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Die Swiss Music Awards sind der wichtigste Musikpreis der Schweiz und trotzdem nichts wert

Eigentlich wollte unser Autor nur darüber meckern, dass es im Zürcher Hallenstadion kein Gratis-Bier gab. Dann hat er per Zufall die Grammys geschaut.
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Manchmal muss man einfach von vorne anfangen … Ich war gerade mit der ursprünglichen Version dieses Artikels—Stossrichtung: Die Swiss Music Awards verpassen ihre Chance, die musikalische Schweiz zu feiern—fertig geworden, als mir Facebook verriet, dass in der Nacht die Grammys verliehen würden. Ich konnte nicht anders, schaltete um 02:00 Uhr den Fernseher ein und schaute dabei zu, wie Taylor Swift triumphierte, John Legend Lionel Richie und Stevie Wonder Earth, Wind & Fire hochleben liessen.

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Jetzt ist 03:55 Uhr morgens und Kendrick Lamar hat gerade in einer furiosen, wie ein Fiebertraum anmutenden Performance aus Jazz, Rap, Funk und Spoken Word bewiesen, dass er die elf Nominationen, von denen er zu diesem Zeitpunkt bereits fünf eingesackt hat, durchaus verdient. Zusätzlich beschwor er mit Tänzern zuerst in Sträflingsuniform, dann in Tribal-Gewand aufmüpfig den Stolz der afroamerikanischen Community auf ihre Kultur.

Natürlich sind auch die Grammys nicht nur toll, nicht nur hohe Musikkunst. Jetzt gerade zum Beispiel versuchen Justin Bieber (mit Gitarre), Diplo und Skrillex (mit Gitarre), sich als Heavy Metal zu inszenieren und ich frag mich, ob es Biebers verstimmte Gitarre war, die da in den Adele-Song vorher reingeplärrt hat.

Aber live ist eben live und nur schon dadurch offenbart sich einem die Kluft, die zwischen der grössten, traditionsreichsten Musikpreisverleihung der Welt und der auf unseren Alpenzwerg geschrumpften Version besteht, wo lieber auf Backing Tracks denn auf Backing Band gesetzt wird—den Swiss Music Awards.

Am vergangenen Wochenende wurden die Betonklötze im Zürcher Hallenstadion wieder einmal an die Sieger verliehen. Nach allen Regeln der Award-Kunst, mit sympathischen (ein verschmitzt grinsender Breel Embolo) und weniger sympathischen (ein steifer DJ Antoine) Laudatoren, nachvollziehbaren (Patent Ochsner, Patent Ochsner, Sophie Hunger, Patent Ochsner) und weniger nachvollziehbaren (Dodo in der Kategorie „Best Breaking Act“) Preisträgern.

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Kann man die SMAs mit den Grammys vergleichen? Natürlich nicht direkt. Man vergleicht ja auch nicht 1:1 die wirtschaftliche Leistung der Schweiz mit jener der USA. Oder unsere Milizarmee—laut Ueli Maurer immerhin die beste Armee der Welt—mit der US Army. Handkehrum scheint man im Sport—wo man ja gleiche Argumente einwenden könnte—das Kräftemessen nicht zu scheuen.

Nehmen wir einmal an, die Swiss Music Awards und die Grammys wären zwei Sportlerinnen, Skifahrerinnen zum Beispiel. In dieser Disziplin sind die USA und die Schweiz auf Augenhöhe, trotz massivem Bevölkerungsunterschied. Als erstes fahren die SMAs aka Lara Gut den Hang runter. Sie schafft es auch ins Ziel, doch wir alle wissen schon kurz nach der Fahrt: Das war höchstens durchschnittlich. Dann starten die Grammys, dann kommt Lindsey Vonn. Schon nach der ersten Zwischenzeit hat sie 20 Hundertstel Vorsprung, in der Hälfte der Strecke ist es fast eine Sekunde, am Ende rast sie mit einer Sekunde und 34 Hundertstel über die Ziellinie.

Mit der Masse an Medienvertretern und der medialen Aufmerksamkeit, hat das nichts zu tun. Im Gegenteil machen die Swiss Music Awards gerade das richtig. Sie geben sich als Ereignis, um das kein Medium, vom Teenie-Blog bis zur NZZ, herumkommt. Und wenn auch nicht die BBC oder die New York Times Vertreter an den roten Teppich im Hallenstadion-Foyer entsenden, erinnert mich der wartende und dabei nervös drängelnde Schwarm aus Mikros und Kameraobjektiven ein wenig an die Relevanz der grossen Award-Brüder, nur eben in eidgenössischen Verhältnissen auf nationaler Ebene.

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Wie es sich gehört, wie sie es von „den Grossen“ gelernt haben, präsentieren sich die Schweizer Musikpromis, lässt sich Müslüm von seinem kastenförmigen „Cousin“ auf die Schultern nehmen, lacht Stefanie Heinzmann in die Kameras und führt DJ Antoine seine neue Modelfreundin vor. Und die Fans, die man für 40 Franken mitfeiern lässt, freuen sich ehrlich darüber, dabei und ihren Idolen nah zu sein. Sie machen keinen Unterschied zwischen Kendrick Lamar und Stress, zwischen Taylor Swift und Beatrice Egli.

