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Interviews

„Der Betrunkene kriegt oft nicht mit, was man da mit ihm macht“—Ein Interview mit Konzertsanitätern

David und Anja sind als Sanitäter für das DRK auf Konzerten unterwegs und haben schon jede Menge gesehen. Absurderweise trifft ihre Hilfe nicht immer auf Dankbarkeit.

Auf Konzerten kommen drei Dinge zusammen: Menschenmassen, Alkohol und Energie. Und je stärker diese Faktoren ausgeprägt sind, umso höher das Risiko, dass für ein paar Konzertbesucher schon vor dem letzten Song die Lichter ausgehen. Stell es dir nur mal vor: Du siehst deine Lieblingsband, die da eben gerade auch noch deinen Lieblingssong spielt, also wirfst du beschwingt dein Bier weg und schreist deine Freunde an, dich endlich diven zu lassen. Einmal oben angekommen schaffst du es, drei Meter nach vorne zu „schweben“, bis deine Stirn dem dreckigen Boden eine Kopfnuss verpasst und du das Bewusstsein verlierst. Wer dich dann mit starken Armen aus der Menge bugsiert, um dich notzuversorgen? Sanitäter.

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Du siehst ihre orangen Westen schon beim Einlass, machst dir aber eigentlich nie wirklich Gedanken darum, wer eigentlich freiwillig und vor allem ehrenamtlich nicht auf die Bühne starrt, sondern die Augen übers Publikum schweifen lässt, um verletzten Besuchern zu helfen. Wir wollten aber genau das herausfinden und haben mit David Josuttis und Anja Dahlmann vom Berliner Deutschen Roten Kreuz geredet. Die Beiden werden querbeet bei verschiedenen Veranstaltungen—von der Fanmeile bis zu Festivals und eben auch Konzerten—eingesetzt und haben schon jede Menge gesehen. Absurderweise trifft ihre Hilfe nicht immer auf Dankbarkeit.

Noisey: Ich war letztens bei einem Metalcore-Konzert, bei dem drei Leute knapp neben mir bewusstlos aus dem Publikum getragen wurden. Wie bekommt ihr denn so schnell mit, dass was passiert?
Anja: Ich war noch nicht als Sanitäter bei einem Metalcore-Konzert. Da würde ich mir das mit dem Streifen nochmal überlegen, aber normalerweise haben wir einen Sanitätsrucksack dabei, laufen durchs Gelände und gucken, ob was passiert. Sobald aber die Leute mitkriegen, dass da ein Sani rumsteht, spricht sich das schnell rum.

Könnt ihr das Konzert währenddessen eigentlich genießen?
Anja: Kommt drauf an, wie viel zu tun ist. Bei kleineren Konzerten, wo nicht so ein hohes Patientenaufkommen ist, schaut man schon gerne mal zu, hat aber immer ein Auge auf die Menge.

Habt ihr den Kontrollblick auch, wenn ihr privat auf Konzerten seid?
Ja (lacht), auf jeden Fall. Bei dem einen ist es stärker ausgeprägt als bei dem anderen. Manch einer hat noch die Rettungsdecke oder Verbandsmaterial dabei—eher die Ausnahme. Aber ja, diesen Blick bekommt man eben.

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Gibt es denn Verletzungen, die häufiger auftreten als andere?
Kommt auf das Konzert und die Lage an. Bei Teeniekonzerten ist das meist der Kreislauf, weil das alles wahnsinnig aufregend ist. Bei Festivals ist es ähnlich, da sind die Leute draußen, es ist warm, sie trinken nicht genug oder eben nur Alkohol. Ansonsten springen viele wild durch die Gegend, kommen doof auf und verknacksen sich was. Hin und wieder gibt es auch Schnittwunden, wenn Glas mit reingenommen wird.

Besteht noch das Vorurteil von kreischenden Teenies, die dann bewusstlos werden?
Im Prinzip: klar. Die stehen den ganzen Tag da rum, sind wahnsinnig aufgeregt, trinken nicht genug, da passiert das schon. David: Das ist ein relativ dankbarer Notfall. Weil wir das so betreuen können, dass es schnell wieder besser wird. Das ist uns natürlich lieber als ein schwerer Sturz.
Anja: Die holt man einfach aus der Situation in eine ruhige Ecke, da können sie sich beruhigen, bekommen Flüssigkeit und dann geht das meist auch wieder.

Ab und zu hört man von Konzerten im Ausland, bei dem Menschen im Gedränge erstickt oder zertrampelt wurden, wie bei einem Konzert von System Of A Down vor ein paar Monaten. Seht ihr von außen manchmal das Gedränge und fürchtet, dass das gefährlich wird oder hält sich das hierzulande durch Wellenbrecher in Grenzen?
Ich hatte die Situation noch nicht, dass ich bei einem Konzert daneben stand und dachte: „Puh, jetzt wird es aber wirklich gefährlich“. Das ist in der Regel gut abgesichert, spätestens seit der Love Parade in Duisburg ist man da aufmerksam.
David: Auch trotz der Wellenbrecher ist es eng und voll—da wird jetzt nicht einer zerquetscht, aber Panik kann für jemanden entstehen, der das gerade nicht erträgt. Dann ist es noch laut, in der Regel warm und anderweitig aufregend. Das macht natürlich schon manchen Leuten Probleme. Wenn dann jemand uns oder die Security ruft, kommt man unter Umständen aber da schlecht durch, wenn es so voll ist.
Anja: Das dauert schon eine Weile, bis wir dann bei den Leuten sind.

