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Was ist der "Free Use"-Fetisch und warum reden alle darüber?

Die neueste Obsession des Internets ist der Wunsch, jederzeit und überall sexuell "benutzt" zu werden. Aber vielleicht muss nicht jeder Kink für Content ausgeschlachtet werden.
Auf einer Collage sind Zeichnungen von Menschen, die Sex haben.
Collage: Cath Virginia

TikTok ist kinky, trotz all der Zensur von expliziten Inhalten und nicht jugendfreien Wörtern. Seit den Anfängen der App haben Leute clevere Methoden gefunden, um über ihre Fetische, BDSM-Praktiken oder Sex generell zu sprechen. Aber ein Fetisch, der dort in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit erregt, lässt sich unzensiert beim Namen nennen: Er heißt ganz einfach "Free Use", also "freie Verfügbarkeit".

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Ein Free-Use-Fetisch ist, einfach gesagt, der Wunsch, jederzeit und überall von jemandem sexuell benutzt zu werden. Der Kink galt mal als nischig, aber jetzt gibt es mehr Content dazu als je zuvor. Ihm sind mehrere NSFW-Subreddits gewidmet, einer davon hat 1,4 Millionen Mitglieder. Einige TikToks zu dem Thema wurden mehrere Millionen Mal angeschaut. Einerseits normalisieren diese Communitys und Videos den Kink und bringen Menschen damit in Kontakt, die sonst nie davon gehört hätten. Andererseits ist er nicht unumstritten.

In der Praxis ist Free Use eine Vereinbarung zwischen zwei einwilligenden Erwachsenen. Eine Person hat die Freiheit, ohne Nachfrage oder Vorspiel Sex zu initiieren, ob die andere Person beschäftigt ist, schläft oder was auch immer. Im Grunde ist das eine Erweiterung der Sub- und Dom-Rollen, wie sie auch in vielen anderen Kinks vorkommen, die mit BDSM zu tun haben. Zumindest im Ansatz wird die Autonomie abgegeben, sodass man von der Notwendigkeit befreit wird, Entscheidungen zu treffen.

Wie bei den meisten anderen Kinks hängt es aber von den Interessen und Grenzen der Beteiligten ab, wie genau dieses Arrangement aussieht. Während manchen die Vorstellung des Konzepts "jederzeit und überall" gefällt, verankert die Mehrzahl den Fetisch mit ein paar Regeln in der Realität. Wie Isabelle Kohn 2021 für das Magazin MEL schrieb, wird Free Use oft nur in den eigenen vier Wänden ausgelebt. Oft werden bestimmte Einschränkungen festgelegt, zum Beispiel kein Sex beim Kochen oder bei der Arbeit. Außerdem haben beide Beteiligten immer noch das Recht, sich der anderen Person aus welchen Gründen auch immer zu verweigern.

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Was den Kink für viele spannend macht, ist die Grundidee, fast nie Nein zu sagen und zu einem Objekt zu werden, das nach Belieben benutzt werden kann. Und genau diese Begierden haben in den sozialen Medien die Diskussion und die Kritik rund um Free Use angeheizt.

Im August sind Dutzende Videos zu Free Use viral gegangen. Eines mit über zwei Millionen Klicks zeigt eine junge Frau, die mit dem Kopf zu einem Beat wippt, und den Text: "Ich vor ein paar Jahren, als ich dachte, dass ich es nur ein bisschen härter mag". Dann ändert sich der Rhythmus und die Worte "Free Use" erscheinen, als wäre sie überrascht, diesen Kink unter ihren anderen sexuellen Interessen entdeckt zu haben. Ein anderes Video mit 300.000 Aufrufen zeigt eine Frau zu der Schrift: "Wenn er sagt, er liebe die Sommerkleider-Saison, mich diese Woche aber noch kein einziges Mal free used hat". Ihre Lippen bewegt sie zur Audiospur, die jemanden beschuldigt, ein Lügner zu sein. Der Top-Kommentar lautet: "Wie bin ich in dieser Ecke von TikTok gelandet, das ist schon das vierte Video in 30 Minuten".

Durch die Popularität dieser Videos auf TikTok sind einige Diskussionen darum zu Twitter übergeschwappt. "Die Yassifizierung von Vergewaltigung. Bitte fragt euch, warum ihr das wollt", liest man in einem Tweet mit Screenshots der Videos.

Die meisten Menschen, die Free Use praktizieren, würden aber wohl bestreiten, dass der Kink irgendetwas mit Vergewaltigung oder Vergewaltigungsfantasien zu tun hat. Auch wenn manche eine Überschneidung zu "einvernehmlicher Nichteinwilligung" sehen, wobei auch Vergewaltigungsmotive ins Spiel kommen können, ist das bei Free Use nicht zwangsläufig der Fall. 

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Auf dem Subreddit r/FreeUse etwa werden die meisten Beiträge von der Frau verfasst, die "benutzt" wird und dort als glückliche Teilnehmerin auftritt. Sie spielt vielleicht Nintendo Switch während sie Sex hat, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendetwas ohne Einvernehmen passiert. Es geht gerade darum, ohne jegliches Flirten oder Getue von Animal Crossing zu Gevögeltwerden überzugehen. Statt Gegenwehr oder Widerwille scheint ein Hauptmerkmal von Free Use fast Langeweile zu sein. 

Das soll nicht heißen, dass die Dynamik – und vor allem das Posten darüber auf TikTok – keine Kritik rechtfertigt, etwa über die Objektifizierung, das Verwischen der Grenzen des Einverständnisses und die Verbreitung des Kinks auf Plattformen, die von Jugendlichen bevölkert werden.

Wie jede BDSM-Dynamik – und Sex im Allgemeinen – erfordert Free Use ein Level an Kommunikation, das in den kurzen Clips, die den Fetisch glorifizieren, nicht erreicht wird. Stattdessen stellen sie unausgewogen die skandalöseren Aspekte dar. Fast jedes Video wird geteilt, um subtil eine OnlyFans-Seite zu bewerben, wozu sich diese kurzen, provokativen Videos perfekt eignen.

Wie so oft in unserer Gesellschaft wurde hier etwas Persönliches und Vielschichtiges in eine konsumierbare Form gepresst. Wenn man auf TikTok mitteilt, dass man einen Free-Use-Fetisch hat, macht man das zu seiner öffentlichen Persönlichkeit. Wen interessierts, ob es dir gefällt, wenn dein Freund mit einem Ständer zu dir kommt und sofort einen Blowjob erwartet? Warum muss man das auf Social Media teilen? 

Die Antwort ist natürlich: für die Aufmerksamkeit. Mit Kinks wie Free Use ist ein Gefühl der Grenzüberschreitung verbunden. Es ist aufregend, weil es tabu ist, privat und schmutzig. Wenn es so öffentlich im Internet gepostet wird, vor allem ohne weitere Erklärungen der Voraussetzungen und Zusammenhänge, wird es einfach nur zu einem Spektakel. Die Grenzüberschreitung geht verloren. Stattdessen werden die Posts zum Futter von Twitter-Debatten. Und daran ist überhaupt nichts heiß.

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