

Das Festival 2014

Viele Leute fuhren nun einfach nach Wiesen zum Campinggelände und versuchten, mit Glück auf das Festivalgelände zu gelangen. Ab 2009 konnten erstmals täglich fünfstellige Besucherzahlen auf das Gelände, das aber durch die Erweiterungen etwas durchlässig wurde. So konnte nicht mehr alles kontrolliert werden. Für Lakatos selbst sind die Jahre 2007 und 2008 die letzten Jahre, in denen er selbst noch auf der Bühne zu Techno tanzt, danach verglüht seine Liebe zu den 4/4-Genres etwas.

Lakatos trennte sich in der Folge auch von seinen Bookern für den elektronischen Bereich – nicht ganz freiwillig, wie langjährige Animositäten zwischen ihm und Eric Fischer bewiesen. Aber ab und an passen Arbeitsweisen eben nicht zusammen. Unüberbrückbare Differenzen eben. Ihm folgte dann Philipp Straub mit seiner Titan Agency, auch hier ging in der Folge der Krug zum Brunnen, bis er brach.

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2009 kamen dann Acts wie Sven Väth, Dubfire und die Stammgäste Deichkind, die beinahe jedes Jahr für eine großartige Performance sorgten. Kraftwerk kamen auch und dazu die Kälte im August. Das Festival fand ja nie an genau demselben Termin statt, man stand im Mantel auf der Bühne und viele auf den Campingplätzen froren. Man musste sich eine neue Venue suchen, es ging nicht mehr "mehr" in Wiesen.

Mit Slangkaiser (nur Geübte verstehen seinen Dialekt) und Geländebetreiber Franz Bogner ist das Veranstalten offenkundig nicht immer einfach. Zwar steht er vielen Dingen offen gegenüber, doch muss alles nach seinem Kopf geschehen. Die vielen Partnerwechsel zeigen, dass hier ständig mehrere Welten aufeinanderprallen.

Die Mainstage, 2008

2009 schließt sich Lakatos mit dem UAF der Barracuda Gruppe (Novarock, Frequency) an. Als er ab 2014 dann nach seinem Abschied von Barracuda mit der Arcadia Agency zusammenarbeitete, um in den letzten beiden Jahren noch das Nu Forms als reines Drum'n'Bass-Festival in Wiesen zu situieren, hielt sich die Begeisterung bei seinen vormaligen Partnern in überschaubaren Grenzen. Doch die Selbstreflexion hielt sich in ebensolchen, denn Barracuda darf man den Vorwurf nicht ganz ersparen, in den Anfangsjahren kein Gespür für elektronische Musik gehabt zu haben.

Sein damaliger Partner aus den Anfangstagen im Warehouse, Norbert Bauer, war ebenfalls nicht ganz glücklich mit dem Alleingang von Lakatos. Eigentlich hatte er Lakatos versprochen, kein eigenes Elektronikfestival zu veranstalten. Dennoch rief er 2008 das Beatpatrol ins Leben und vertrat die Meinung, sein Festival sei ein "Alternative-Indie-Festival". Mittlerweile ist auch hier längst die Friedenspfeife geraucht.

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Für viele unvergessen bleiben die unzähligen Anekdoten aus dem Backstage von Wiesen, dem süßen, kleinen Sündenbahnhof. In den alten Abteilen des umgebauten Zuges hatten die DJs und Acts ihre kleine Privatsphäre, die oft intensiv und exzessiv genutzt wurde, sei es für amouröse Abenteuer oder für ausgelassene Privatpartys. So mancher Act verließ das Abteil von Helfern gestützt – wie etwa Sven Väth – oder zumindest erstaunt, weil man so manche Fans tief gebeugt in den Schoß der DJs versinken sah. Die weiblichen Stars wie Miss Kittin oder Monika Kruse benahmen sich da meist besser, habe ich mir sagen lassen.


