FYI.

This story is over 5 years old.

You Need to Hear This

„Ich habe manchmal tyrannische Züge“—Interview mit HONIG

Vom Metalhead zum Folk-Sänger: Stefan Honig setzt seinem verstorbenen Vater mit dem dritten Album ein Denkmal.

Foto: Gergana Petrova

Eigentlich ist Stefan Honig ausgebildeter Erzieher, doch die kleinen Rotzblagen im Kindergarten müssen schon lange Zeit ohne ihn auskommen. Nachdem er als HONIG durch China und die USA touren durfte, fehlte einfach die Zeit, sich von schreienden Kindern mit Spielzeug bewerfen lassen zu müssen. Er kündigte seinen Job und konnte sich so voll und ganz auf die Musik konzentrieren. Das Haldern Pop Festival-eigene Label signte den Folk-Sänger und veröffentlichte sein zweites Album Empty Orchester. Dann tourte er munter durch die Gegend und lud schließlich seine ganze Band im Studio ab, um zusammen die neue Platte It's Not a Hummingbird, It's Your Fathers Ghost einzuspielen, die diese Woche erscheint.

Anzeige

Wir treffen den Düsseldorfer, der einen langen Interviewtag hinter sich hat, in der Küche des Landstreicher Booking-Büros und reden bei einer Tasse Kaffee über seine Liebe zum Touralltag, den Verlust seines Vaters und seine Metal-Wurzeln.

Noisey: Dein neues Album kommt jetzt raus. Wie groß ist die Vorfreude?
Stefan: Ich freue mich, habe aber auch ein bisschen Schiss, wie die Reaktionen werden. Davon hängt ja ab, wie unser nächstes Jahr so wird. Ob es jetzt gut ankommt oder nicht, entscheidet ja ein wenig unser Schicksal.

Woher kommen die Sorgen, habt ihr mehr experimentiert?
Nö, du fängst einfach immer wieder von vorne an. Wir haben mit der letzten Platte einen kleinen Achtungserfolg erreicht, sind aber trotzdem keine große Band. Definitiv versuchen wir das Ganze auszubauen, was die Hörerschaft angeht und da ist die Frage: „Klappt das oder klappt das nicht?“ An sich hat sich das alles schon verändert, weil wir jetzt eben eine Band sind und die Platte keine klassische Singer/Songwriter-Platte wird, sondern eher ein Band-Album. Da bin ich schon gespannt, ob die Leute, die das letzte Album gut fanden, dass neue jetzt auch noch gut finden. Ich bin da aber schon optimistisch.

Hat sich der Aufnahmeprozess verändert, seitdem HONIG zu einer Band gewachsen ist?
Die beiden Platten sind aufnahmetechnisch komplett unterschiedlich entstanden. Die letzte Platte habe ich in einem Haus in Tschechien aufgenommen. Da bin ich mit einem Tontechniker hingefahren und habe Gesang und Gitarre an einem Stück live aufgenommen. Ich war zehn Tage da und habe jeden Tag zweimal das ganze Album eingespielt. Danach habe ich mir die besten Versionen ausgepickt und sie an Freunde verschickt, damit sie etwas dazu aufnehmen. Oder ich habe mit Leuten zusammen aufgenommen und die Arrangements später hinzugefügt. Dieses Mal war es genau andersherum. Ich habe die Songs halbfertig in den Proberaum genommen und wir haben sie als Band ausgearbeitet. Wir sind erst ins Studio gegangen, als die Arrangements fertig waren. Wir sind seit zwei Jahren eine Live-Band und wussten, wo der Sound hingehen soll.

Anzeige

Bist du trotzdem noch das Mastermind von HONIG?
Ich bin ein bisschen der „Kopf“, in der Hinsicht, dass ich die Texte schreibe, mir die Gesangsmelodien und die Grundstruktur der Songs überlege. In der Gruppe habe ich aber keinen anderen Status als jeder andere. Über mich werden mindestens genauso viele Witze gemacht, da habe ich keinen Sonderstatus. Sie kennen mich auch lange genug, um mir ohne Probleme sagen zu können, wenn sie irgendwas scheiße finden.

Was ja auch wichtig ist.
Was super ist! Denke ich. Also für mich ist es total super. Es erlaubt mir ja auch, Kritik an den anderen frei zu äußern, ohne dass ich der Tyrann bin… ich habe auch manchmal tyrannische Züge, aber dann sagen die mir das auch. Manchmal bin ich eben engstirnig anderen Ideen gegenüber.

