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Interviews

Zehn Jahre Audiolith—wie konnte das passieren?

Zehn Jahre Party, zehn Jahre Haltung, zehn Jahre Audiolith—wir gratulieren und versuchen mit dem Audiolith-Gründer Lars Lewerenz zu klären, wie es soweit kommen konnte.

Die konspirative Zelle des Hanse-Rave oder Audiolith im engeren Sinn: Lars Lewerenz & Artur Schock

Wenn heutzutage ein Label zehnjähriges Jubiläum feiert, runzelt man erstmal reflexartig die Stirn und fragt sich, wie das passieren konnte. Wenn es dann auch noch ein Label ist, das sich abseits von Charts-Zirkus und Platinschallplattenfrisbee auf Graswurzelarbeit mit Elektro-Punk oder Zecken-Rap spezialisiert hat, dann gerät das Weltbild völlig ins Wanken. Was ist los mit dir, Krise? Wirst du nicht mal mit so einem Chaotenhaufen wie Audiolith fertig? Aber wir akzeptieren das. Unter uns: Wir finden es sogar ziemlich gut, dass es Audiolith nach zehn Jahren immer noch gibt und es nicht den Anschein hat, dass sich das Label mitsamt seinen angeschlossenen Geschäftsfeldern in nächster Zeit von irgendeiner Marktbedingung ans Bein pissen lassen würde. Ohne Audiolith, so viel ist klar, wäre es gerade ganz schön langweilig in der hiesigen Musikszene. Und weil das so ist und weil es sich gehört, den Leuten, die man mag, auch mal persönlich zum Geburtstag um den Hals zu fallen, sind wir nach Hamburg gefahren und haben uns mit Audiolith-Gründer Lars Lewerenz über die vergangenen und kommenden zehn Jahre unterhalten.

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Noisey: Dein Baby Audiolith ist jetzt mittlerweile zehn Jahre alt. Ist es eigentlich eher ein Junge oder ein Mädchen?
Lars: Das ist immer ein ‚Das’, das hat kein Geschlecht. Es ist eher ein soziales Netzwerk, das braucht kein Geschlecht. Das ist auch neben ein paar gut verkauften Platten der Erfolg von Audiolith—dieses Netzwerk. Und ich hoffe, das bleibt auch in Zukunft so. Also, das alle gesund bleiben, dass man befreundet bleibt, dass man auch mal Sachen macht, die andere nicht machen…

Was machen denn andere nicht?
Hm … ich will jetzt gar nicht sagen, die anderen machen irgendwas besser oder schlechter, sondern wir machen einfach unser Ding, das haben wir so ausbaldowert über die Jahre. Klar hat sich das auch verändert. Es ist nicht mehr so wie am Anfang, dass man einfach mal ein paar Platten rausbringt und hofft, dass die sich verkaufen. Mittlerweile ist Audiolith für mehrere Leute ein Beruf geworden, damit kommt natürlich auch eine Menge Verantwortung. Das ist es, was es in den nächsten zehn Jahren zu sichern gilt. Die ersten zehn Jahre alles schön und gut so, ich bin jetzt 36, hab ne kleine Familie am Start und jetzt geht es darum, dass zu erhalten, zu sehen, dass die Leichtigkeit nicht verloren geht, dass es nicht immer nur nach Zahlen geht und so weiter.

Ich will trotzdem noch mal kurz zurück zum Bild vom Label als Deinem Kind. Wie ist Audiolith jetzt so drauf mit zehn Jahren? Brav? Störrisch? Verzogen?
Also ich selber bin natürlich älter und habe aus Fehlern gelernt. Wir sind immer einfach losgerannt und natürlich auch oft auf die Fresse gefallen. Es ist vielleicht alles etwas überlegter. Man bespricht Sachen langfristiger, man hat einen anderen Überblick darüber, wie die Sachen funktionieren. Und das muss auch weitergegeben werden. Klar, ich bin der Typ, der seine Fresse in die Kamera hält, aber es gibt ja noch das Netzwerk drumherum, Artur, mein Partner, die Leute, die den Webshop betreuen, die Praktikanten, die Konzertveranstalter, bis zu den Leuten, die die Platten kaufen. Und das ganze Ding transparent zu halten und unsere Einstellung weiterzugeben, darum geht’s.

