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Noisey Blog

Deutschland schafft sich ab—Frequency, Tag 3

Der letzte Tag brachte vor allem eine Sache: Kendrick Lamar.

Alle Fotos: Christopher Glanzl

Der dritte Festival-Tag gilt international als der Tag, an dem eh schon alle durch sind. Man begrüßt sich im Normalfall stöhnend und führt Gespräche über das fortgeschrittene Alter. Am Samstag war das beim Frequency ein bisschen anders. Primär weil wirklich viele Leute nur für diesen Tag—genauer: nur für Kendrick Lamar—angereist sind. Ja, Kendrick war das alles bestimmende Thema an diesem Tag. Und das völlig zu Recht. Aber der Reihe nach.

Der Tag beginnt für den Autoren mit einem kurzen Abstecher zu Eskimo Callboy, um der Frage nachzugehen, ob sich Deutschland mit solchen Bands wirklich abschafft. Ja, tut es. Eskimo Callboy ist eine Metalcore-Kapelle, die nicht unbedingt für ihre feministischen Lyrics bekannt ist, was die Teenagerinnen vor der Bühne allerdings nicht stört. Das einzig Gute an dem Auftritt: Der Drummer lässt nach jedem Kalauer, den einer der beiden Sänger loslässt, die Double-Bassdrum rotieren. Ja, genau: eine Metal-Core-Joke-Drum. Dafür gibt es Respekt.

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Danach spielt auf der Main Stage Alligatoah. Es ist nicht einfach, etwas zu diesem Auftritt zu sagen. Der deutsche Fun-Rapper hat ein wirklich seltsames Bühnenbild gewählt: Er selbst als verstorbener römischer Kriegsherr, der auf einem Streitwagen durch den Himmel fährt und von einer Band aus Terroristen mit Engelsflügeln begleitet wird. Es ist irgendwie komisch. Die Bühnenansagen sind relativ unter aller Sau („Sind Jungfrauen heute Abend hier?“; „Wer von euch hat schon einem mit einem Klarinettisten geschlafen? Ihr sollet es tun, die sind mündlich sehr gut!“), die Musik gaga. Die 15jährigen vor der Bühne rasten komplett aus, nicht nur bei Hits wie „Willst du“. Die älteren Semester und die Journalisten rollen nur mit den Augen und murmeln etwas von Mario Barth-Musik. Es ist tatsächlich schwierig. Ich glaub eh, dass sich Alligatoah als Schauspielrapper versteht, überzeichnen und dabei ein Theater veranstalten will, das auf mehreren Ebenen funktioniert. Das Problem ist: Das klappt nicht. Anders als bei K.I.Z., wo man auch bei Songs wie „Spast“ nie das Gefühl hat, einem Wettbewerb in Stupidität beizuwohnen, funktionieren die Alligatoah-Tracks nur auf der Schenkelklopfer-Ebene. Der Grat zwischen lustiger Überzeichnung und dem eher unlustigen Fettnäpfen ist ein schmaler, und der Rapper tritt häufiger daneben.

Die Menschen vertreiben sich die Zeit danach entweder mit dem gepflegten Agentur-Afterwork-Sound von Fritz Kalkbrenner oder mit TV On The Radio, die ziemlich super, aber an dem Tag leider ein bisschen deplatziert sind und dementsprechend auch vor knapp 300 Leuten spielen. Ein bisschen schade. Aber man vergisst das schnell, weil ja jetzt die Kendrick-Festspiele beginnen. Die Menge vor der Main Stage ist beachtlich. Der aktuelle Kronprinz des HipHop betritt die Bühne und reisst ernsthaft alles ab. Das ist das beste Konzert, das ich heuer gesehen habe, und das beste HipHop-Konzert seit langem. Da passt einfach alles: Die Band spielt großartig, Kendrick rappt druckvoll, die Visuals (die an das Artwork seines aktuellen Über-Albums To Pimp A Butterfly angelehnt sind) unterstützen die Show, ohne von ihr abzulenken. Das Publikum geht nicht ganz, aber insgesamt ordentlich mit. Dass Kendricks Behauptung, im Publikum wären viele Leute, die ihn „since day one“ unterstützen, vermutlich Blödsinn ist—wurscht. Das ist keine Musik, die nur Rap-Heads vorbehalten bleiben muss, sondern allgemein verständlicher Stadion-HipHop. Und das meine ich völlig positiv. Kendrick Lamar macht an diesem Abend im Kontext des Frequencys viel mehr Sinn, als ich es mir im Vorfeld hätte vorstellen können. Der Rapper verabschiedet die Menschen mit einem Freestyle und lässt alle glücklich zurück.

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Dasselbe kann man leider nicht über Linkin Park behaupten. Ich hab grundsätzlich nichts dagegen, Bands zu buchen, die ihren Zenith überschritten haben—das hat ja auch an dem Wochenende mit The Prodigy schon sehr gut, mit den Chemical Brothers zumindest annehmbar funktioniert. Aber Linkin Park sind wirklich eine Frechheit. Die Rap-Parts wären für sich genommen bereits schlecht, direkt hinter Kendrick Lamar sind sie einfach nur grauenhaft. Es ist alles sehr emotional, der Sänger wird oft auf die Leinwand projiziert, wie er mit geschlossenen Augen darüber singt, dass er jetzt irgendwie blind, taub und/oder gefühllos ist. Die Band spielt relativ lange, was die Fans freut, die Horde an Geschmacksnazis aber zu immer ausschweifenderen Witzen unterschiedlicher Qualität anspornt. Ich hör ja schon auf. Es mag sicher Menschen geben, denen Linkin Park gefallen hat. Für mich und viele andere war das leider der schlechteste Headliner, den ich seit langem auf einem Festival gesehen habe.

Aber wurscht, es kann ja nicht allen alles gefallen. Wie war sie denn jetzt, die 15. Ausgabe des Frequency? Insgesamt schon sehr gelungen. Jetzt heißt es erstmal schlafen. Weitere Berichte folgen dann morgen.

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