Menschen

Wir haben mit einem Bestatter über den Tod gesprochen

"Ich persönlich habe ein gutes Verhältnis zum Tod, vor allen Dingen zu meinem eigenen."
Der Bestatter Dominik Kleinen steht vor gestapelten

Gestorben wird immer. Aber vor allem im letzten Jahr gab es eine enorme Übersterblichkeit. Schwere Krankheit und Tod waren plötzlich Dinge, über die auch junge Menschen sich Gedanken machen mussten. Aus Rücksicht auf ältere Verwandte, aber auch, weil man ja nie wissen kann: Würde ich an Covid sterben?

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Von 48.000 Toten mehr als im Durchschnitt spricht das Statistische Bundesamt. Verantwortlich ist, klar, das Virus. Aber auch der heiße Sommer. Dominik Kleinen ist 38 und arbeitet bei Grieneisen Bestattungen. Das Unternehmen hat in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhunderts mehrere deutsche Kaiser unter die Erde gebracht, nämlich alle. Er hat jeden Tag mit dem Tod zu tun. Wir haben ihn gefragt, wie er damit umgeht.


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VICE: Hallo Dominik, wie stehst du zum Tod?
Dominik Kleinen:
Ich habe keine Angst davor. Wobei man das natürlich nicht mit dem Prozess des Sterbens verwechseln darf. Davor habe ich durchaus Angst. Der Übergang vom Leben zum Tod kann sehr leidvoll sein. Aber vor dem Zustand tot zu sein habe ich alles andere als Angst. Im Gegenteil. 

Im Gegenteil?
Ich bin eigentlich froh, dass ich weiß, irgendwann ist das auch alles mal vorbei. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als die Vorstellung, ewig leben zu müssen. Das wäre der absolute Horror. 

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Warum? 
Das wäre wie im Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Für mich bildet der Tod eine wichtige Hintergrundfolie zum Leben, weil das Leben dadurch überhaupt erst schön wird. Alles, was für uns wertvoll ist, alles, was einen schönen Moment ausmacht, ist nur deshalb schön und wertig, weil es vergänglich ist.

Wie meinst du das?
Manchmal ist man mit jemandem zusammen und empfindet auf einmal ein unglaubliches Glück. Man könnte fast weinen, weil es so schmerzlich schön ist. Oder wenn man ein schönes Musikstück hört. Ich glaube, dass das damit zu tun hat, dass wir in dem Moment einfach begreifen, dass diese Momente endlich sind. 

Offene Särge neben einem Porträt des Bestatters Dominik Kleinen

Man empfindet das Glück wegen des Schmerzes im Glück.
Durch den Tod kommt alles in die Balance. Deshalb würde ich sagen, habe ich persönlich ein gutes Verhältnis zum Tod, vor allen Dingen zu meinem eigenen.

Hast du so auch zu deinem Beruf gefunden?
Ich hatte zumindest immer dieses Verhältnis zum Tod. Und als ich vor fünf Jahren den Beruf ergriffen habe, habe ich auch erkannt, dass ich mich immer schon mit dem Thema beschäftigt habe. Ich habe mich zum Beispiel schon als Kind sehr für Totenmessen interessiert. 

Für Totenmessen?
Ich bin von Haus aus ein musikalischer Mensch und die Musik zu den Totenmessen, das Requiem von Mozart und auch das von Verdi, das fand ich immer aufregend. In der Phase hat sich meine Mutter auch mal Sorgen gemacht. Aber ich habe natürlich nicht nur solche Musik gehört. Und doch ist das auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Insofern hat der Beruf eher mich gefunden.

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Wie haben deine Freunde auf deinen Beruf reagiert?
Zuerst waren sie irritiert und dann sehr interessiert. Ich habe gemerkt, dass es einen unglaublichen Gesprächsbedarf über dieses Thema gibt. Dass Menschen Personen brauchen, denen sie vertrauen, um ihnen solche intimen Fragen stellen zu können.

Was sind das für Fragen?
Viele wollen einfach wissen, was mit ihnen passiert, wenn sie tot sind. Wie sieht das aus? Wie fühlt sich das an? Auch wie riecht das? Was passiert also mit meinem Körper. Außerdem wollen viele diese Mythen rund um die Bestattung überprüfen. 

Was für Mythen?
Die fragen dann, ob bei uns schon mal jemand wieder aufgewacht ist. Gibt es bei uns so etwas wie Scheintote? Ich kann sie dann beruhigen: Nein, bei uns ist noch keiner lebend wieder rausgekommen. 

Fürchtest du den Tod von anderen?
Natürlich habe ich Angst, Menschen, die ich liebe, zu verlieren. Andererseits weiß ich natürlich, dass ich mich damit auseinandersetzen muss. Aber ich glaube nicht, dass mir das leichter fällt, nur weil ich Bestatter bin. Durch den Schmerz muss ich durch, wie jeder andere auch. Davor habe ich nicht unbedingt eine panische Angst. Aber es ist nichts, was ich möchte.

Erwarten Menschen, die dir nahestehen das von dir?
Als im weiteren Familienkreis jemand verstorben war, kam gleich die Frage, ob ich bei der Beerdigung helfen könnte. Natürlich tue ich das dann, aber damals dachte ich mir auch, dass ich nicht die Bestattung organisieren will, wenn jemand aus meinem direkten Umfeld verstirbt. Ich will das Recht haben, schwach zu sein. 

