FYI.

This story is over 5 years old.

You Need to Hear This

Chefket ist nicht blond und blauäugig

Chefket ist schon länger im Rap als ihr denkt. Deswegen war es auch gar kein Problem für ihn, Featuregäste wie Samy Deluxe, Tua, MoTrip und Marteria auf seiner EP zu versammeln.

Viele werden das erste mal über den Namen Chefket stolpern und ihn vielleicht auch für einen Newcomer halten. Seine Musik ist zwar frisch wie die eines Newcomers, aber er hat schon 2009 sein erstes Album Einerseits, Andererseits über Edit veröffentlicht. Seit dem 12. Juli gibt es nun neues Material von ihm und zwar die Identitäer EP. Sein Sound geht gut in die Ohren, ohne dass dabei der Inhalt auf der Strecke bleibt. Wir haben den sympathischen Rapper getroffen und über Rap, das Identitätsthema als Deutscher mit türkischen Wurzeln und seine Gäste auf der EP gesprochen.

Anzeige

Wie war dein erster Kontakt mit Rap?
Das war mit zehn. Body Count von Ice-T.

Das rappst du auch auf der EP: „Body Count im Tapedeck“?
Stimmt. Body Count war krass. Ice-T, wie er mit den Schimpfwörtern anfängt.

Das ist ja nicht unbedingt etwas, dass man als Zehnjähriger hört.
Meine Schwester hatte einen Verlobten, dessen kleiner Bruder hat mir Musik gegeben und da war eine Body Count-Kassette dabei. Dazu kam noch Black Uhuru und Tracy Chapman. Später kamen noch psychedelische Sachen durch einen Kumpel von ihm dazu. Der war DJ und hatte echt viele Platten. Ich habe auf alles gerappt, hauptsache da waren keine Vocals drauf. Damals habe ich vieles auf Englisch geschrieben und habe viele Texte von anderen Rappern wie Nas auswendig gelernt. Und später kam eine Schulband dazu, in der die Leute mit fünf schon ihre Instrumente gelernt haben.

Du hast nie Instrumente gelernt?
Nee. Ich war in einer Italienisch-AG, wo ich immer meine Texte auf Englisch geschrieben habe. Was ich nicht wusste, war, dass es eine Schulband gab. Ich bin in den Musikraum gegangen, um mir ein Mikro auszuleihen, habe die Band gesehen und bin später nie wieder zu Italienisch gegangen. Ich habe versucht, meine Raptexte der jazzigen Musik anzupassen, die sie gespielt haben. Plötzlich hatte ich Einblick in eine Musikwelt, was voll geil für mich war. Ich habe dann meine Raptexte über diese Musik gesungen.

Ist daraus „Nil“ entstanden?
Genau, Nil war meine erste Liebe, die ich in der Türkei kennengelernt habe. Wir haben als Band viele Auftritte gespielt, aber irgendwann haben alle angefangen zu studieren. Ich bin nach München gegangen, Klos putzen, um mir meinen PC zu kaufen und mein allererstes Album Chef-Ket aufzunehmen. Auf der Straße habe ich die CDs für 5 Euro verkauft.

Anzeige

Ist das der Ursprung deines mit Soul angehauchten Raps?
Auf jeden Fall. Die Musikalität hatte ich vorher ja nicht. Mit der Band habe ich gemerkt, dass ich bestimmen kann, wie was klingt.

Einerseits, Andererseits kam 2009. Wieso hat es jetzt vier Jahre gedauert, bis wieder was von dir erschienen ist?
Einerseits, Andererseits hat zehn Jahre in der Entstehung gebraucht. Es ist mein erstes Album und vom Konzept her schlüssig. Ich mache die ganze Zeit Musik, aber wenn man den Songs kein Leben einhaucht, dann sind sie nicht da. Ich bin damals in die Türkei gegangen, um einiges zu reflektieren und daraus ist letztlich das Album entstanden. Es ist ein Zeitdokument und das wollte ich rausbringen.