Unsere Doku über die österreichischen Helden des D'n'B – Camo & Crooked:


Es gibt Schenkelklopfer und Flüsterstorys. Vielen sah man die Feierei an, einigen nicht. Sven Väth sei hier noch einmal als glorreiches Vorbild genannt, als er wohl nur mehr körperlich anwesend aufgelegt hatte. Selbstverständlich hatte in Wiesen auch die Kripo ihren Überwachungsauftrag. Zumeist, um Dealer hoch zu nehmen, der Backstage blieb aber unangetastet. Die Polizei erfüllte ihre Funktion im Burgenland zumeist auf sanfte Weise, selbst groß angelegte Planquadrate waren üblicherweise die Seltenheit. Das beruhte auf einer Art Gentlemen Agreement zwischen Geländebetreiber Bogner und der Polizei, denn durchgängige, harte Kontrollen hätten dem Festival wohl seine Unbeschwertheit genommen.

Selbstverständlich gab es aber auch in Wiesen jede Menge Aufgriffe – dezente, denn selbst mir fiel als Dauergast nie etwas auf. Beim UAF wurden aufgrund der Langjährigkeit des Festivals die Zahlen der Aufgriffe nie an die Landespressestelle weitergeleitet, wie das etwa beim Rave on Snow oder dem (mittlerweile verblichenen) Paradise Festival der Fall war. Somit hat der Boulevard auch nie Schlagzeilen und alles bleibt entspannt. Eine Art Umweg-Rentabilität.

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Das Kernpublikum machten auf der Technostage Besucher aus Wien und Umgebung aus, beim Drum'n'Bass war aber der Anteil der Fans aus den Bundesländern und dem Ausland weit höher. In den letzten Jahren blieben die Leute dann auch am Gelände, um zu campen. In den ersten beiden Jahren galt für die meisten aber wohl noch die Mutprobe: "Druff runter, zua rauf" – heute viel zu riskant und aufgrund der strengen Kontrollen unmöglich.

Da es im ganzen Burgenland damals keine 5-Sterne-Hotels gab, schliefen die damals schon teuren Technogötter alle in Wien, was natürlich gewaltiger Logistik bedurfte. Die kleineren Acts und fast alle Drum'n'Bass-DJs hingegen waren mit den Hotels in Mattersburg und Umgebung zufrieden. Gefeiert wurde sowieso am Gelände. In den ersten Jahren verteilten Lakatos und seine Crew unfassbare 600.000 Flyer pro Festival – vor allem auch in der Slowakei und Ungarn. Die Drum'n'Bass-Community kam aus ganz Europa angereist, für Techno und Artverwandtes gelang es, Gäste aus Deutschland und Italien für die Reise ins Burgenland zu begeistern. Lakatos sah die Internationalität des Festivals auch hauptsächlich durch die Drum'n'Bass-Stage gegeben, deren Feierwut nicht zu bremsen war.

"Ein anderer DJ verschwand mit den Worten 'Sie sind da' in den Wald und musste gesucht werden – auch er wurde gefunden."

Während letztere in einem befestigten Gebäude – die Sperrstunde betreffend – wie ein Club behandelt wurde – also non stop –, galt für die Mainstage das Freiluftgesetz und damit ist um 4 Uhr Sperrstunde. Alle drängten sich daraufhin in den kleinen Backstagebereich und feierten dort noch bis in die frühen Nachmittagsstunden. Bei Finsternis mit der niedrigen Decke war die ansonsten hässliche Bierbaracke genau das Richtige.

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Und wieder erinnert man sich an unzählige Anekdoten über vermisste Artists nach der Afterhour: Legendär bleibt der Auftritt eines sehr bekannten deutschen DJs: Nachdem er zwei Tage abgängig war, seine Folge-Gigs gecancellt hat und seine Sachen im Hotelzimmer noch unberührt waren, am Sonntag bei Festivalschluss auftauchte und breit grinsend meinte: "Das war ja mal ne Party." Über die Zeit dazwischen kann nur gemutmaßt werden. Ein anderer bekannter DJ verschwand mit den Worten "Sie sind da", in den Wald und musste gesucht werden – auch er wurde gefunden.

