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Dodos neues Album verkörpert alles, was ich an Reggae hasse

Das neue Dodo-Album „Anti Brumm“ vereinigt alles, was ich an Reggae hasse.

Ich will ehrlich mit euch sein: Ich hasse Reggae. Ich hasse Reggae aus tiefstem Herzen. Und zwar so sehr, dass sich ein anderes meiner Organe, mein Magen, nur schon beim Gedanken an diese rot-gelb-grüne Sound-Ausgeburt der Sonnenschein-Hölle windet und würgt wie sonst nur nach einer halben Flasche Tequila.

Warum ich euch das erzähle? Weil vor ein paar Tagen das neue Dodo-Album erschienen ist. Und weil ich es mir angehört habe. Am Stück. Gefühlte 10 Mal. Ich wollte verstehen, was dahinter steckt, warum Dodo Erfolg hat, als Produzent von Steff la Cheffe, von Lo & Leduc und mit seinem eigenen Sommerhit „Hippie-Bus“. Denn alles, auch Dinge, die man persönlich als musikalische Folter empfindet, kann man analysieren.

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Darin bin ich eigentlich ganz gut … dachte ich zumindest. Ich kann schon abstrahieren, dachte ich, kann meine subjektive Aversion der Objektivität hintanstellen, dachte ich, doch das klappte nicht. Irgendwann riss ich mir meine Kopfhörer runter und gestand mir ein: „Anti Brumm“ vereinigt einfach alles, was ich an Reggae hasse.

Beziehungsweise am Sound und nicht an der Religion oder der Bewegung. Da gäbe es andere Sachen zu meckern (Sexismus, Homo-Feindlichkeit), doch kenne ich mich da ehrlich gesagt zu wenig aus. Und dass Dodo damit herzlich wenig am Hut habe, bestätigen mir auch meine Reggae-Bekannten. Was für mich aber sowieso immer der rhythmisierte Inbegriff des Brechreizes bleiben wird, ist die verwestlichte Gute-Laune-Variante davon.

Schon der Opener vermählt inhaltlich wie musikalisch so ziemlich alles, was danach noch kommt. „Neus Läbe“ ist ein Song übers Aufstehen, über die Sorgen des Alltags und wie man mit ihnen umgehen soll. „Guete Morge, liebi Sorge“ säuselt Dodo voller Lebensfreude, natürlich unterstützt von im Morgenlicht strahlenden Bläsern und dem musikalischen Pendant zu stundenlangem Waterboarding: dem Off-Beat.

Ich stelle mir meine Reaktion vor, würde mir jemand den Song gleich nach dem Aufwachen vorspielen: a) Ich würde mein Kopfkissen zerfetzen. b) Ich würde das Abspielgerät aus dem Fenster werfen. c) Ich würde die Person, die mir den Song vorspielt zerfetzen oder aus dem Fenster werfen. Nein, Sorgen lassen sich nicht einfach so wegsingen, weder am Morgen noch sonst wann und schon gar nicht, wenn es sich dabei um so handfeste wie Rechnungen handelt.

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Der Clip zum wohl kalkulierten Sommer-Hit (via Youtube).

Dodo weiss das (wahrscheinlich) auch. Und hat dafür die perfekte Lösung parat: Alles gar nicht so schlimm finden, verdrängen, verduften. Mit dem vermaledeiten „Hippie Bus“ geht er auf Reisen, steigt danach „Schwerelos“ ins All, findet im „Bush Bungalow“—sollte das eine Anspielung auf die Politiker-Dynastie oder den Irakkrieg sein, habe ich sie nicht gecheckt, sorry!—eine neue Gespielin, vertieft sich in das (zumindest in Song-Form) unglaublich langweilige „Rusche“ vom Meer oder schiesst sich am Ende mit der „Schwarzen Magie“ von Zürichs Nachtleben ab.

Weg vom Alltag, weg vom Gewohnten, weg von den Sorgen. Und: Weg von der Verantwortung. Wenn „Anti Brumm“ überhaupt ein Motto hat, das beinahe so stringent durchgezogen wird wie der Off-Beat, dann ist es das. Fluchtbewegungen über und über. Das ist natürlich nicht neu. Musik ist das mithin schon in ihrer Grundform („Fuck you“-Punk-Attitüde etc.) und heute mehr denn je. Unsere Kopfhörer schirmen uns im Tram ab, an Konzerten oder Parties machen wir Pause vom Tagtäglichen. Reggae, vor allem europäischer Reggae hat diese Sehnsucht nach der Ferne tief in sich drin.