Du sagst, dass du durchgehend Musik machst. Vielleicht sind die einzelnen Songs dann auch fertig, aber es ist noch mal eine andere Sache, ein komplettes Album oder eine EP zu machen.
Natürlich. Seitdem ist auch viel passiert. Ich bin von meinem Label weggegangen, habe dann immer die richtigen Partner gesucht, denen ich vertrauen kann. Die habe ich jetzt gefunden. Für mich ist es ein Erfolg, jetzt ein Album rausbringen zu können. Ich finde diese Chart-Sache total lächerlich. Das sage ich jetzt nicht nur, weil ich nicht Chart-relevant bin. Für mich selbst ist jeder Song auf dem Album ein Hit.

Ich wollte gerade sagen: Wenn man sich deine Musik anhört, ist die schon radiotauglich, ohne das abwerten zu wollen.
Ich finde das positiv, ich will ja auch jeden erreichen. Ich will jetzt nicht jeden erleuchten, aber man kann für sich selber ein paar Sachen festhalten, an die man sich immer erinnert. Durch den jahrelangen Umgang mit Sprache ist man auch in der Lage, Welten zu erschaffen, wie ein Drehbuchautor. Ich könnte auch Bücher schreiben, wenn ich wollte. Musik ist das, was mich am meisten erfüllt. Es sind keine Grenzen gesetzt, auch was andere Musik angeht. Ich habe auch keine Angst, wenn Leute sagen, dass sie mich deswegen nicht mehr hören wollen. Gerne. Die will ich gar nicht als Fans. Das ist wie Faschismus. Ich kenne da keine Grenzen. Ich finde Grenzen scheiße.

Anzeige

Wenn wir schon dabei sind: Du hast einen Song mit Lexy und K-Paul gemacht, auf dem du englische Vocals beisteuerst, was mit HipHop eigentlich nichts mehr zu tun hat. Nochmal zu deinen Fans—ist dir das ganz egal?
Wenn es mir nicht egal wäre, dann hätte ich ein Alter Ego-Namen benutzt. Dann hätte ich mich Mark Kraft genannt und es unter dem Namen rausgebracht. Aber es war mir egal. Ich habe ja auch angefangen, auf Englisch zu singen. Das war einfach nur back to the roots für mich. Mittlerweile haben die das als Single und Video rausgehauen und ich finde es krass, dass man so offen ist und keine Grenzen hat. Das ist auch ein Segen für mich.

Du könntest auch einfach Doubletime rappen oder auf Freestyle-Battles gehen. Oder wäre das ein verschwendetes Talent?
Vielleicht mache ich irgendwann ein Doubletime-Album. Alles ist möglich. Es geht nur um das Konzept und die Ideen.

Wenn wir nochmal zurückblicken: 2004 bist du nach Berlin gekommen und hast dir hier als Freestylebattler einen Namen gemacht.
Das waren eher so Cyphers. Das waren keine Battles. Ich war nicht so der Battler, weil ich nicht so viel Frust in der Brust hatte. Ich wollte eher was Positives in die Welt setzen. Das ist zeitloser. Wenn die Leute mein Album Einerseits, Andererseits anhören, dann denken sie, es ist von jetzt.

Das habe ich mir auch gedacht, als ich es nochmal gehört habe. 2009 war alles noch mit viel mehr Scheuklappen, kurz vor den riesigen Erfolgen Marterias und Caspers. Wahrscheinlich würde das Album jetzt viel mehr angehört werden. Da warst du wahrscheinlich zu früh dran.
Das wird mit der EP genauso sein. Jetzt hören vielleicht nur etwas mehr Leute zu.

Anzeige

Apropos: Man könnte den Songs darauf vorwerfen, dass sie sehr poppig sind.
Man muss schauen, wie man seinen Trojaner ins Radio bringt. Ich sehe ja auch, dass jeder anfängt zu singen oder dass alles von der Stimmung positiver wird. Aber ganz ehrlich, ich will keine Namen nennen, aber ich kaufe es den wenigsten ab.