Was für Geschichten erzählst du auf dem Album?
Ich bin eigentlich kein Storyteller. Wenn ich Musik höre und mich ein Song anspricht, fängt es meistens damit an, dass mir ein oder zwei Sätze auffallen. Meist in dem Zusammenhang, wie sie gesungen werden. Von diesem Punkt aus entdecke ich die Bedeutung des Songs für mich. So gehe ich auch bei eigenen Songs vor. Es sind Ideen, mit denen ich einen Song starte, Situationen, die ich im Kopf habe. Manchmal ist es auch ein Satz, den ich total gut finde. Ich versuche immer, Bilder zu kreieren, damit sich die Hörer selber Stories ausdenken können. Ganz klassische Sachen, die einen bewegen. Trennung, Freundschaft, ganz simpel. Ich habe Angst, plakativ den Leuten vorzuhalten, was ich da gerade sagen will. Dann wird's schnell cheesy. Deswegen mag ich das Kryptische mehr. Bei der jetzigen Platte sind Titel und Artwork sehr stark von einem Urlaub inspiriert, den ich vor zwanzig Jahren mit meinem Vater gemacht habe. Wir sind damals in die USA geflogen, um mit dem Wohnmobil in sechs Wochen von Kanada über die Rocky Mountains bis nach Kalifornien zu fahren. Mein Vater ist direkt nach dem Urlaub gestorben. Da war schon immer eine prägende Geschichte für mein Leben gewesen. Ich wollte ihm mit der Platte ein positives Denkmal setzen. Es ist keine traurige Platte über Verlust oder kein tränenreicher Abschied, sondern positive Erinnerungen, die mit eingeflossen sind und für viele Bilder ein Anstoß waren.

Anzeige

Stell ich mir schwierig vor, eine konkrete Reise in kryptischen Bildern zu beschreiben. Welche Bilder nutzt du da?
Ich bin ganz oft bei Wasser. Das hat sich schon durchs letzte Album gezogen. Weil es so viel symbolisieren kann. Es geht viel über Gedanken, die ich mir übers Leben mache. Auch der Gedanke, was wäre, wenn er nicht gestorben wäre… ich bin ja im Moment happy. Ich bin froh, wo ich bin und mag, wer ich gerade sein darf. Wäre das alles so, wenn es nicht passiert wäre? Ich würde mir jederzeit wünschen, dass er nicht gestorben wäre. Andererseits ist es auch gut, wie ich daraus hervorgegangen bin. Es hat sich ja doch alles zum Guten gewendet.

Ist auch krass, in dem Moment, wo ich die Texte schreibe, habe ich ganz starke Bezüge zu einzelnen Sachen. Wenn ein Song oder Album fertig ist, dann parke ich das ganz schnell irgendwo. Der Moment wurde eingefangen und dann fällt es mir total schwer, die textliche Motivation eines Songs nochmal vollständig auszupacken. Weil ich schon komplett woanders bin. Ist auch superspannend, die Texte Jahre später nochmal zu lesen. Habe ich letztens gemacht und musste manchmal schmunzeln: „Krass, was habe ich denn da gemacht?“

Du bist schon durch China und die USA getourt. Was steht jetzt auf der Wunschliste?
Letztes Jahr war ich auf Island, aber da würde ich gerne nochmal hin. Dort habe ich in so einem alten Öltank gespielt, wo Sigur Rós auch mal ein Video aufgenommen haben. Ganz im Norden von Island, in einer kleinen Bucht. Da gibt es eine alte Heringsfabrik, wo eben der Tanker noch steht. Auf jeden Fall werden wir nächstes Jahr nochmal China machen, weil das super war. Wenn ich eine Anfrage bekomme, irgendwo zu spielen, werde ich das auf jeden Fall annehmen. Zum Beispiel habe ich wahrscheinlich die Möglichkeit, nächstes Jahr nach Italien zu fahren. Da war ich auch noch nie. Keine Ahnung wie die Leute da auf die Musik reagieren.

Anzeige

Was reizt dich am Touren am Meisten?
Das im Moment Sein. Ich liebe es, jede Nacht woanders zu pennen. Manche haben davon die Schnauze voll, aber ich mag es total gerne, mit guten Freunden unterwegs zu sein und abends spannende Leute und Orte kennenzulernen. Wenn du in Ländern wie China spielst, haben wir immer direkt mit den Locals zu tun, spielen in kleinen Läden. Wir gehen da essen, wo die Einwohner essen gehen. Du hast immer einen direkten Kontakt, gerade durch die Musik. Seitdem ich so reise, kann ich mir überhaupt nicht mehr einen Pauschalurlaub oder so vorstellen.

Mit der Band auf Tour, also viele Menschen auf engen Raum, zehrst du da von deinen Skills als Erzieher?
In meiner Band sind alle sozial ziemlich kompetent. Ich habe nie das Gefühl, dass ich aufpassen muss oder auf die Gruppendynamik ein Auge werfen sollte. Wir kennen uns schon sehr lange. Die wissen, wie sie mit meinen Macken umzugehen haben und umgekehrt. Unser Schlagzeuger hat es drauf, drei Wochen am Stück gute Laune zu verbreiten, was auch sehr wichtig ist. Das klappt echt gut. Wir hatten auf Tour noch nie einen totalen Ausfall, wo sich alle angekotzt haben. Irgendwie wissen alle zu schätzen, wie cool das ist, was wir da machen dürfen.