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Stimmt, bei dem Konzert wurden auch Schränke hinzugerufen, die da eine Gasse gebildet haben.
Ja klar, wir arbeiten eng mit der Security zusammen. Viele Notfälle werden uns auch von der Security zugeleitet. Die wissen, wo wir sind, das funktioniert ganz gut.

Die erste Reihe wird ja meist von hinten gegen das Absperrgitter gedrückt. Besteht da nicht auch ein großes Risiko?
David: Ja, wobei da der Rettungsweg durch den Graben relativ gut ist. Das ist bis zur dritten Reihe ein bisschen schwieriger.

Ich sehe auch oft Leute, die von der Bühne springen, um zu diven, sie keiner fängt und sie fast ungebremst auf dem Boden landen. Passiert da oft was oder sieht das eher gefährlicher aus, als es eigentlich ist?
Das ist so gefährlich, wie es aussieht.
Anja: Das sollte man einfach mal lassen.
David: Das kommt durchaus regelmäßig vor. Das unterschätzt man doch, bei allem Alkohol und Partygefühlen. Es ist eben sowohl für die Menschen, auf die gesprungen wird, als auch für die, die springen, eine Gefahr. Kopfverletzungen kommen da durchaus vor. Jemanden aus der Menschenmenge—der gerade was auf den Kopf bekommen hat und sich ernsthaft an der Wirbelsäule verletzt hat—noch rauszubekommen, ohne ihn groß zu bewegen, ist fast unmöglich. Da dauert die Rettung lange. Das ist dann unangenehm.

Was macht ihr dann mit einem Bewusstlosen?
Anja: Dann bringt man ihn in die stabile Seitenlage und schaut, ob man ihn transportiert oder ob man direkt ein Rettungsmittel an den Patienten bekommt, um ihn da wegzutransportieren.

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Habt ihr schon mal richtig schwere Verletzungen mitbekommen?
David: Kommt drauf an, wie man „schwer“ definiert. Sicher kommt das hin und wieder vor. Was auch immer bei Open-Air-Konzerten ein Problem ist, sind die Gerüsttürme, bei denen sich manche Techniker überschätzen.
Anja: Gerne fallen auch mal Teile von den Türmen auf den Patienten.
David: Tatsächlich ist auch der Konzertbesucher gefragt, mal ein bisschen die Augen offenzuhalten und Hilfe zu holen. Oft wird da ein Spaß draus gemacht, so „Och, dem geht es halt nicht so gut“. Ist natürlich wenig produktiv. Und auch bei der ganzen lustigen Konzertstimmung: Die Sanitäter haben eine Aufgabe zu bewältigen, machen das alle ehrenamtlich in ihrer Freizeit und trotzdem habe ich da mal ein Bier in den Nacken bekommen oder mir wurde eins mitten in der Tätigkeit angeboten. Sieht von außen lustig aus, ist aber doch ein größerer Stressfaktor, als man denkt.

Ziehen bestimmte Genres häufiger Verletzungen auf sich als andere?
David: Das ist schon so, dass Metal-Konzerte verletzungsträchtiger und alkohollastiger sind als andere, weil diese Kombination eben Probleme macht. Bei Teenie-Konzerten hast du eben die Kreislauffälle, die leichter zu handlen sind, da hast du auch leichtere Patienten. Aber bei Menschenmengen—bei Wärme und Enge—passiert immer irgendwie was.
Anja: Das ist eher die Größe des Konzerts als die Musikrichtung.

Bei Metal-Konzerten gibt es oft den Moshpit, in dem viel Luftschlagen betrieben wird. Passiert da wirklich viel? Von außen sieht es ja immer gefährlicher aus, als es eigentlich ist, oder?
David: Das kommt schon vor, ist aber sicherlich auch einkalkuliert von den Leuten, die das machen. Die sind ja meist gleich groß und dementsprechend ausgeglichen ist das. Natürlich ist auch unter Alkohol das Schmerzempfinden nicht so ausgeprägt. Dann fällt das erst hinterher auf. Es sieht aber glaube ich schon härter aus, als es ist.
Anja: Klar, man muss ein bisschen aufpassen, weil man kleiner als der Rest ist, aber insgesamt habe ich das immer relativ entspannt wahrgenommen.

Warum macht ihr das eigentlich, was motiviert euch?
David: Es ist ein gutes Gefühl, wenn man einen versorgt hat. Ob er am Ende noch Dankbarkeit empfindet, ist egal. Man hat geholfen und vielleicht sogar ein Leben gerettet—das ist eine Motivation, die hier jeder hat.

Gibt es denn welche, die keine Hilfe wollen und dann angepisst sind?
Der Betrunkene kriegt das oft nicht so richtig mit, was man da mit ihm macht. Der ist dann von der ganzen Aktion—aus dem Konzert rausgetragen zu werden—angepisst. Das gibt es schon, auch Aggressivität. Wenn das Team, das gerade durch die Menge muss, mal ein bisschen rabiater vorgeht, wird man mal geschubst und schubst dann eben zurück. Das ist ein wenig demotivierend, gerade wenn der Patient sich lautstark im Zelt beschwert, was man denn mit ihm vorhat. Kommt vor, ist nicht so schön.

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