Eine Illustration mit einer Hand, die eine Frau würgt, Vergewaltigungsfantasien sind weit verbreitet, aber haben nichts mit richtigen Vergewaltigungen zu tun.
Illustration: Djanlissa Pringels
Sex

Ich habe Vergewaltigungsfantasien: Ist das schlimm?

"In meiner Fantasie werde ich von meinem Date unter Drogen gesetzt und er macht dann mit meinem Körper, was er will."

"Frag VICE" ist eine Artikelreihe, bei der uns Leserinnen und Leser bitten, ihnen bei verschiedenen Problemen zu helfen - egal, ob es sich um Beziehungsprobleme oder den Umgang mit nervigen Mitbewohnern handelt. Dieses Mal hoffen wir, einer Leserin zu helfen, die mit einigen ihrer Sexfantasien hadert.

Hi VICE,

ich stehe kurz vor dem Uniabschluss und mir geht es besser denn je. Ich habe einen lieben Freundeskreis, an der Uni läuft es super und auch beim Dating kann ich mich eigentlich nicht beschweren. Es gibt da nur eine Sache: Mir macht Sex nie wirklich Spaß. Wenn ich ehrlich bin, hat er das noch nie.

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Meine größte Sexfantasie ist es, "vergewaltigt" zu werden. Also, ich nenne es Vergewaltigung, aber es ist kompliziert. In meiner Fantasie werde ich von meinem Date unter Drogen gesetzt und er macht dann mit meinem Körper, was er will. Aber ich will auch, dass es in einer sicheren Umgebung und einvernehmlich passiert. Die Vorstellung, dass mich jemand Fremdes zum Sex zwingt, finde ich dagegen grauenvoll. 


Auch von VICE: Was kostet es, einen Vergewaltiger vor Gericht zu bringen?


Bis jetzt habe ich mich noch nie getraut, meinen Partnern von meiner Fantasie zu erzählen. Ich habe Angst, dafür verurteilt zu werden. Außerdem weiß ich nicht, wie ich es am besten ansprechen soll. Momentan stelle ich mir beim Sex manchmal vor, dass er gegen meinen Willen passiert. Manchmal sage ich, dass ich total müde sei, aber er ruhig weitermachen könne. Allerdings fassen meine Partner das häufig als subtile Zurückweisung auf. Einer hat mir sogar mal gesagt, er würde sich dann eklig fühlen. Das hat nicht gerade geholfen.

Manchmal frage ich mich: "Warum bist du so verklemmt? Es ist doch nur eine Fantasie, eine Form von BDSM." Aber dann denke ich an die vielen Menschen, die tagtäglich sexuell missbraucht werden. Sollte ich mich als Feministin nicht dafür schämen, ihr Trauma zu meiner Fantasie zu machen?

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Häufig denke ich an meine Schulzeit. Schon als Teenagerin konnte ich Sex auch nicht wirklich genießen. An unserer Schule war Slutshaming weit verbreitet. Ich schämte mich dafür, meinen sexuellen Gefühlen nachzugeben. Nach einem One-Night-Stand galten Mädchen bei uns nicht länger als etwas "Besonderes" – und ich wollte natürlich besonders sein.

Ich frage mich also: Stammen meine Sexfantasien aus einer falschen Vorstellung von Sex? Oder anders ausgedrückt: Stimmt mit mir etwas nicht? Und falls das alles OK sein sollte: Wie erzähle ich meinen Partnern am besten von meiner Fantasie? 

Danke

K.


Hi K.,

erstmal, du bist nicht allein. Sogenannte Vergewaltigungsfantasien gehören zu den am weitesten verbreiteten Sexfantasien unter Frauen. Eine 2009 durchgeführte Befragung von 355 Frauen kam zu dem Ergebnis, dass sich 62 Prozent von ihnen mindestens einmal vorgestellt hatten, vergewaltigt zu werden. Die Mehrheit der Befragten gab an, diese Gedanken mehrmals im Jahr zu haben, 14 Prozent dachten wöchentlich daran. In einer anderen Umfrage unter 4.175 Menschen gaben 2018 zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer an, Vergewaltigungsfantasien zu haben.

