Politik

Ein 17-jähriger Polizeianwärter wurde in Kenosha wegen Mordes angeklagt

Der Teenager soll am Dienstag auf Protestierende geschossen haben. Es gab zwei Tote und einen Verletzten.
Bewaffnete Zivilisten stehen in der US-Stadt Kenosha zwischen Protestierenden. Seit den Polizeischüssen auf Jacob Blake kommt es in der Stadt zu Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, jetzt hat ein Mitglied einer Bürgerwehr zwei Menschen erschossen
Bewaffnete Zivilisten bei den Protesten in Kenosha am 25. August | Foto: Tayfun Coskun | Anadolu Agency via Getty Images

Warnung: Dieser Artikel enthält drastische Videos und Schilderungen.

In den USA wurde ein 17-jähriger Polizeianwärter festgenommen und wegen Mordes angeklagt. Dienstagnacht soll er bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Kenosha, im US-Bundesstaat Wisconsin, zwei Menschen getötet und eine Person verletzt haben.

Der Verdächtige wurde als Kyle R. identifiziert und Mittwochmittag angeklagt. Ihm wird außerdem vorgeworfen, dass er den Bundesstaat verlassen wollte, um der Strafverfolgung zu entgehen.

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Dienstag gab es in der Stadt mit rund 100.000 Einwohnern die dritte Nacht wütender Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt infolge. Auslöser waren die Polizeischüsse auf Jacob Blake. Der Schwarze wurde am 23. August von Polizisten aus nächster Nähe und vor den Augen seiner Söhne durch sieben Schüssen schwer verletzt. Blake wird überleben, aber sehr wahrscheinlich von der Hüfte abwärts gelähmt sein. 

Der Verdächtige Kyle R. ist in mehreren Videos zu sehen, die im Laufe der besagten Nacht entstanden. In den Aufnahmen trägt er ein grünes T-Shirt, eine Cap mit US-Flagge und ist mit einem Sturmgewehr bewaffnet. In mehreren Videos ist zu sehen, wie er das Feuer auf Demonstrierende eröffnet. Einer wurde in den Kopf getroffen, ein anderer in die Brust. Ein weiteres Opfer wurde in den Arm getroffen und überlebte.


VICE-Video: Bis an die Zähne bewaffnet und zu allem entschlossen – Die Georgia III% Security Force


Auch wenn nicht klar ist, warum R., ein ehemaliger Polizeianwärter, bei den Protesten war, legt sein Social-Media-Auftritt eine Nähe zu "Back the Blue" nahe. Diese Bewegung stellt sich unterstützend hinter die US-Polizei. In den vergangenen Monaten sind immer wieder Mitglieder von Bürgerwehren, die mit der Polizei sympathisieren, schwer bewaffnet bei Protesten aufgetaucht und haben sich schützend vor öffentliche Einrichtungen gestellt. Die lokalen Einsatzkräfte nahmen ihre Anwesenheit oft wohlwollend zur Kenntnis. 

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Auch die Polizei von Kenosha interagierte die besagte Nacht über an verschiedenen Orten mit dem Verdächtigen. In einem Video sieht man, wie R. mit Beamten spricht, die ihm eine Wasserflasche reichen und ihm für seine Anwesenheit danken.

Der mutmaßliche Schütze wurde auch im Umfeld einer bewaffneten Gruppe gesehen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, eine Tankstelle vor Plünderungen und Beschädigungen zu schützen. Kenosha County Sheriff David Beth bestätigte in einem Interview mit dem Milwaukee Journal Sentinel die Anwesenheit der Gruppe. Es sei allerdings nicht klar, ob der mutmaßliche Schütze auch zu ihr gehöre.

Die Schießerei begann gegen 23:30 Uhr, einige Stunden nach Eintreten der Ausgangssperre, die infolge der Proteste über die Stadt verhängt worden waren. Offensichtlich war sie Folge einer hitzigen Konfrontation zwischen Protestierenden und den bewaffneten Männern, die die Tankstelle schützten. 