"2010 dann die Wende: Stichwort David Guetta und der Aufschrei der Szene."

Um die Projekte noch größer werden zu lassen und auch aus wirtschaftlichen Gründen, erfolgte 2009 die oben erwähnte Fusion. 2010 dann die Wende: Stichwort David Guetta und der Aufschrei der Szene. Die Erklärung von Stefan und Lakatos war einfach: Ein Jahr im Voraus wurde stets das LineUp für das nächste Jahr gebucht. David Guetta war Mitte 2009 (noch) ein DJ, der als großer massentauglicher, aber immer noch credibiler Act durchging. Dann plötzlich 2010 die vielen Hits, die das Satansgenre EDM mitbegründeten – es folgen die Ö3- und NRJ-Chartstürmer – der Name Guetta wird Programm, durchaus nicht nur positiv.

2011

"Ich hätte es wieder so gemacht", meint Lakatos heute, allerdings räumt er ein, dass er mit dem Shitstorm des coolen Technopublikums, das damals dem UAF seine Freundschaft kündigte, nicht ganz gerechnet hat: "Auch weil es lächerlich ist, da unser Leitspruch war, dass für jeden Musikgeschmack etwas dabei sein soll." 2010 bleibt für viele als das letzte Festival in Wiesen in Erinnerung, an dem niemand die Guetta-Show gesehen haben will, sie aber trotzdem randvoll war.

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2011 kam dann der Auszug aus Wiesen und für viele Fans der geistige Abschluss mit dem UAF. Die neue Location, die Arena Nova, hatte den Charme eines Militärflugplatzes auf Kamtschatka. Dennoch – das kann man anerkennen – gab es dort in diesem Jahr das vielleicht credibilste LineUp aller UAF-Ausgaben: Ricardo Villalobos, Carl Craig, Deadmau5 und Paul Kalkbrenner am Höhepunkt seines Ruhms konnten aber die Massen nur bedingt begeistern. Am Technofloor herrschte phasenweise Grabes-Stimmung.

Foto: Thomas Unterberger

Die Techno-Fraktion hatte das Sakrileg des Guetta-Bookings nicht verziehen: "Wir wussten 2010 schon, dass es in Wiesen mit der Kapazität nicht mehr weitergehen kann. Wir haben etwas Neues gesucht, doch die Verträge mit der Location am Schwarzlsee waren noch nicht fertig" meint Lakatos heute. Daher musste man ausweichen, ins uncharmanteste Gelände des erweiterten Speckgürtels. Erneut feierten nur die Drum'n'Bass-Fans ohne zu pausieren, der Rest blieb etwas fragend und unsicher zurück.

Doch so viele Festival-Venues, auf denen über 20.000 Besucher Platz haben, gibt es nicht. Hier half die Erfahrung des neuen Partners Ewald Tatar mit dessen Aerodrom-Festival. Allerdings war der Auszug aus dem "strawberry fields" Wiesen in die Betonwüste rückblickend auch für die UAF-Masterminds keine gute Idee – auch wenn es offenbar keine andere Wahl gab. "In Wiesen gab es schon sehr viele Anrainerbeschwerden, ein Anrainer kam sogar mit einem 365-Tage-Blutdruckprotokoll, um zu beweisen, wie sehr ihm das Festival an das Herz geht, zu den Behörden. Angebote, den Anrainern mittels Thermen-Aufenthalt das Auge zuzudrücken, mündeten in Bestechungsvorwürfe," wird erzählt und mit ein bisschen Stolz fügt Lakatos hinzu: "Am Ende war ich wohl der meist gehasste Mann in Wiesen, weil wir so lange so laut sein durften."