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Dabei ist der Begriff Vergewaltigungsfantasie irreführend. Der Psychologe Leon F. Seltzer schreibt in einem Artikel für Psychology Today, dass Menschen mit diesen Fantasien es nur erregend finden, einvernehmlich zum Sex gezwungen zu werden, so paradox das klingt. Die Vorstellung, wirklich vergewaltigt zu werden, stoße sie hingegen ab. So schreibst du es ja auch in deinem Brief. Seltzer schreibt, dass eine Vergewaltigung für jeden eine schreckliche Erfahrung sei – ganz egal, was für Sexfantasien die Person hat.

Stattdessen bietet sich der Begriff Consensual Non-Consent oder kurz CNC an, der aus der BDSM-Szene stammt. Bei dieser einvernehmlichen Uneinvernehmlichkeit, auf Deutsch auch Metakonses genannt, wird ganz klar zwischen einer echten Vergewaltigung und einer Sexfantasie unterschieden, bei der man zum Sex gezwungen wird. Dazu gehören auch Rollenspiele, die uneinvernehmlichen Sex beinhalten und in denen eine Person die Täterrolle übernimmt und die andere die Opferrolle.

Aber selbst mit dieser wichtigen Abgrenzung gehört der Metakonsens zu den schwierigsten BDSM-Spielarten. Woher weißt du vorher, was dir wirklich gefällt? Wie setzt du Grenzen, wenn es bei dem Rollenspiel darum geht, Grenzen zu überschreiten? Und was steckt hinter diesen verwirrenden Sehnsüchten?

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Laut dem niederländischen Sexologen Yuri Ohlrichs geht es bei diesen Fantasien nicht um Gewalt, sondern um das Bedürfnis, sich vollständig zu ergeben. "Diese Fantasien drehen sich um die Sehnsucht, beherrscht zu werden", sagt Ohlrichs. "Man gibt sich der anderen Person komplett hin. Aber einvernehmlich. Das ist nicht das, was bei einer Vergewaltigung passiert." Deswegen widerspricht es sich auch nicht, diese Fantasien zu haben und gegen Gewalt gegen Frauen zu demonstrieren. Sie sagen nichts darüber aus, wie feministisch du bist.

In einem 2021 erscheinen Artikel in Psychology Today erklärt der Sozialpsychologe David W. Wahl, dass es mehrere Gründe dafür geben kann, warum sich jemand zu Consensual Non-Consent hingezogen fühlt. In sehr seltenen Fällen dienen demnach Rollenspiele mit sexualisierter Gewalt dazu, der betroffenen Person nach einer traumatischen Erfahrung wieder ein Gefühl der Kontrolle zu geben. Für andere seien diese Rollenspiele eine Möglichkeit, gesellschaftlich weniger anerkannte Sexualpraktiken ausleben zu können, ohne sich dafür schlecht fühlen zu müssen – wie zum Beispiel auch harten Sex. Wenn man im Zuge eines Rollenspiels zu einer Sache gezwungen wird, hat man nicht das Gefühl, für sein Verhalten verantwortlich zu sein.

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Viele Menschen interessierten sich auch einfach für diese Metakonsens-Spiele, schreibt Wahl, weil sie generell experimentierfreudig sind. Das gilt insbesondere für selbstbewusste und sexpositive Menschen.

Eine Studie von 2012 mit 355 Frauen überprüfte die letzteren beiden Thesen und ergänzte noch eine dritte, welche die Forscherinnen und Forscher die "Begierde-Theorie" nannten und die bis dahin noch nicht wissenschaftlich untersucht worden war. Nach dieser lasse sich das Interesse mancher Menschen an dieser Art von Rollenspiel auch damit erklären, dass die Frauen in dieser Fantasie so attraktiv und unwiderstehlich sind, dass ihre Partner sich nicht mehr beherrschen können. Das heißt, die Fantasie kann laut den Forschenden beides sein: "eine Quelle sexueller Erregung und ein Mittel zur Unterstützung ihres Selbstbewusstseins", heißt es in der Studie.

