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St. Vincent ist die Queen des musikalischen Eklektizismus

Künstlerische Einzigartigkeit, eine Utopie? St. Vincent macht vor, wie es gehen kann. Diese Woche kam ihr fünftes, selbstbetiteltes Studioalbum raus.

„Bleib so, wie du bist! Bleib dir selber treu!“ Und Jahre später dann: „Du hast dich gar nicht verändert!“ Die immer gleichen Phrasen der großen Verabschiedungen und meist unangenehmen Wiederbegegnungen.

Auf solches Gelaber scheißt Annie Clark alias St. Vincent—muss sie ja irgendwie auch. Sonst würde sie schließlich heute noch im Chor von The Polyphonic Spree hippiemäßig rumträllern oder brav im Hintergrund für Sufjan Stevens in die Tasten und Saiten greifen. Darauf hatte die junge Multi-Instrumentalistin aus Oklahoma offensichtlich keinen Bock. Zudem brodelte es in Curly Annie wie in jeder aufstrebenden Künstlerin. Der Drang zur musikalischen Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit schien ihr keine Ruhe zu lassen—Output war also angesagt.

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Im Jahr 2007 kam das Debütalbum Marry me. Auf dem schlicht gehaltenen Cover Annie im Portrait, unschuldig-süß dreinschauend wie ein Mischung aus Reh und Lamm. Dazu der Titeltrack: „Marry me, John. Marry me, John. I'll be so good to you“. Wer will da nicht John sein? Repräsentativ für den Sound St. Vincents im allgemeinen war die Klavierballade aber nicht. Tracks wie „Jesus Saves, I Spend“ oder „Your Lips Are Red“ gingen entschieden mehr nach vorne, offenbarten eine komplexere Art von Musik—female progressive Indie, oder so ähnlich? Die passenden Etiketten gingen schon damals aus. Schließlich tobte sich die vor Inspiration sprühende St. Vincent kompositorisch aus als wäre sie manisch. Der tiefe und geschulte Griff in die musikalische Trickkiste brachte dabei Songs hervor, die zwischen den gängigen Schubladen und Genres—Pop, Rock, Jazz, Klassik und Elektronik—lässig hin- und herzuschalten vermochten.

Auf den Nachfolger Actor waren zwei Jahre später selbstverständlich viele—egal ob Kritiker, Fan oder Sympathisant—neugierig. Das schwierige zweite Album? Für St. Vincent offensichtlich ein Mythos, nicht mehr als eine überbewertete Plattenkritiker-Phrase. Denn der musikalische Eklektizismus Annie Clarks sollte jetzt munter, fröhlich und spektakulär in die zweite Runde gehen. Der pushende Opener des Albums, „The Strangers“—und nicht nur der—ließ unverzüglich jeden Zweifel an den Skills des musikalischen Wunderkindes im Keim ersticken. Diese St. Vincent musste hochbegabt sein.

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Nach dem dritten Album, Strange Mercy betitelt und wieder pünktlich im Zweijahresrhythmus abgeliefert, gingen 2012 dann aufgeregte „Huis!“ und „Ohos!“ durch die Musikpresse. Curly Annie wollte es daraufhin so richtig wissen und kollaborierte auf The Love Giant mit dem Talking Heads-Mastermind David Byrne. In Teamarbeit feilte man an contemporary Popsongs: Bläser im Hintergrund, Anleihen von Soul, R'n'B und Trip-Hop im Vordergrund. Mit den Vocals wechselte man sich gleichberechtigt ab. Ohne Frage eine der aufregendsten Platten des Jahres!

Angekommen in 2014 nun der neueste Geniestreich St. Vincents. Und wieder ist ihre Musik stilistisch so bunt, frisch und aufregend wie ein Gemälde Jackson Pollocks. Allein die ersten drei Songs der Platte führen eindrucksvoll vor, welche stilistische Bandbreite ein musikalischer Eklektizismus generieren kann: Es groovt, es bounct („Rattlesnake“). Knackige Gittarenriffs treffen auf fette Synthies („Birth in reverse“). Eine Ballade mit Drumcomputer und Chor („Prince Johnny“), vielleicht der beste Song der Platte.

St. Vincents Mut, die Stränge musikalischer Traditionen miteinander zu verknoten und so neue, expressionistische Stilmixe zu kreieren, kann man eigentlich nur bewundern. Stolz und erhaben sitzt sie auf ihrem eigenen Thron. Er ist pink!

St. Vincents aktuelles, selbstbetiteltes Album bekommt ihr bei Amazon oder iTunes.

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