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Foto: Thomas Unterberger

Von Wiener Neustadt blieb am Ende eine tote Cobra beim Zusammenräumen und die Erdproben, weil unter dem Gelände noch viele Weltkriegsbomben liegen. Das nahe Flugfeld Spitzerberg wäre das eigentliche Traumgelände gewesen, doch dort lebt eine seltene Ziesel-Art, die durch die Bass-Erschütterungen in Mitleidenschaft gezogen wird – somit erneute Fehlanzeige für die perfekte Location.

Man muss wissen: Seit 2008 zogen Lakatos und seine Scouts durch Österreich, um Gelände zu evaluieren und in der Folge ein neues Gelände zu scouten. Man fuhr an Seen, auf Berge, in Täler, man wurde nicht fündig. 2012 bis 2014 folgten dann die drei Jahre am Schwarzlsee bei Graz, 2013 der absolute Besucherrekord. Doch es kam zu einem Publikumsaustausch. Das coole Techno-Publikum gab es nicht mehr, stattdessen Acts für die Masse: Justice, Steve Aoki, Skrillex.

2012

Während Techno 2012 noch eine große Stage bekam, driftete das LineUp 2013 in Richtung Bass, Elektro und EDM. Techno gab es nur noch tagsüber auf einem Nebenschauplatz. Drum'n'Bass dominierte die Nacht. Doch auch am Schwarzlsee gab es Probleme. Der Betreiber Klaus Leutgeb und seine Entertainment-Group (es findet dort auch das Lake Festival als fast reines EDM-Festival statt) waren keine einfachen Partner, seine Liebe galt dem Mammon und dem Kommerz. Und auch die Exekutive war in der Steiermark eher auf Krawall gebürstet.

2013 stürmte die Polizei in Kampfmontur über den Campingplatz und zeigte, dass die Steiermark kein Gentlemen Agreement à la Wiesen kennt. Schließlich scheiterte das Experiment Schwarzlsee aber deswegen, weil die Behörden keinen Willen zeigten, das Event zur Institution werden zu lassen. Drei Anrufe wegen Lärm reichten dort schon, um den Bürgermeister nervös werden zu lassen.

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Wiesen, 2015

2015 dann noch ein – rückblickend bewertet verzweifelter – Versuch, das Ruder herrumzureißen. Eine letzte Rückkehr nach Wiesen mit dem UAF – wieder mit einem amtlichen LineUp, doch ohne Unterstützung des Wiener (Techno-)Publikums und mit äußerst flauem Besuch. Nach Differenzen mit seinem Barracuda-Partner über die Umsetzung – vor allem in visueller Hinsicht – wusste Lakatos bereits am ersten Tag des UAF 2015, dass dies sein letztes in dieser Form sein sollte. Aber Wiesen war nicht mehr das Wiesen aus den Anfangstagen, als Besucher kann man das nur unterschreiben. Lieblose und halbleere Stages trotz Sven Väth, Matador, Extrawelt und Die Antwoord. Ausnahme wie immer: Die Drum'n'Bass-Bass Bühne. Warum ist das so?

"EDM vereint Leute nur mehr durch Konsumation und Lärm. Das ist nicht das, was man sich erwartet hat, wenn man sich so lange mit elektronischer Musik beschäftigt."

"Techno hat sich durch die vielen Streitereien intern in Österreich selbst zerstört und Raum für Neues eröffnet, während das in Deutschland nicht der Fall war," erklären Lakatos und Robert schließlich das Phänomen Drum'n'Bass in Österreich. Etwas simpel, denn man könnte auch wissend behaupten, dass die Techno-Community die Entwicklung der letzten drei Jahre (bis 2014) nicht goutierte, aber Meinungen sind verschieden. "Hätte ich gewusst, was EDM einmal sein wird und wohin es sich über das Genre Elektro hinaus entwickelt, dann hätte ich irgendwo eine Grenze gesetzt," so Lakatos heute.

