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Ein Liebesbrief an ...

Ein Liebesbrief von Pablo Vögtli an die Freestyle Convention

Am Freitag findet zum letzten Mal das HipHop-Happening statt. 'Virus'-Moderator Pablo Vögtli nimmt Abschied.
Fotos: Dominik Meier / zvg

Sagen wir, wie es ist: Im Internet überwiegt der Hass. Ein Blick in die Kommentarfelder von YouTube oder Facebook reicht da meist schon, um den Glauben an das Gute auf dieser Welt täglich aufs Neue zu verlieren. Das ist doch scheisse. Also konzentrieren wir uns lieber auf die schönen Seiten im Leben, die absolut wunderbaren Dinge, die unseren Alltag bereichern, uns zum Lächeln bringen. Dinge, die wir verdammt nochmal lieben.

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Heute erklärt 'SRF Virus'-Moderator Pablo Vögtli der Freestyle Convention seine Liebe. Am Freitag findet nach über zehn Jahren das spielerische Rap-Battle von und mit MC Homi, Hyphen, Lo, Milchma, Skibe, DJ Cutmal, Junus, Ugur, Alpi, DJ OB One, Knackeboul im Dynamo statt.

Liebste Freestyle Convention,

du hast Oden, Briefe und Laudationen verdient, denn du hast Grosses geleistet. Mit dir geht eine Unterhaltungsform dahin, die es so nur einmal gab. Ich habe wahrscheinlich nur um die fünf ganze Clubshows gesehen. Aber zum Glück hat die Convention, zusätzlich zu den oft ausverkauften Clubshows, jahrelang am Openair Frauenfeld und am Royal Arena gespielt, so dass jeder regelmässige Festivalbesucher sicher wenigstens einmal im Jahr auf eine Portion Convention kam.

Es gibt nach wie vor wenig, was mir so projektilartige Lacher entlockt wie etwa dieser Anblick: Wie Lo über zehn Minuten freestylend versucht, den Freiwilligen aus dem Publikum, der seit 48 Stunden wie ein aufgehender Hefeteigkloss riecht und aussieht, dazu zu bringen, das sechs silbige Rätsellösungswort im Takt aufzusagen. (Anmerkung: Das Spiel heisst "Tabu", für alle die noch nie eine Convention gesehen haben, googlet und staunt.)

Aber genug Conventions habe ich noch lange nicht gesehen, und von Anfang an dabei war ich auch nicht. Es ist ja mit 2007 eine Jahreszahl im Spiel, bei der ich mich alt fühle. Meine erste Convention war in der Rampe in Bubikon (<3 shoutout Rampe). Jetzt, da es vorbei ist mit der Convention, weil die allerletzte heute Abend über die Bühne geht, wächst in mir Trauer und Reue, mir nicht mehr Shows angesehen zu haben. Wie ein Idiot fühle ich mich, dabei wollte ich dir doch noch sagen, dass ich dich liebe, Convention. Und obschon Liebe bedingungslos ist, so hat sie doch Gründe.

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Kulturelemente der Untergrundszene wie Freestyle- oder Battle-Rap haben Grössen geschaffen und beeinflussen in einer öffentlichen oder kompetitiven Form die Kultur massgeblich. Aber diese nerdigen Events haben meistens einen Nachteil: Für Muggles – für nicht-eingeweihte Menschen, die sich nicht verkrampft mit einer Randkultur auseinandersetzen – ist es einfach nichts. Stell dir vor: Du nimmst deine neue Freundin, die überhaupt keinen Rap hört, mit an eine Ultimate-MC-Battle-Qualifikationsrunde. Dort ejakuliert Tilt in den ersten 60 Sekunden völlig ironiefrei auf die figurative Grossmutter seines Gegners. Dann wird sie jetzt nicht direkt am nächsten Montag davon schwärmen. Sind wir ehrlich: Nicht der Inhalt, den du erst nach drei bis vier Desensibilisierungsstufen entsprechend einordnen kannst, nervt die meisten Uninitiierten nach fünf Minuten – auch die Form oder die Präsentationsweise der nerdigereren Elemente der HipHop-Kultur. #beatbox #djing #graffiti #yepevenbreakdance

Die Grössen dieser einzelnen Elemente sind meistens die, die es geschafft haben, ihr Können in eine Form zu fassen, die nicht darin besteht, in 30 Sekunden-Loops zu zeigen, wie unglaublich krass sie sind. Es sind die Acts, die ihre Shows entweder tanzbar machen (z.B. C2C) oder die ihre Superskills in verdaulichen Portionen und in der entsprechend ansprechenden Kadenz servieren (z.B. Beardyman). Die Freestyle Convention hat Freestyle-Rap bis ins Jahr 20-Lil-Xan-18 in der Schweiz nicht nur am Leben erhalten, sie haben dieses Übernerd-Ding für Vollmuggles unterhaltsam gemacht. Für randvolle Nachmittagsfestivalcrowds am zweitletzten Festivaltag. Ich kann nicht genug wiederholen, wie schwierig das ist. Die Convention konntest du als Rap-Aficionado und als Verteidiger von Rap als Totschlagargument brauchen – gegen jeden Hater, der Rap als niedere Kunst- oder Unterhaltungsform sieht, und Poesie oder Musikalität darin verniedlichen wollte.

