FYI.

This story is over 5 years old.

Reviews

Musikreviews der Woche mit Freddie Gibbs And Madlib, Neneh Cherry, Mantar und mehr

Dreckiges Rock-’n’-Roll-Riffing, zuckergussklebrige Hooks und schwule Lyrik für Wurmloch-Racer auf seltsamer Pilz-Gras-Mischung—unsere Reviews.

FREDDIE GIBBS AND MADLIB
Piñata
Madlib Invazion

Das übliche Rap-Alben-Problem wird auch von Freddie Gibs und Madlib konsequent bedient: Auf einen Langspieler gehört musikalisch so viel wie irgend möglich draufgepackt. Gut, im Fall von Madlib und Freddie Gibbs ist ein Album eh seit Jahren überfällig, insofern sei ihnen der 17 Tracks dauernde Spaß auch gegönnt. Crate Digger aber weinen, sie haben einen Teil in Form der vorangegangenen EPs und Singles sowieso schon im Regal stehen. Musikalisch ist die titelgebende Pappmacheefigur kein schlechtes Bild. Von allem etwas drin—auch das Zeug, das dir echt nicht schmeckt: karamellgetränkte Beats, saure Drops, zähflüssige Raps, zuckergussklebrige Hooks und dann noch Features mit Danny Brown, Raekwon, Scarface, Earl Sweatshirt und Big Time Watts. Wie bei einer echten Piñata muss man nur lange genug draufschlagen, um alles rauszuholen—glühende Kinderaugen sind dann garantiert.
FRED LIB

Anzeige

HUNDREDS
Aftermath
Sinnbus

Wenn ein zweites Album im Prinzip klingt wie das erste, man aber heraushört, dass die Beteiligten alles daran nur noch viel richtiger machen wollten als beim ersten Mal—kommt da meistens etwas Glattgefeiltes und latent Ödes raus: Aftermath ist zwar mindestens so zart und filigran und feinfühlig wie das Debüt, aber halt ein paar Millionen Prozent weniger überraschend und dafür ein paar Millionen Prozent mehr gewollt. In Fachkreisen manchmal auch „Polarkreis-18-Phänomen“ genannt. Das kann man doof finden und darauf warten, dass demnächst ein Auftritt bei Schlag den Raab angekündigt wird—oder alternativ beim Hören einfach ignorieren und den Sound für „nett“ halten. Mehr aber leider auch nicht, in beiden Richtungen.
HUND VON ERTE

NENEH CHERRY
Blank Project
Smalltown Supersound/Rough Trade

Die Popkultur ist nicht gerade ein idealer Ort, um in Würde zu altern. Trotzdem steigt die Zahl der Künstler, die glauben, nach über 25 Jahren im Geschäft ein automatisches Anrecht auf die öffentliche Inszenierung ihres fortschreitenden Verfalls erworben zu haben, quasi täglich. Sogar Batman hat es ja zuletzt kaum noch ohne Krücken aus dem Haus geschafft und trotzdem einen neuen Film gedreht. Wie gut für Neneh Cherry, dass sie in ihrer Kindheit öfter auf Miles Davis’ Schoß sitzen durfte und so schon früh einen direkten Draht zur obersten Instanz in Sachen maximal stilvoller Vergreisung aufbauen konnte. Was auch immer der große Miles der kleinen Neneh damals ins Ohr geflüstert hat: Ihr von Four Tet produziertes Comeback-Album bewegt sich so mühelos auf Höhe der Zeit, dass Madonnas Psychiaterteam in nächster Zeit vermutlich ein paar Überstunden einlegen darf.
DAT CULO

Anzeige

BAND OF HORSES
Acoustic At The Ryman
Kobalt

Weil sie ihre letzten Studioalben etwas ungelenk nur zwischen „egal“ bis „ärgerlich“ eingeparkt haben, kurbeln Band Of Horses hier noch mal hektisch zurück in die Zukunft—ein Akustik-Live-Album als Rechtfertigung, völlig ungeniert die alten Schinken ein weiteres Mal in die Auslage zu packen. Sicher: Das kann man fast jedem Live-Album vorwerfen, was aber dieses eine hier nicht ehrlicher oder irgendwie besser machen würde. Das Ryman Auditorium musste herhalten für diese Trickserei—dieser historische Laden in Nashville, von dem man sich wohl erhoffte, dass allein schon der Name Aura durch die dünnen Aufnahmen weben würde. Während des blechern über zwei Abende aufgezeichneten Konzertes klingt der Saal dabei lediglich halb gefüllt (und auch das Cover kaschiert die Zuschauer in undurchdringlicher Schwärze). Und selbst wenn es ein paar mehr Leute gewesen sein sollten, ja, was … dann addieren die hier dennoch nur den gleichen Appeal wie eine Meute offensichtlich zusammengekaufter Facebook-Freunde.
CYRILL WARTS

FELIX KUBIN MIT MITCH & MITCH
Bakterien und Batterien
Lado ABC/Gagarin

Angetrieben und ausgefüllt von einer lustig-befreit aufspielenden polnischen Mini-Big-Band entwickeln sich Kubins sprunghaft fiependen DIY-Dramen aus dem Elektrobaukasten in Breitwand-Tragikomödien. Mehr als einmal erinnert ihr gemeinsames Treiben an das große Carl-Stalling-Orchester, das u. a. den Looney Tunes mit Raymond-Scott-Kompositionen einen würdigen musikalischen Rahmen gegeben hat. Eine modernere Referenz wären vielleicht Jim „Foetus“ Thirwells Arbeiten mit Stereo Maximus und sein Soundtrack zu der Cartoon Network-/Adult-Swim-Show The Venture Bros. So oder so, pünktlich zum Start des Disney-Channels in Deutschland empfiehlt sich Kubin mit diesem Album für Höheres.
KID KATZENJAMMER