Foto: Thomas Unterberger

"EDM vereint Leute nur mehr durch Konsumation und Lärm. Das ist nicht das, was man sich erwartet hat, wenn man sich so lange mit elektronischer Musik beschäftigt." Danach überließ Lakatos die Brand UAF der Firma Barracuda und wandte sich seinem Herzensprojekt Nu Forms zu, welches er mit der Arcadia als reines Bass-Festival umsetzte. Barracuda verließ Wiesen 2015 unter Gepolter, viele Medien berichteten, 2017 schließlich brach auch Arcadia mit der Familie Bogner. Damit endete auch der Festivaltraum im Burgenland für Lakatos und Stefan. Ohne einen starken Partner hätten sie zu viel Zeit in das Festival investieren müssen. Lakatos will sich ausschließlich seiner Managementtätigkeit für Camo & Krooked zuwenden. Die Herzensangelegenheit Nu Forms als Nachfolge des UAF ist somit 2017 ebenfalls Geschichte.

Was bleibt, sind provokante Fragen: Ist das UAF am Ende gescheitert? Darüber entspinnen sich heftige Debatten: Nein, die Mission sei bloß erfüllt! Man kann es nicht ewig machen. Vergleiche mit dem ADE (Amsterdam Dance Event) seien nicht zulässig, weil dies ein finanziertes Conference Festival sei. Vergleiche mit Holland und Belgien ebenso wenig, weil dort viel größere Ballungsräume vorhanden sind. Der Techno-Part des UAF sei eben nicht mehr gewachsen, weil sich die Szene in Österreich nur am Scheitern der anderen erfreute. Während im Drum'n'Bass quasi Nationalhelden wie (wer sonst) Camo & Krooked die Szene haben wachsen lassen. Lakatos weist darauf hin, dass er die Drum'n'Bass-Szene Mitte der Nullerjahre geeint habe, Datums-Hoheiten geschaffen wurden und so die Szene eine Zeit lang nicht gegeneinander, sondern miteinander gearbeitet hat. Heute – nach seiner letzten Veranstaltung (Future Beatz im Flex) – drifte dies wieder auseinander. Mit all den negativen Konsequenzen.

Foto: Thomas Unterberger

Man darf den Machern des UAF jedoch attestieren, hauptverantwortlich dafür zu sein, dass Österreich (immer noch) einer der größten Drum’n’Bass-Märkte ist. Und die Konkurrenz? Dass das Springfestival in Graz und das UAF quasi hintereinander stattgefunden haben, wird der Sturheit des Gegners zugeordnet. Beatpatrol versinkt einige Jahre in sintflutartigen Regenfällen und ordnet sich alsbald Richtung Großraumsound ein. Man will sich aber natürlich am Höhepunkt die Acts gegenseitig wegbuchen und schadet so nur der Gesamtsituation. Dass es – gerade in Österreich – einige wenige gierige "Vermittler" und "Booker" gäbe, die nur an den eigenen Säckel denken, tue das übrige.

Sprung ins Jetzt: Sehen die Herren noch Zukunft für ein elektronisches Festival in Österreich im Format eines UAF? Die Zeit habe sich geändert, das Publikum aus Österreich ziehe ausländische Festivals vor. Es sei nicht mehr schick, zwei Tage raven zu gehen. Da lieber auf einen Koma-Urlaub nach Kroatien. Auch sehe man genehmigungs- und behördentechnisch kein Licht mehr am Ende des Tunnels.

Gibt es für Lakatos und Stefan noch eine Rückkehr auf die Partybühne? Geplant ist nichts. "Damals waren wir noch in der Zeit im Bild, das war Kultur," sinniert Lakatos. Das sei heute nicht mehr schaffbar. Nun ja, meint der Schreiber, man hätte vielleicht nicht so schnell wachsen müssen, um dann wieder schnell zu schrumpfen. Aber die Erinnerungen bleiben.

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