Ein Kellner trägt Essen und Getränke

FYI.

This story is over 5 years old.

Menschen

Wie es ist, ein schwuler Kellner in Wien zu sein

Mobbing bleibt Mobbing, völlig egal, wie gut jemand damit umgehen kann.

Als ich noch ein sehr kleines Mädchen war und meiner Mutter die Frage stellte, was "schwul" eigentlich heiße, hat sie geantwortet: "Das bedeutet, dass ein Mann einen anderen Mann liebt." Als meine Mutter einmal Besuch von einer Freundin hatte und ich gesehen habe, wie diese versuchte, sie zu küssen, habe ich sie gefragt: "Warum tut sie das?" "Weil sie lesbisch ist – sie mag Frauen lieber als Männer." Sie hat es mir beigebracht, als wäre es logisch. Als wäre es normal.

Anzeige

Das Thema Homosexualität war somit für mich persönlich noch nie ein Big Deal und als ich 15 war, hat sich mein Bruder mir gegenüber geoutet. Damals hatte er Angst, ich würde ihn danach nicht mehr mögen. Diese irrationale Angst seinerseits war für mich ein Schock. Mir wurde erst damals zum ersten Mal bewusst, dass Homosexualität für viele kein selbstverständlicher und normaler Teil des Lebens ist.

Mein Bruder ist Kellner aus Leidenschaft. Er trifft und traf die Menschen immer in ihrer besten Zeit: ihrer Freizeit. Beim Fortgehen sind wir ja eher ausgelassen und dank des ein oder anderen Schnapses auch etwas ehrlicher. Wie du dich als Gast verhältst, sagt ungemein viel über deinen Charakter aus. Mein Bruder und sein Freund haben verschiedenste dieser Charaktere regelrecht studiert und sie erlebt. Der Freund meines Bruders – er ist jetzt Lehrer – war in seiner Studienzeit auch in der Gastronomie tätig. Er hat aus dieser Zeit hauptsächlich positive Erinnerungen.

Allerdings, so erzählt er, weil er sich eher zurückgehalten hat. Aus dem Nähkästchen zu plaudern, ist nicht immer drin gewesen. Wenn sein Radar homophobe Personen – Gäste sowie Arbeitskollegen – aufdeckte, hat er sich sein wahres Ich versteckt.

Anzeige

Manchmal reicht es aber nicht mehr, dass man einfach nicht darüber spricht, weil es kein Geheimnis mehr ist, dass man schwul ist. Vor zwölf Jahren im Schweizerhaus – war es so, dass unter etwa 70 männlichen Angestellten keiner mit meinem Bruder zusammenarbeiten wollte. Und weil man einen Kellner auf einer Station alleine nicht arbeiten lassen kann, hat der Geschäftsführer meinem Bruder nahe gelegt, zu gehen.

"Ich hatte einen mir zugeteilten Kollegen, der nicht mehr mit mir arbeiten wollte, weil andere über mich geredet haben. Einer sah mich, als ich mit meinem damaligen Freund gebusselt habe. Nach einiger Zeit wollte keiner mehr mit mir arbeiten. Irgendwann kam dann der Geschäftsführer zu mir und meinte, es wäre besser, wenn ich aufhöre, dort zu arbeiten. Er sagte, man würde gewisse Spannungen mitbekommen und will nicht, dass jemand handgreiflich wird."

Zwölf Jahre später sieht das alles aber ganz anders aus: "Damals gab es einen allgemein anderen Zugang zu diesem Thema. Heute ist das Geschichte, es zählt bei uns die Leistung und die Freude, für den Gast gerne da zu sein. In den letzten acht Saisonen hatten wir immer wieder einige homosexuelle Kellner. Kellner arbeiten bei uns als Zweier-Team, hier ist die Chemie zwischen den Beiden das Wesentliche, nicht ihre sexuelle Orientierung." versichert uns eine Mitarbeiterin, zuständig für Gästeinformationen im Schweizerhaus.

Anzeige

Mein Bruder, sowie sein Freund, sind mittlerweie auch davon überzeugt, dass es nicht länger als zwei Generationen braucht, bis die Homosexualität auf großflächige Akzeptanz stößt.

Einmal war ein ehemaliger Chef meines Bruders auch angepisst, weil er als Letzter im Betrieb von seiner sexuellen Orientierung erfuhr. "Aber was hätte ich tun sollen? Beim Vorstellungsgespräch sagen: 'Hallo, ich bin der Soundso. Oh, by the way: Ich bin schwul …?'"

Die meisten Gäste oder Arbeitskollegen, die irgendwelche blöden Kommentare von sich geben, müssen auch nie öfter als einmal von ihm in die Schranken gewiesen werden. "Mobbing ist eher Ansichtssache", sagt er. Er hat aber einfach das Glück, mit sich und seinem Umfeld relativ d'accord zu sein und ist deswegen mit einem gesunden Maß an Selbstvertrauen ausgestattet. Denn Mobbing bleibt Mobbing, völlig egal, wie gut jemand damit umgehen kann.

Denn Mobbing bleibt Mobbing, völlig egal, wie gut jemand damit umgehen kann.

Ein Freund von mir, der DJ und Nightlife-Blogger Marc St. James, ist ebenso hauptsächlich in der Gastro tätig gewesen. Auch er hatte selten sehr unangenehme Erfahrungen machen müssen. Als er F&B Assistant im Management eines großen österreichischen Unternehmens war, hat er entschieden, seine sexuelle Orientierung für sich zu behalten. Er trug dort die Verantwortung für viele Gebiete wie Quality Management, Sales, Logistik und vor allem für die Mitarbeiterverpflegung. Er hatte das Gefühl, dass seine Arbeitskollegen ihn nicht mehr für voll nehmen würden, sobald er sich dort outet. Da er aber unbedingt an Glaubwürdigkeit behalten wollte, hat er diesen essenziellen Part von ihm bewusst zurückgehalten.

Hätte er dem Unternehmen eine Chance geben sollen? Wäre vielleicht gar nichts passiert? Auch wenn die Firmenpolitik eine fortschrittliche sein mag, nicht jeder Mitarbeiter nimmt sie sich gleich zu Herzen – oder generell an.

Dass er sich deswegen lieber verstellt und aus Erfahrung leider weiß, wie Menschen sein können, ist absolut verständlich. Wer verliert denn schon gerne seine feste Anstellung? Ich finde die Tatsache traurig, dass es für ihn und meinen Bruder normal gewesen ist, nicht immer ganz sie selbst sein zu dürfen. Sowie erst Jahrzehnte für sie vergehen mussten, bis auch die Gesellschaft mal so weit war, Intoleranz nicht mehr zu tolerieren. Und auch heute haben wir eigentlich noch einen langen Weg vor uns, denn "Awareness" reicht nicht – Akzeptanz brauchts.

** Folgt Noisey Austria bei Facebook, Instagram und Twitter. Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify.