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Der lange Weg der Arctic Monkeys

Vom Brit-Rock nach Los Angeles. Kein Wunder, dass die Stadt ihre Spuren auf „AM“ hinterlassen hat.

Schauen wir uns die Arctic Monkeys von heute an—teures Leder, zurückgegelte Haare und Riffs vom Ausmaß der wöchentlichen Tequila-Rechnung von Queens of the Stone Age—ist es wirklich schwierig sich vorzustellen, dass sie einmal Trainingsanzug tragende Rüpel waren und als leicht sarkastisch-kulturellen Seitenhieb ein Album mit dem Titel Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not veröffentlicht haben. Damals, in ihrer wilden Zeit 2006, waren sie dünne Teenager in Nylon-Jogginghosen und mussten aufpassen, dass ihre Clerasil-Wolken nicht durch die Glut einer halb aufgerauchten B&H Gold-Zigarette in Flammen aufgehen. Alex Turner war zu dieser Zeit ein schmächtiger, aber charmanter kleiner Junge, der anständige Bücher las und sich so ziemlich jeden Film, der Morrissey im Jahr 1985 gefallen hat, anschaute. Und der wollte, dass das auch jeder mitbekommt.

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Ihre Ankunft in einer Musikwelt, die von US-Künstlern dominiert wurde—die White Stripes hatten fünf Alben Vorsprung und regierten quasi die Welt—war längst überfällig. In der Zwischenzeit waren die letzten Gitarrenhelden aus Großbritannien zu einem Haufen Whitechapel Crack und schmuddeligen Offiziersjacken zerfallen.

Trotzdem schien die Karriere der Sheffield-Teens nicht auf eine komplette Lebensdauer ausgelegt zu sein. Hätten sie einen ähnlichen Weg genommen wie ihre Zeitgenossen Little Man Tate, The Dead 60s oder The Twang, wäre es mehr als fraglich, dass sie eines der besten Alben 2013 produziert hätten—und sie hätten niemals Auszüge aus Black Sabbaths „War Pigs“ in ihren Sets verarbeitet, was sie gerade tun. Statt also weiterhin die Grätsche zwischen U-Bahn-Taschendieben und Alan Bennet zu machen, beendeten sie nach acht Jahren dieses Spiel, unterzogen sich einem Makeover, das sich auf der anderen Seite der Weltkugel abspielte und schenkten uns im September nach einer phänomenalen Reihe an Headliner-Auftritten im Festivalsommer, das majestätische AM.

Eine perverse, dreckige Platte. AM ist ein smarter Verführer, der dich zwar niemals zurückrufen wird, dich aber zumindest in den Arm nimmt und dir sagt wie gut du am Morgen nach der wilden Nacht mit ihm aussiehst. Er wird dir vielleicht sogar Kaffee kochen, bevor er dieselbe Masche am nächsten Wochenende mit deiner besten Freundin abzieht.

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Die Grundlage für die Größe ihrer fünften LP wurden schon vor langer Zeit gelegt, als sie 2008 für die Sessions zu Humbug von High Green, außerhalb von Sheffield, Richtung Joshua Tree flohen um dort in Josh Hommes Studio der Sünde aufzunehmen, Rancho de Luna. Er war ein schlechter Einfluss auf die bestmögliche Art und steuerte die Band weg von George-Formby-Spielereien, hin zu einem Sexappeal, das klar von QOTSA geprägt war. Sie mögen immer noch komische Frisuren, Jeansjacken und Kaputzenpullis tragen, aber der Typ aus „Crying Lightning“ ist einen großen gemeinen und mürrischen Schritt weiter als der spitzbübische Klang ihres zweiten Albums. Favourite Worst Nightmare, das 2007 veröffentlicht wurde, enthielt vielleicht Alex Turner früheste und beste Texte, gepaart mit einer gewissen Fröhlichkeit wie auf „Florescent Adolescent” oder „505”, dem meditativen Track, der die meisten Live-Shows der Band beendet, aber mit dem dritten Album machte die Band endlich das, was sie tun musste um zu überleben: sich weiterentwickeln.

Mit Humbug kamen Streifzüge zu Tanzkurs-Balladen wie „Cornerstone“ und dem beißenden „Pretty Visitors“, das genau dort anfing, wo das frenetische „Brianstorm“ aufhörte. Offensichtlich hinterließen die Aufnahmen in Kalifornien ihre Spuren bei der vierköpfigen Truppe, denn um ihr viertes Album Suck It And See aufzunehmen, kamen sie nach Amerika zurück. Als sie in den legendären Sound City Studios in Los Angeles herumhangen, dauerte es nicht lange bis sie sich entschieden, nicht nur dort aufzunehmen, sondern in die Stadt der Smoothies, Broga und des von Neonlicht überfluteten Sunset Boulevardd mit seinen Spielunken und hübschen Mädchen, zu ziehen. Der Umzug nach LA, einer Stadt in der alles möglich ist, bewirkte allerdings nicht die erhofften Wunder für die Arctic Monkeys. Der Orts- und daraus resultierende Tempowechsel, schlug sich auf Suck It and See nieder. Auf das verführerische „Don’t Sit Down ‘Cause I’ve Moved Your Chair”, genauso wie die verpackte Romantik in „She’s Thunderstorms“. Die Monkeys erschufen eine neue Art des klassischen Brit-Rocks, mit amerikanischem Einfluss. „You look like you’ve been for breakfast at the Heartbreak Hotel”, sagt ein grinsender Alex Turner in „ Piledriver Waltz”, ein schlauer Shout Out an Elvis, vielleicht, um ihm für seine Besessenheit von Pomade zu danken? Wie auch immer, der Titeltrack—mit seinen Passagen über Löwenzahn und Kletten—bewies allen, dass auch wenn ein riesiger Ozean und ein eben so mächtiges Stück Land sie von der Heimat trennten, die Arctic Monkeys ihre Seelen nie ganz den Staaten verkauft haben. Einer der Millionen Fehler des Albums war das schreckliche, nichtexistente Artwork. Reden wir einfach nicht mehr darüber.

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Da sie nun schon etwas länger in LA leben und diese Entscheidung nicht mehr wie ein kleiner Besuch scheint, ist es logisch, dass AM von Bildern und Geräuschen ihrer neuen Heimatstadt geprägt ist. Lasst euch nicht vom Video zu „Why D’You Only Call Me When You’re High”, das am Londoner Huxton Market spielt, in die Irre leiten. Das ist eigentlich Los Angeles. Meine Aufmerksamkeit gilt Jumbo’s Clown Room, einer Bikinibar in einer sehr interessanten Nachbarschaft in East Hollywood. Wenn es nicht existieren würde, hätte es spätestens Bukowski erfunden. Courtney Love tanzte dort schon und David Lynch schrieb Blue Velvet an jenem Ort, wo die Frauen lieber zu Slayer als Flo Rida tanzen. In einer Stadt mit so vielen protzigen Plätzen und Angeboten, wo alle Barkeeper Westen tragen und schmierige Ausdrücke von sich geben, ist es der beste Ort um einen Freitagabend zu verbringen. Hier hat das Videoteam der Arctic Monkeys die Frauen aus den Musikvideos gecastet und von diesem Ort kommt auch die gewisse Schäbigkeit der Platte. Hört euch nur mal „Knee Socks” an und ihr könnt euch Matt Helders bildlich vorstellen, wie er einen Lapdance von einem Gothik bekommt, die sich Mistress Mercy nennt und ein Black-Flag-Tattoo hat. Der Opener „Do I Wanna Know?” ist im Vergleich totaler Mist.

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