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In einer Freestyleshow über 60 bis 90 Minuten unterhaltsam zu bleiben ist eine unglaubliche Leistung. Das geht nur, wenn du ein eingespieltes Team bist. Wenn du die besten Freestyler des Landes dabei hast. Und wenn du kreative Köpfe im Hintergrund hast, die stets an neuen Spielformen arbeiten und Showelemente weiterentwickeln. Ich fang jetzt nicht an aufzuzählen, welches die geilsten Spiele der Convention waren. Aber ich wiederhole: Die Freestyle Convention gibt es nur einmal – diese Mischung aus seriösen, Battle-geschliffenen Rapskills und Comedy. Die Lacher, die entstehen, wenn sich jemand beim Verkacken einer Line rettet, auf eine bessere kommt und selber lachen muss. Die Kettenreaktion die dann beim Publikum entsteht, sheesh! Wenn die Convention lit war, konnte alles, was auf der Convention-Bühne passiert zu Gold gesponnen werden – jedes Spiel, jede cringige Situation mit Nicht-Rappern aus der Crowd.

Battlerapper sind genau auf das getrimmt und geschult: auf das Umdrehen einer vermeintlichen Schwäche oder einer peinlichen Situation. Zieht dir jemand die Hosen runter beim Rappen, bleibt der Battlerapper stehen, betrachtet sein eigenes Glied und rappt dann zwei Zeilen darüber. So sind auch die Mitglieder der Convention ausnahmslos alles erfahrene Battlerapper. Lo alleine bringt drei Ultimate-MC-Battle-Siege mit an den Tisch und Knackeboul, Homie MC, Milchmaa, Skibe und Hyphen packen gemeinsam noch einen Stapel an Battlediplomen oben drauf.

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Es mussten viele musikevolutionäre Bedingungen und Ereignisse stimmen und zusammenkommen, damit es so ein Ding wie die Convention geben konnte. So etwas entsteht nur, wenn eine Handvoll Menschen etwas ganz fest und obsessiv liebt. Und über eine Dekade Aufwand, Zeit, und Lernschweiss reindrückt, ohne dabei gross auf Belohnungen hoffen zu können. Es geht nur, wenn sechs Rapper im frühen Teenageralter beginnen zu Freestylen. Diese Freestyle-Skills in Battles vor Publikum und in Kellern vor Homies schleifen. Wenn sie ohne Entgelt die Schmach der Niederlagen und wacken Momente durchleben, zehn Minuten später vor der Hintertür des Clubs schon das nächste Battle anreissen. Und dies über Jahre. So etwas gab es nur, weil diese Menschen verrückt und vernarrt eine Subkultur auslebten, die nur live leben kann. Deren Schönheit und Magie entsteht und wieder schmilzt und deren Erfolg schlechter voraussehbar ist, als die Wirkung von Schmetterlingsflügelschlägen im Amazonas. Und dafür danke ich euch, Convention-Members. Danke für die Arbeit.

Danke, liebe Convention, hast du uns so lange so gute Unterhaltung geschenkt. Danke, hast du uns Atomwaffen gegen Raphater gegeben. Danke, hast du Festivalnachmittage ertragbar gemacht. Danke, bist du an jedem Gig Risiken eingegangen, die jedem herkömmlichen Musiker die Gallenblase gefrieren lassen würde. Ich werde dich vermissen. Du wirst auch nicht mehr zurückkommen können. Denn wenn ihr aufhört, regelmässig vor Publikum und unter Druck zu Freestylen, hört ihr auf zu üben (wenn ihr das nicht schon alle längst getan habt). Nach zwölf Monaten sind die Skills im Winterschlaf, nach 24 auftaubar, nach 48 noch sichtbar und nach fünf Jahren nur noch eine Erinnerung. Danke, habt ihr so lange so gut gefreestylt.

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Adieu!

Pablo

By the way: Wenn du keine Tickets für die letzte Show hast, kannst du die Convention beim Royal Arena auf Facebook schauen.


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