Ein Video zeigt eine Gruppe rennender Menschen. Darin ist auch auch der Mann im grünen T-Shirt zu sehen, der von anderen gejagt zu werden scheint. Er und sein Verfolger verschwinden kurz hinter parkenden Autos, dann hört man Schüsse. "Er hat eine Waffe, er hat ihn erschossen", sagt die Person, die das Video filmt. Andere Videos der gleichen Szene legen nahe, dass es weitere Schüsse aus einer anderen Richtung gegeben haben könnte.

Ein anderes Video zeigt, wie Protestierende sich um das Opfer sammeln, das auf den Boden zwischen zwei Autos liegt. Mehrere Personen benutzen ihre Handys als Taschenlampen, um die Schusswunde zu finden. "In seinem Kopf, in seinem Kopf – drück es ab, drück es ab", sagt eine Frau, Sie hält den Kopf des Schussopfers und sagt ihm: "Halt' deine Augen offen." 

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Ein Video aus einem anderen Winkel zeigt den Mann im grünen T-Shirt am Telefon. "Ich habe jemanden umgebracht", sagt er, währende er vom Tatort wegrennt. 

In einem weiteren Video ist zu sehen, wie der Mann von einer Menge verfolgt wird. "Was hat er gemacht?", fragt jemand. "Er hat einen erschossen!", antwortet ein anderer. Der Gejagte stolpert und stürzt. Zwei Männer rennen auf ihn zu, er rappelt sich auf und schießt auf beide. Eine Person bleibt regungslos auf der Straße liegen. "Sanitäter!", ruft jemand.

Die angeschossene Person überlebte und wurde später wegen einer Schusswunde im Arm behandelt.

Wie man im Video sieht, entfernt sich der mutmaßliche Schütze vom Verletzten und läuft mit erhobenen Händen und dem eindeutig sichtbaren Sturmgewehr auf mehrere Polizeifahrzeuge zu, die zum Tatort kommen. Die Beamten zeigen keinerlei Interesse, den Mann zu verhaften oder überhaupt zu befragen.

Stattdessen fragen sie ihn nach dem Weg. "Ist jemand verletzt? Geradeaus?", ist aus den Lautsprechern zu hören. 

"Runter von der Straße", schallt es aus einem anderen Lautsprecher.

Der mutmaßliche Schütze geht sogar auf ein Polizeiauto zu. Kurz bevor er das Beifahrerfenster erreicht hat, überlegt er es sich aber anscheinend anders und geht weg.

Der Fotograf Brent Ford hat das ganze Geschehen beobachtet: "Er hatte seine Hände oben und sie haben ihm gesagt, er soll aus dem Weg, obwohl alle riefen, dass er der Schütze sei", sagte Ford zu VICE. "Die Polizei schien nicht zu hören, was die Leute riefen, oder sich dafür zu interessieren."   

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Laut Ford waren in dieser Nacht viele Menschen bewaffnet – nicht nur die Männer, die die Tankstelle bewachten. So seien zum Beispiel Mitglieder der Socialist Rifle Associaton bei den Protesten vor Ort gewesen, eine Gruppe linker Waffenbeführworter. Andere Protestierende führten Pistolen in Halftern mit sich. "Ich hatte das Gefühl, dass die Polizei überfordert war und die meiste Zeit nicht wusste, was sie tut", sagt Ford.

Der Fotograf konnte auch beobachten, dass die Mitglieder der Bürgerwehren eine Vorzugsbehandlung durch die Polizei erhielten. "Ein Polizist in dem gepanzerten Wagen rief über das Lautsprechersystem, dass alle, Protestierende und Presse, verschwinden sollen", sagt Ford. "Mir fiel auf, dass der Gruppe bewaffneter Militias oder Bürger an der Tankstelle hinter den Polizeilinien nicht befohlen wurde, die Gegend zu verlassen. Das kam mir komisch vor." 

Der Schütze wird derweil von Rechten als Held verehrt. "Der Junge ist ein Patriot", schrieb eine Person auf dem Imageboard 4chan. "Der ist heute zum Mann geworden, so viel steht fest", kommentierte ein anderer.

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