Anzeige

THE HIDDEN CAMERAS
AGE
Evil Evil/Motor Music

Schluss mit „Gay Church Folk Music“, her mit Slide-Gitarre, Streichern und Synthesizern. Joel Gibb hat für das erste Hidden-Cameras-Album seit fünf Jahren gründlich durchgelüftet und den Grundton seiner Musik in Moll angesiedelt—sogar die Dub-Nummer „Afterparty“ ist in der Tonart angelegt. Sowieso: Dub bei The Hidden Cameras? Ist hier nach Arcade Fire ein Trend am entstehen? Zum Glück knallt direkt danach mit „Carpe Jugular“ eine stoisch pumpende Acid-Dance-Nummer rein, auf die man auch auf Betriebsfeiern schön steilgehen kann. Gut, die Textebene ist immer noch von schwuler Lyrik geprägt, was bei Heinz aus der Buchhaltung auch 2014 noch Beklemmung hervorrufen wird. Wer aber gendermäßig fest im Sattel sitzt, wird bei dieser Coming-of-Age-Platte freudig juchzen.
CARMEN DIEM

BRYCE DESSNER/JONNY GREENWOOD
St. Carolyn By The Sea/
Suite From There Will Be Blood
Deutsche Grammophon

Machen wir uns nichts vor: 90 Prozent der Anschaffungen dieser Platte werden von den Assoziationen zu The National (Bryce Dessner) oder Radiohead (Jonny Greenwood) getriggert, und die anderen zehn Prozent von Deutsche Grammophon. Von der darauf enthaltenen „Vereinigung von Klassik und Rock“—also einer Art Filmscore für Aufgeschlossene, respektive moderne Klassik für Menschen, die auch regelmäßig auf Vernissagen herumstehen—von dieser 45- (Dessner) bzw. 21-minütig (Greenwood) herumschwurbelnden Angestrengtheit also werden mindestens die erstgenannten 90 Prozent eher enttäuscht sein. Und die restlichen zehn Prozent interpretieren ja sowieso in alles Intellektualität rein, was nicht bei drei aufm Baum ist.
SIN TECKST

Anzeige

MANTAR
Death By Burning
Svart

Dieses Debüt ist eine mit dreckigem Rock-’n’-Roll-Riffing so ungemein rundgeschliffene Sache, dass man sich selbst in der ungehemmt herausquellenden Schwärze nicht um Ecken und Kanten sorgen muss, an welchen man sich die Stirn blutig schlagen könnte—beim selbstverständlich zwanghaften Biegen und Peitschen der Nackenmuskeln. Doom, Sludge, Black Metal und Rock ’n’ Roll in einem Hexenkessel. Einem solchen Gebräu garstig und übelsinnend entsteigende Bastarde sind gewiss nicht die neueste Erfindung des Teufels—an Darkthrone, Entombed, Motörhead ja sowieso, und von mir aus auch Kvelertak, die sich für diese Mission zumindest auf ihrem ersten Album in einen rasenden Wahnsinn geprügelt haben, kommen Mantar nicht vorbei. Nee, neu ist Death by Burning nicht—aber gut … böse.
JOHNNY B. GONE

DAVID KANAGA
Dyad
Software Recording Co.

Der sogenannte OGS (Original Game Soundtrack) kann auf CD nur ein Zehntel seines Potenzials präsentieren—bereits der Versuch, das Faszinosum auf CD zu bannen, erscheint ärmlich. Denn die Stärke, ja, das Revolutionäre an dem Soundtrack ist seine Funktion im Spiel, eine Art psychedelischen Wurmloch-Racer—je nach Aktion ändert sich die Musik und verlangt wiederum nach Reaktion vom Spieler—der Soundtrack wird endlich gleichberechtigt zum Bild zu einem integralen Bestandteil des Gameplays. Ohne diese Grundfunktion wirkt die Musik wie ein mild aufgeregter Mix aus Amateurfilm-Elektro und Vaporwave ähnlichen Mobilisierungs-Hymnen mit dem corporate Charme von Library Music.
LASSE D. BRAUN-RAMS

Anzeige

CHEATAHS
Cheatahs
Wichita Recordings

Ja, der Bandname könnte ein Porn-Starlet-Name sein. Ja, die Bandinfo spricht von einem „Debüt“ und ignoriert damit einfach die paar kleineren Releases, die’s schon gibt. Ja, Alternative-Gitarrenrock mit einem Hauch Lo-Fi und Lyrics über die Schwierigkeit von Beziehungen sind nicht gerade das, worauf die Welt sehnsüchtig gewartet hat. Und: Ja, sowohl Coverdesigner als auch Produzent der Platte waren vermutlich auf einer seltsamen Pilz-Gras-Mischung beim Einhalten ihrer Deadlines. Aber: Ganz so scheiße ist die Platte dann eigentlich gar nicht.
ZAR TAN

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.


MEHR VON NOISEY

Musikreviews der Woche mit Tensnake, Radio Schizo und mehr

Kompromisslos durchgeschwungene Springer-stiefeltritte und ein Ohr für obskure Hits aus der Jukebox. Betroffenheitsindiepop auf der letzten Neo-Disco-Welle in unseren Reviews.

Musikreviews der Woche mit Andreas Dorau, LSD On CIA und mehr

Marihuanageschwängertes Gerumpel von älteren Herren in der Leihbibliothek. Juckende Exeme mit unseren Reviews.

Musikreviews der Woche mit Stephen Malkmus And The Jicks, Fantôme und mehr

Freischwebender Slacker-Pop, löchrig wie Arsch und Knie. Auf ernüchternde Art kommt das davon: unsere Reviews.