Du lebst zurzeit von deiner Musik und teilst dir deine Arbeitszeit selbst ein. Ist es da schwer, sich zu motivieren, Songs und Texte zu schreiben?
Es ist manchmal schwierig, gerade wenn eine Platte fertig ist, brauche ich das dann erstmal eine Weile nicht. Es fällt mir manchmal schwer, mich dazu zu zwingen, Musik zu machen. Das muss intrinsisch passieren, du musst Bock drauf haben. Obwohl das auch nicht immer stimmt. Wenn du zu lazy bist, musst du dich zwingen, jede Woche mindestens eine Stunde pro Tag Musik zu spielen. Kreativität pennt ja auch ein, du musst den Motor am Laufen halten. Wenn du die Gitarre nicht anpackst, kommen auch keine Ideen. Trotzdem brauche ich einen gewissen Abstand zum Album, bevor wieder etwas Neues beginnen kann. Wenn ich direkt danach wieder Songs schreibe, habe ich das Gefühl, dass es keinen Unterschied zum gerade Geschaffenen gibt. Ich brauche immer eine neue Etappe im Leben, etwas, dass sich ändert und mir ermöglicht, etwas ein wenig anders zu machen.

Anzeige

Du warst früher in Metalbands, welches Instrument hast du gespielt?
Ich war Sänger, also Shouter. Als ich 15 war, hatten der Schlagzeuger von HONIG und ich unsere erste Band mit dem unfassbaren Namen Mindsuffer gegründet. Unsere Vorbilder waren Sepultura und Biohazard. Es war krass, ich habe immernoch unsere erste Demo. Wie überzeugt wir damals waren, dass das ultracool ist (lacht). Wenn ich mir das jetzt anhöre, ist es sehr amüsant. Aber es hat tierisch Bock gemacht. Bei der Band danach hatte ich eine sehr starke Tool-Phase und habe angefangen, melodiös zu singen. Dann habe ich den jetzigen Gitarristen von HONIG kennengelernt und wir haben gemeinsam Akustik-Gitarren-Musik entdeckt und spielen jetzt wieder mit dem Mindsuffer-Schlagzeuger und anderen zusammen in HONIG. Es ist total faszinierend, was in den Jahren alles passiert ist. Ich wurde zwischenzeitlich auch aus der Band geworfen, weil ich eine unerträgliche Phase hatte. Ich hatte zu viel privaten Stress, den ich nicht trennen konnte und es war einfach kein Spaß mehr mit mir. Das habe ich aber jetzt im Griff, glaube ich.

Was hat hat dich dann am Folk so gereizt?
Es hat mich einfach angesprochen. Als ich Sufjan Stevens entdeckt habe, war das ein richtiger Drehmoment für mich. Aber ich feiere Refused und At the Drive-In immer noch total ab. Ich bin generell nicht jemand, der sich auf einen Musikstil festlegt. Ich höre die Platten, die mich ansprechen, ganz egal, was das ist. Ich lege immer noch mindestens einmal im Jahr eine Pantera-Platte rein und finde das megafett. Bei der Musik, die wir jetzt mit HONIG machen, habe ich gemerkt, dass ich mich da gut ausdrücken kann. Die Sachen, die ich da machen, sind die, die aus mir rauskommen. Ohne, dass ich mich verbiegen muss.

Anzeige

Folk ist ja auch von Natur aus sehr ehrliche Musik.
Genau, ich mag das Direkte. Das ist auch eine Sache, in der ich mich gesanglich total wohlfühle, wo mir das Singen einfach Spaß macht. Gerade habe ich nicht das Gefühl, dass ich eine Platte machen muss, die etwas komplett anderes ist. Ich bin happy, wo ich jetzt bin.

HONIGs Album It's Not a Hummingbird, It's Your Fathers Ghost erscheint über Haldern Pop Records. Hol es dir bei Amazon oder iTunes.

Tour Dates:
30.09. Jena - Café Wagner
01.10. Leipzig - Werk 2
02.10. Dresden - Beatpol
03.10. Berlin - Privatclub
04.10. Husum - Speicher
07.10. Stuttgart - 1210
08.10. Frankfurt - Ponyhof
09.10. Nürnberg - Club Stereo
10.10. Freiburg - Waldsee
11.10. Konstanz - Kulturladen
12.10. CH-Bern - Rössli Reitschule
14.10. AUT-Wien - Chelsea
15.10. München - Ampere
16.10. Köln - Gebäude 9
17.10. Essen - Zeche Carl
18.10. Münster - Gleis 22
19.10. Hamburg - Knust

**

Folgt YNTHT bei Facebook und Twitter.


MEHR VON YOU NEED TO HEAR THIS

Glaubt uns, es gibt auch guten Folk!

Mumford & Sons, Of Monster and Men, The Lumineers—alle stehen für unerträgliche, einfältige Radiomusik, die sich neuerdings als Folk ausgibt. Aber es gibt auch guten Folk.

Zieh endlich deinen Kopf aus deinem Arsch, Bon Iver

Justin Vernon, bist du wirklich so bescheuert, mit Bon Iver aufzuhören? So viel Überheblichkeit muss bestraft werden!

Inbegriff der Romantik oder billiges Folk-Klischee? Mighty Oaks stehen vor ihrem Debüt

Treffen sich ein Ami, ein Engländer und ein Italiener in Berlin und entscheiden, die Erben von Mumford & Sons zu werden. Ohoh.