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Wie gehst du damit um, dass du ständig Menschen in ihren schwächsten Momenten erlebst?
Wenn ich bei Trauerfeiern bin, die Musik gerade anfängt zu spielen und ich neben der Musikanlage stehe, da kommen mir manchmal die Tränen. Auch im Gespräch passiert mir das ab und zu. Ich habe meinen Chef gefragt, ob das unprofessionell ist. Er meinte, nein, im Gegenteil. Das zeigt eher, dass du empathisch bist und emotional verstehst, was da passiert. 

Der Bestatter Dominik Kleinen steht in einem gefliesten Raum, an einer Wand hängen Holzkreuze

Aber nimmst du diese Emotionen dann mit nach Hause?
Zu Hause ist alles in Ordnung. Ich kann danach auch meinen Kaffee trinken und mich wieder normal unterhalten. Ich sehe mich als eine Art Resonanzkörper. Die Emotion ist wie ein Klang, der sich im Raum ausbreitet. In mir klingt diese Emotion mit. Aber sie ist nicht meine eigene. Dieses Bild hilft mir, damit umzugehen. Und es ist schön, wenn die Menschen sehen, dass ich dafür empfänglich bin. Dass ihre Emotionen in mir klingen. So entsteht eine Verbindung. 

Was hat sich durch Corona in deiner Wahrnehmung des Todes verändert?
Für mich persönlich eigentlich nichts. Die Frage ist natürlich, wie ich meinen Beruf als Bestatter unter diesen Umständen richtig ausüben kann. 

Was hat sich denn außer der gestiegenen Zahl der Verstorbenen noch verändert?
Es fehlt die Nähe zu den Angehörigen. Das hätte ich gar nicht so vermutet. Wir drücken die Menschen ja sonst auch nicht ständig oder so. Aber man beugt sich eben doch mal über den Tisch, umfasst ihre Hand mit den eigenen. Oder man berührt sie am Ellbogen, als unterstützende Geste. Das fällt alles weg. Die Arbeit funktioniert außerdem vor allem nonverbal. Durch die Maske sieht man die Hälfte der Mimik gar nicht mehr.

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Wie erleben die Angehörigen die Pandemie?
Es verändert sich viel. Im letzten April kam eine ältere Frau zu uns. Ihr Mann war im Februar in die Reha gegangen, kurz bevor Corona ausbrach. Also durfte sie ihn nicht besuchen. In der Reha hat er sich dann infiziert und kam auf die Intensivstation. Da durfte sie auch nicht hin. Als er starb, hatte die Frau ihren Mann seit Februar nicht mehr gesehen. Und dann konnte sie ihn auch bei uns nicht nochmal sehen. 

Wieso?
Anfangs wusste man noch nicht, wie gefährlich Körper von Infizierten sind, man durfte also nicht einfach so am offenen Sarg Abschied nehmen.

Hast du ihr dann etwas anderes bieten können?
Sie hatte sich damit schon abgefunden. Stattdessen haben wir mit Sargbeigaben gearbeitet. So hatte sie zumindest die Gewissheit, dass ihr Mann etwas bei sich hatte, was sie ausgesucht hatte. So eine Art der indirekten Berührung. 

Planst du auch deine eigene Beerdigung oder überlässt du das den Hinterbliebenen?
Die Menschen, die mir sehr nahestehen, wissen, was mir wichtig ist. Ich möchte zum Beispiel nicht verbrannt werden. Solche wichtigen Informationen brauchen Angehörige.

Wie wünschst du es dir stattdessen?
Ich würde gern überirdisch bestattet werden. In einem Sarg, der genügend Luft bekommt. Es gibt Friedhöfe, in Buenos Aires zum Beispiel, wo auch Evita Perón beigesetzt ist. Die sehen eher aus wie kleine Städte voller Reihenhäuschen, die ganz eng aneinander stehen. Das sind kunstvoll verzierte Gruften, in denen die Särge offen drinstehen. Teilweise verfallen sie, dann wachsen da Bäume raus. Friedhofstraditionen verschiedener Kulturen sind ein unerschöpfliches Thema.

Welche fasziniert dich noch?
Die Himalaya-Bestattung zum Beispiel. Im Gebirge ist der Boden ja entweder felsig oder vereist, also können die Verstorbenen nicht feuer- oder erdbestattet werden. Sie werden daher zerteilt und auf eine Anhöhe getragen, wo sie dann den Vögeln als Nahrung dienen. Das klingt für uns vielleicht etwas verstörend. Aber man kann es auch so sehen: Sie werden wieder Teil der Natur und des Himmels.

Würdest du nach dem Tod lieber als Tier wiedergeboren werden, oder in den Himmel kommen?
Ich bin zwar katholisch aufgewachsen, war sogar Messdiener, aber hatte dann später meine Probleme mit der Institution Kirche. Heute möchte ich einfach nicht mehr sein. Man kann sich die eigene Inexistenz zwar kaum vorstellen, aber ich glaube, dass das der befreiendste Zustand überhaupt ist. 

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