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Unser letztes Interview ist jetzt auch fast zehn Jahre her. Damals warst du mit dem Label irgendwo am Existenzminimum verortet. Wie hat sich das entwickelt, bist du unfassbar reich geworden?
Haha, also in den ersten vier Jahren habe ich 30 Stunden die Woche in einem anderen Job gearbeitet und habe das, was ich dort verdient habe und was mir sonst noch von Leuten geliehen wurde, ins Label investiert. Ich war damals nicht vom Erfolg des Labels abhängig. Es gab dann diesen Moment 2007, als klar wurde, es ist umfangreicher geworden, ich konnte es nicht mehr von Zuhause aus machen. Dann kam die Existenzgründung übers Arbeitsamt und dann war es plötzlich mein Job und ich hab mir ein kleines Gehalt ausgezahlt. Seit 2011 sind wir mit unseren vier Geschäftsfeldern—Label, Booking, Verlag, Merchandise—eine GmbH mit vier Angestellten, die ein okayes Gehalt bekommen. Die Praktikanten bekommen auch Geld und es ist nicht so, dass wir am Ende des Jahres den großen Gewinn abschöpfen. Wenn etwas über bleibt, investieren wir es in Dinge, die sich vielleicht erst längerfristig auszahlen. Nachhaltigkeit ist ja immer so ein leerer, herzloser Ausdruck, aber darum geht es letztendlich auch. Also auch den Leuten mal sagen: „Ey, geh mal zum Steuerberater.“ Oder: „Besorg dir mal 'n Konto und 'ne Krankenversicherung.“ Viele Sachen scheitern daran, wenn die Leute am Ende des Jahres vom Finanzamt gefickt werden. Und dann kann man auch mal so Sachen machen, wo die Leute sich fragen: „Warum verschicken die jetzt zehn Gramm Gold?“ Oder: „Warum schicken die zehn Mal 50 Euro raus an irgendwelche Redaktionen?“

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Warum waren wir eigentlich nicht in diesem Verteiler?
Haha. Kommt noch.

Audiolith hängt tendenziell immer dieses Party- und Säufer-Image an. Wie denkst du darüber und seid ihr generell daran interessiert, solche Image-Fragen zu steuern?
Ich bin total für das Image und gegen das Image. Nichts liegt mir ferner als mich selbst an den Pranger zu stellen und selbstkritisch zu sein und mich zu demontieren. Ich bin gut davor geschützt, mich für etwas Besseres zu halten. Und Party gut und schön, aber es ist eben nicht immer nur Party, es ist letztendlich eben doch harte Arbeit.

Audiolith hat ein sehr junges Publikum. Hast du manchmal das Gefühl, zu alt zu sein, um zu wissen, was die Kids überhaupt interessiert?
Ich glaube schon, dass mein Kopf nicht mehr alles erfassen kann, was so geht. Aber das muss er auch nicht mehr. Ich hatte eine Sozialisation im Hardcore/Punk-Bereich. Da war Zusammenhalt wichtig und Unabhängigkeit, DIY und so weiter. Und ich überlege manchmal, wie war ich eigentlich als Teenager—nicht auszuhalten! Leute auf Konzerten beschimpft, irgendwo hingekotzt, dies das. So sind die Kids heutzutage eben auch und das muss man ihnen verzeihen. Die Leute müssen ihren Freiraum haben und rebellieren können. Und heute ist es eben anders. Im Internetzeitalter kannst du einfach alles machen und da ist es schwieriger, diesen Halt zu finden. Und was wir machen, soll dafür einfach ein Angebot sein. Vielleicht kann man die Leute, auch wenn das jetzt doof klingt, da ein bisschen beeinflussen oder das weitergeben, was einem in der eigenen Jugend wichtig war. Die Leute können ja auch mit dem Label mitwachsen. Die müssen sich ja nicht schämen, dass sie irgendwann mal Egotronic gehört haben. Das Label ist sehr offen für viele verschiedene Genres. Mit Elektro-Punk haben wir angefangen, aber mittlerweile findest du ja von Drum’n’Bass, Techno über Zecken-Rap, HipHop bis Punkrock alles Mögliche auf dem Label. Ist natürlich auch eine Herausforderung, die Leute da mitzunehmen und zu sagen: „Digger, wir haben nicht nur Elektro-Punk, da sind auch noch ein paar geile Singer-Songwriter, hör dir das mal an…“