Foto: Flickr | weisserstier | CC BY 2.0

Sehnsucht nach Sonne und Süden, nach Palmen, Strand und dem gelobten Land Jamaica. Auch Dodo verherrlicht das Exotische, lebt den Ethno Chic und geht „uf u dervo“, wie es früher mal hiess. Und spricht damit einer Generation aus dem Herzen, die mit Roadtrips, Easyjet und Interrail auf die Suche geht. Nach was? Das wissen weder sie noch Dodo, einfach hier, davon sind sie überzeugt, finden sie es nicht.

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Nun könnte man zur Verteidigung des Zürcher Wunderproduzenten einwenden, dass auf dem Album nicht immer nur die Sonne scheint. Nein, Dodo kennt auch die dunklen Momente im Leben. In einem Song etwa bemerkt er, dass seine langjährige Freundin nicht ganz bei ihm, singt „E ghöre dini Stimm, aber nöm din Härzschlag“. Sie gesteht ihm, dass sie einen anderen liebt. Sowas tut weh, keine Frage. Wie Dodo aber darauf reagiert? Der Titel „Wäg vo do“ sagt schon alles.

Doch auch „weg von hier“ kann es gefährlich sein. Im dramatisch stampfenden „Anti Brumm“ erzählt er von seinen Erfahrungen mit dem schwarzen Afrika, genauer von seiner Malaria-Erkrankung. Und schlägt dabei gleich drei Fliegen beziehungsweise Malaria-Mücken mit einer Klappe: 1. stellt er sich selber als Abenteurer dar, der sogar im tiefsten Dschungel zurechtfindet, 2. gibt ihm das Thema die Gelegenheit, noch einen deftigen EDM-Kracher unter die ansonsten oft friedlich dahin plätschernden Nummern zu mischen (die zweite Baller-Nummer „Sturm“ ist nach dem selben Schema gestrickt) und 3. lässt sich so das ganze Fremdländische dank dem berühmten Mückenschutz noch mit einem Farbtupfer Schweiz versehen.

Auch Teaser gehören zum Profi-Release (via Youtube)

Denn bei aller Liebe zum Exotischen: In der Schweiz verkauft sich „Made in Switzerland“ halt immer noch am Besten. Sechs klassische Reggae-Nummern, zwei EDM-mässige Smasher, dazu die Ballade „Heb dure!“, in welcher ein Piano und eine Gitarre um die Kitsch-Trophäe streiten, so zeigt sich Anti Brumm in seiner Gesamtheit. Ich seh sie schon vor mir, die Teenies vom Land, wie sie mit ihren Blumenketten aus Plastik, den Strohhüten und 1.5-Liter-Bechern Sex on the Beach auf dem Heiteren oder Gurten dazu abfeiern. Wetten, dass Dodo nächstes Jahr am Argovia-Fäscht spielt?

Dass er weiss, wie es geht, das bestreite ich auf keinen Fall. Die Themen (Fernweh, Liebe, Party), die Hooklines, die simplen Songstrukturen und der Sound-Mix, der bei allen Fieberträumen und Wutausbrüchen brav radiokompatibel bleibt, sind prädestiniert für die Charts (was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum Kiffen auf diesem Album einfach gar nicht vorkommt). Dass Dodo seinen „Hippie-Bus“ mehrere Monate vor dem Album-Release, veröffentlicht hat, um ihn zum Sommer-Hit werden zu lassen, zeugt ebenfalls von seinem Verständnis.

Ich muss zugeben: Auch ich wurde in den letzten Tagen immer wieder vom einen oder anderen Refrain heimgesucht. Vor allem die Züri-Hymne „Schwarzi Magie“ attackiert mich seit einer Woche ohne Vorwarnung mindestens einmal täglich. Auch das ist übrigens etwas, was ich an Reggae-Musikern hasse: Dass sie ein Händchen für Ohrwürmer haben. Leider ist davor zu flüchten gar nicht so einfach.

Reggae-Verteidigungen nimmt Kissi gerne auf Twitter entgegen.

Weitere Meinungen zu (inter-)nationaler Musik bietet Noisey auf Twitter.