Es kommt drauf an, was die vorher gemacht haben.
Ja genau. Ich weiß, dass die das vorher nicht gemacht haben. Ich bin auch vorsichtig dabei, jemandem Props zu geben. Ich muss sehen, wie der sich entwickelt. Drei Alben braucht es mindestens.

Dir kann demnach auch keiner Props geben.
Das soll auch niemand. Ich bin einen anderen Weg gegangen. Ich habe die EP auch selber finanziert.

Hast du das Gefühl, dass dich andere einschränken, oder was war der Grund, alles selber zu machen?
Ich glaube, manchen fehlt der Weitblick, die Fantasie. Dann sehen die noch, dass ich nicht blond und blauäugig bin. Das ist nicht mehrheitsfähig. Ich unterstelle so eine Haltung nicht jedem, aber man spürt es doch. Wenn ich blond und deutsch-deutsch wäre, wäre das ein ganz anderer Fall.

Meinst du wirklich? Wenn es genau die gleiche Musik wäre?
Auf jeden Fall. Ich will mich jetzt gar nicht in die Opferrolle bringen. Wenn ich deutsche Eltern hätte, würde ich nicht diese Musik machen. Dann hätte ich studiert, weil ich gar nicht das Bedürfnis gehabt hätte, meine Stimme so zu erheben, dass mir die Leute zuhören. Ich möchte gewisse Sachen sagen, weil man spürt, zu einer Minderheit zu gehören. Deswegen gibt es so wenige Leute mit deutschen Eltern, die rappen. Warum? Weil die nicht den Erklärungszwang haben, zwischen zwei Welten zu leben. Das ist ein Identitätsthema. So eine Frage stellt man sich nicht, wenn man in der Mehrheitsgesellschaft lebt. Die, die aus der Mehrheitsgesellschaft sind, sind in der Regel die, die in den Chefetagen arbeiten. Und die können sich da gar nicht reindenken.

Anzeige

Auch wenn man das Inhaltliche beiseite lässt, hört man doch, dass die EP ein gutes Produkt ist. Das ist zwar jetzt sehr einfach gesagt, aber wenn man sich anhört, wer jetzt als Feature drauf ist, dann müssten sich doch die Leute in den Arsch beißen mit denen du am Schreibtisch saßt.
Die Leute, die drauf sind, sind ja Freunde. Das ist ja kein Business-Move, bei dem ich die für 10.000 Euro auf die Platte geholt habe. Die machen die Musik mit mir, weil die mich feiern und nicht, weil ich auf einem Label bin.

Kannst du zum Abschluss einen Satz zu jedem Feature-Gast sagen?
Klar.

Marteria.
Bester Entertainer Deutschlands.

MoTrip.
Krassester Texter.

Tua.
Es gibt ein eigenes Genre. Das heißt Tua.

Samy Deluxe.
Der Beste.

Die EP Identitäter könnt ihr pysisch hier und digital hier erwerben.

Sascha auf Twitter: @DeutscheWorte

**

Folgt YNTHT bei Facebook und Twitter.


MEHR VON YOU NEED TO HEAR THIS

MØ ist eine echte Spice Girls-Expertin

MØ geht es am Arsch vorbei, wenn sie jemand mit einem Pop-Püppchen vergleicht oder hinter ihr ausgefeiltes Girlband-Wissen kommt.

Musiker, die ihr einfach gehört haben müsst: Delilah

Delilah ist der Beweis dafür, dass man sich nicht immer gegen das „sexy Top bauchfrei“ entscheiden sollte.

Ghostwriting im HipHop: Welche Texte wurden nicht selbst geschrieben?

Einige der besten HipHop-Songs aller Zeiten stammen aus der Feder von Ghostwritern, ihr wisst es nur nicht.