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Bei diesem anything-goes-Ansatz bekommst du doch bestimmt auch Demos aus den verschiedensten Richtungen. Was war die absurdeste Demo, die mal auf deinem Schreibtisch gelandet ist?
Es funktioniert gar nicht so sehr über Demos. Es läuft immer über die Menschen, die man so kennenlernt. Es ist auch nicht so, dass wir zum Selbstzweck immer weiter wachsen wollen. Wenn’s dicht ist, dann isses eben dicht. Mit diesen Stammleuten, die wir über die Jahre um uns geschart haben, wo es ja auch viele Überschneidungen gibt, ist schon genug zu tun. Es hat sich auch oft gezeigt, dass es am Ende immer um den Menschen geht. Ein gutes Album schreiben kann heutzutage jeder. Aber der eine bringt es dann in der live-Situation nicht oder ist einfach charakterlich Scheiße und darum war es uns immer wichtig, dass die Leute auf dem Label uns auch menschlich nahe stehen. Da sind dann auch böse Überraschungen eher unwahrscheinlich.

Man hat das Gefühl, das allgemeine Krisengerede in Bezug auf die Musikindustrie hat etwas nachgelassen. Wie empfindest du den Status Quo aus der Perspektive eines Label-Betreibenden?
Uh, komplexe Frage. Krise war immer so: Die Leute, die am lautesten geschrien haben, wurden auch am ehesten gehört. Klar sind auf vielen Seiten Sachen verpennt worden und es ist nun mal so wie es ist. Ich bin aber eher Fan davon, positiv in die Zukunft zu gucken und transparent zu agieren, sich den neuen Bedingungen auch anzupassen. Wir haben ja in den zehn Jahren einige Veränderungen mitbekommen, den Aufstieg und Fall von Myspace zum Beispiel. Wir wissen aber auch, dass man kritisch bleiben und nicht immer sofort gleich alles mitmachen muss.

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Braucht man als Künstler überhaupt noch ein Label?
Ich finde ja. Wir halten den Leuten den Rücken frei, damit sie kreativ sein können. Es heißt zwar oft, keiner braucht mehr Labels, kann man doch alles selber machen. Aber wer macht denn die Hintergrundarbeit? Klar, kann man es selber machen, es ist ja jeder seines eigenen Glückes Schmied, aber es wird oft vergessen, dass die Unabhängigkeit, die das Internet bietet, auch zur Falle werden kann. So jemand wie Radiohead kann halt ein Album für umsonst im Netz anbieten, aber das kannst du ja nicht mit dem vergleichen, was wir so machen. Da ist oft auch viel gefährliches Halbwissen im Spiel.

Was ist der Lieblings-Audiolith-Act deines kleinen Sohnes?
Captain Gips. Der feiert so hart Captain Gips. Auch Neonschwarz. Der kennt sich auch total gut aus. Der weiß, das ist Johnny Mauser, das ist Marie Curie von Neonschwarz und er singt schon viele Sachen mit.

Wie alt?
Der wird im November drei. Letztens hat er nachts geschrien. Ich rüber und frag ihn: „Was los?“ Und er: „Iiich wiiiill Captain Gips hööööreeen!!!“ Ich so: „Oskar, ey, es ist drei Uhr nachts, du kannst jetzt nicht Captain Gips hören.“ Der flasht auf die Texte. Dadurch hat er wahrscheinlich auch Scheiße und Kacke gelernt, haha.

Ihr veröffentlicht zum Jubiläum einen Sampler. Warum braucht man den?
Der Sampler ist eigentlich unser Geburtstagsgeschenk. Sozusagen von den Künstlern an das Label und umgekehrt. Das ist so eine Art Werkschau, da wird die Bandbreite von dem abgebildet, was wir gerade so machen. Es ist eine Doppel-CD. Auf der einen Seite sind eher so die Bands drauf, auf der zweiten CD sind eher die DJs vertreten. Und natürlich auch ein kleiner Ausblick auf die Zukunft.

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Weil Audiolith die korrekten Typen sind, die sie sind, wollen sie noch nicht mal Geschenke zum Geburtstag. Im Gegenteil, sie schenken euch den Jubiläums-Sampler Ten Years From Now einmal auf CD und einmal auf Vinyl. Um die Dinger zu gewinnen, schickt eine Mail mit dem Betreff "Audiolith" an .

Wer nicht gewinnen will, kann auch kaufen. Hier:

Audiolith - Ten Years From Now (Still Doin' Our Thing #3)
2CD: http://bit.ly/1evUzjC
2LP Gatefoldcover incl. Downloadcode: http://bit.ly/17RrOsM
iTunes: http://snip.ftpromo.net/audiolithitms

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