Und wenn ich Letzteres auch nicht ganz nachvollziehen kann (wobei ich auch den Taylor-Hype nicht ganz nachvollziehen kann): Als vorhin gerade Lady Gaga ihre Hommage an David Bowie, zum Besten gab, musste ich wieder an Sophie Hunger denken, der an den SMAs dieselbe Aufgabe zuteil geworden war.

Während Gaga die klassische Variante, ein Medley mit Bandbegleitung und die für sie typische, vielleicht von Bowie inspirierte Garderobe wählte, stellte sich Hunger alleine mit ihrer Gitarre auf die Bühne des Hallenstadions. Und verpasste allen oder zumindest mir Gänsehaut mit ihrer zerbrechlichen, ja nackten „Heroes“-Interpretation. Und bewies allen oder zumindest mir, dass einzelne Abfahrerinnen der Schweizer Mannschaft eben doch mit den Amis mithalten können.

Mit dieser Performance jedoch steht Sophie Hunger alleine auf weitem Feld. Und zwar nicht nur, was Qualität, sondern auch, was Ernsthaftigkeit betrifft. Ansonsten nämlich herrscht bei den Live-Darbietungen—wobei live zum Teil wirklich übertrieben ist—die gepflegte, einheitliche Kracher-Stimmung. Sido rappt zum Stampf-Beat. Dodo stürmt zum Stampf-Beat (und hält es für klug, seine Sidekicks als postapokalyptische Buschtrommler zu verkleiden). Nickless schmachtet zum Stampf-Beat. Und gewinnt damit am Ende in der Kategorie „Best Hit“.

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Und wer verleiht diesen Preis? Die Zuschauer. Und zwar nachdem sie im Verlauf der Show gefühlte 25 Mal zum SMS-Voting aufgefordert wurden und die drei Nominierten—neben Nickless' „Waiting“ standen noch Müslüms „La Bambele“ und Dodos „Hippie-Bus“ zur Wahl—nicht nur als Anfangsmedley, sondern auch in Form von Cover-Versionen verschiedener Youtube-Stars, von denen zumindest ich keinen einzigen kenne.

Auch die anderen Preise werden, zumindest zum Teil, vom Publikum verliehen. Das mag zur direkten Demokratie unseres Landes passen, doch wie wir wissen, hat das Volk nicht immer recht. Zumindest führt ein solches Vorgehen nicht zu einer abwechslungsreichen, geschweige denn vollumfänglichen Präsentation (und Anerkennung) des Schweizer Musikschaffens. Umso weniger, wenn in den meisten Kategorien für eine Nomination auch Verkaufszahlen ausschlaggebend sind, wie im Reglement steht.

Natürlich kann jeder Preise nach eigenen Kriterien verteilen. Schreibt man sich aber selber auf die Homepage, dass die SMAs „der wichtigste Preis der Schweiz“ seien und „der Förderung der nationalen Musikszene dienen und gleichzeitig deren kulturelle Vielfalt präsentieren“ würden, dann muss man sich schon daran messen lassen.

Screenhot von Facebook

Umso mehr, als dass sich die Organisatoren—immerhin die wichtigsten Verbände und Organisationen der Schweizer Musikszene—vor zwei Jahren selber dazu entschieden hatten, die bis dahin verliehenen Genre-Preise wie „Best Album Urban“ oder „Best Performance Rock“ durch allgemeinere und damit den Bestsellern zuspielende Kategorien zu ersetzen. Und dafür—immer noch im Glauben daran, damit den Glamourfaktor ihres Betonklotzes zu erhöhen—einen Preis für „Best Act International“ verteilen, der nie abgeholt wird. Weil sich eine Preisträgerin wie Adele schlicht nicht umd die SMAs kümmert.

Die Swiss Music Awards werden nie so bedeutend und schillernd sein wie die Grammys und Johnny Depp, Alice Cooper und Joe Perry werden nie für zwei (komplett live gezockte) Songs ins Hallenstadion kommen. Hingegen könnten die Swiss Music Awards ein Mittel sein, der durchaus abwechslungsreichen und qualitativ hochwertigen Klangszene der Schweiz zu mehr Beachtung und Wertschätzung zu helfen. Die Aufmerksamkeit der Medien und damit des Publikums wäre da. Sie müssten es nur wollen.

Die Uhr auf meinem Laptop zeigt 05:30 Uhr, als die Grammys—nach Auszeichnungen für das beste Metal-, Musical- oder Country-Album und Live-Darbietungen aus all diesen Stilrichtungen—zur Verleihung des finalen und wichtigsten Preises „Best Album“ kommen. Gewinnen tut ihn Taylor Swift. Ich hätte ihn vor allem den Alabama Shakes gegönnt oder Kendrick Lamar. Oder Sophie Hunger.

Kissi hängt nicht nur an Awardshows rum, sondern auch auf Twitter.

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