Interessanterweise fand die Umfrage keinen Beleg für die Theorie, dass Menschen diese Fantasien ausleben, um Schuldgefühle zu vermeiden. Stattdessen fanden die Forschenden eine moderate Bestätigung für ihre Begierde-Theorie und eine starke Bestätigung für sexuelle Experimentierfreude. Menschen, die generell mehr an Sex und sexuellen Experimenten interessiert sind, haben laut der Umfrage auch häufiger diese Fantasien.

Wenn du deinem Partner von deiner Fantasie erzählen möchtest, solltest du versuchen, ihm nicht zu viel Druck zu machen. Du kannst ihm erstmal einfach sagen, was dir gefällt, und ihm sagen, dass du nicht von ihm erwartest, dass er in absehbarer Zeit auf diese Fantasien eingeht – oder überhaupt jemals. Dann solltest du ihn fragen, was er darüber denkt und ob er Fragen dazu hat. Sei darauf vorbereitet, dass negative oder gemischte Reaktionen von ihm kommen. Es ist gut möglich, dass sich die Gefühle und die Einstellung deines Partners dazu mit der Zeit ändern.

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Verständnis für deinen Partner ist eine Sache, aber du solltest auch mit dir selbst nicht zu streng sein. Wenn du selbst kein Problem mit deinen Fantasien hast, dann steh dafür ein, falls ein Partner versucht, dich dafür anzuprangern oder dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Es ist unerlässlich, dass man sich bei der anderen Person absolut sicher fühlt und ihr vertraut, bevor man überhaupt versucht, Consensual-Non-Consent-Rollenspiele zu machen. Es muss unter deinen Bedingungen stattfinden, damit du es wirklich genießen kannst.

Wie immer ist gute Kommunikation alles. Bevor irgendetwas passiert, solltet ihr euch beide präzise darauf einigen, womit ihr euch wohlfühlt. Legt unbedingt ein Safe-Wort fest. Wenn dein Partner sich nicht mit allen Aspekten deiner Fantasie wohlfühlt, musst du das natürlich respektieren.

In deinem Brief hast du noch geschrieben, dass Teil deiner Fantasie ist, unter Drogen gesetzt zu werden. Sexologe Ohlrichs wäre hier lieber vorsichtig: "Die Vorstellung mag besonders aufregend klingen, aber sind die Drogen wirklich notwendig?" Anstatt etwas zu nehmen, was das ohnehin schon anspruchsvolle Rollenspiel noch schwieriger überschaubar macht und potenziell gefährlich sein kann, empfiehlt Ohlrichs, Sex zu haben, wenn du etwas schläfrig bist. Überhaupt sei es wichtig, solche Sachen im Vorhinein zu besprechen und nicht nur währenddessen.

Wie bei jeder anderen BDSM-Handlung ist die Aftercare, also die gegenseitige Nachsorge, sehr wichtig. Die kann ein Gespräch über die gemeinsame Erfahrung sein, die Verpflegung potenzieller Verletzungen oder auch einfach darin bestehen, sich gemeinsam einen Moment zu nehmen, um das Geschehene zu verarbeiten. Online findest du detaillierte Hilfestellungen dafür, wie ihr euch nach einer intensiven Session umeinander kümmert.

Im Grunde unterscheidet sich das Spiel mit Metakonsens nicht so sehr vom generellen Erkunden deiner Sexualität. Gute und respektvolle Kommunikation ist wie immer unerlässlich, aber solange ihr beide Spaß habt und euch die Zeit nehmt, gesunde Grenzen zu setzen, macht ihr alles richtig.

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