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Sind Musiker während des Konzerts für die Sicherheit ihrer Fans verantwortlich?

„Ich habe um mein Leben geschrien“—Ein angehender Profi-Wrestler wurde bei einem System Of A Down-Konzert fast zu Tode getrampelt.

Wenn du dich auf einem Konzert nicht nur damit begnügen kannst, mit dem Kopf im Takt zu wippen, ab und zu brav zu klatschen und auf Befehl hin dein Smartphone rauszuholen, um auf traurige Art und Weise ein Feuerzeug zu imitieren, ist der Dancefloor vor der Bühne dein Zuhause. Hier triffst du auf Gleichgesinnte, die sich der Musik genauso hemmungslos hingeben wie du und jeden neuen Song mit energetischer Hingabe würdigen. Aber was, wenn du plötzlich zu Boden fällst und dir keiner eine helfende Hand reicht, sondern auf ebendiese tritt? Was, wenn dann noch andere Menschen auf dich fallen, dich immer wieder nach unten drücken, bis du verzweifelt nach Luft ringst und ohnmächtig wirst?

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So selten es auch vorkommt, dass Menschen auf Konzerten sterben, es kommt vor. Ob nun durch Massenpanik wie voriges Jahr bei einem Instinct Killers-Konzert in Guinea, einstürzende Gerüste wie bei Linkin Park 2012 in Kapstadt oder eben im tänzelnden Gedränge wie beim Roskilde-Auftritt von Pearl Jam 2000, immer wieder geschehen tödliche Unfälle. Klar, Massenpaniken können durch Wellenbrecher, Sicherheitszonen und großzügige Fluchtwege verhindert und Gerüste gründlich kontrolliert werden. Aber ein außer Kontrolle geratenes Publikum, dass eigentlich genau das tut, was alle Anwesenden (die Band und auch die Zuschauer) wollen—nämlich ausgelassen tanzen—kann nicht so einfach vom akut eingreifenden Sicherheitspersonal gebändigt oder das Risiko vorher einkalkuliert werden.

Eigentlich gibt es nur einen, der aus einer wild stampfenden Horde innerhalb einer Sekunde ein dumpf starrendes Heer verwandeln kann: die Band. Sobald die Musik aufhört, arbeitet das Fan-Gehirn wieder und konzentriert sich auf andere Sachen als die völlige Ekstase. Zum Beispiel auf das verdreckte Gesicht, was da unter den Dr. Martens liegt. Sanitäter können sich dann durch die zur Ruhe gekommende Masse schlängeln und den Verletzten helfen. Vor allem, wenn die Band immer wieder draufhinweist, Gefallenen zu helfen. Klingt sehr einfach und oft wird diese Macht über das Publikum auch genutzt.

Erst letztes Wochenende mussten System Of A Down immer wieder eingreifen, da sie sich angesichts des aus verknäulten Menschenleibern bestehenden Chop Sueys gezwungen sahen, das Konzert zu unterbrechen. Nur so konnten die Sanitäter verletzte Menschen aus den Fleischlawinen bergen. Laut dem Wrestling-Magazin Wrestle Zone fand sich auch der angehende Profi-Wrestler Steve Schneider unter der stampfenden Horde wieder. Die Schilderung seiner traumatischen Erfahrung könnte dir die Vorfreude auf das nächste Konzert ein wenig verderben: „Ich bin während System Of A Down hingefallen und jemand ist auf mich draufgefallen. Dadurch konnte ich nicht atmen. Sobald ich aufstehen wollte, ist wieder jemand auf mich gefallen. Es hat nicht aufgehört. Irgendwann stand einer auf meinem Rücken und ein anderer saß oder stand auf meinem Kopf, weswegen ich immer wieder in den Schlamm gedrückt wurde. Ich konnte die ganze Zeit nicht atmen. Sobald ich Luft holen wollte, hätte ich schlammiges Wasser eingeatmet. Das war der angsteinflößendste Moment in meinem ganzen Leben, weil ich keine Ahnung hatte, wie lange ich gefangen sein würde. Anscheinend haben System Of A Down aufgehört zu spielen, also konnten mich die Sanitäter raustragen. Ich war zu diesem Zeitpunkt bewusstlos und kann mich nicht daran erinnern. Meine beiden Augen sind wegen des Luftmangels blutrot und weil jemand meinen Kopf zerquetscht hat und ich um mein Leben geschrien habe.“

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Ohne Zweifel haben System Of A Down richtig gehandelt. Wie der legendären Auftritt von Limp Bizkit beim berüchtigten Woodstock 1999 aber auch zeigte, kann die Macht auch dazu benutzt werden, das komplette Gegenteil zu bewirken. In der Pause von „Break Stuff“—ihr wisst schon, der Teil vor dem „break your fucking face tonight!“—forderte Sänger Fred Durst das Publikum auf, jetzt mal komplett den Frust rauszulassen. Was das Publikum brav umsetzte, einen deutlich gewalttätigeren Tanzschritt einlegte und die Holzverkleidungen von Zäunen abriss, um damit zu crowdsurfen. Woraufhin der Soundmann kurzerhand den Mikro-Sound abdrehte, um die Stimmung abzukühlen. Fand Fred nicht witzig, hat aber möglicherweise Leben gerettet.

Denn natürlich will eine Band einen guten Auftritt hinlegen und dazu gehört, die Masse in Bewegung zu setzen. Aus dieser freigesetzten Energie schöpft die Band wiederum Kraft und kann noch mehr abgehen. Ein gutes Konzert entsteht eben aus der sich pushenden Wechselwirkung von Band und Publikum. Niemand kann Musikern vorwerfen, für ein mögliches Unglück verantwortlich zu sein, weil sie ihren Job zu gut gemacht haben. Aber wie schon der gute Onkel Ben wusste, wächst aus großer Macht auch große Verantwortung. Und dazu gehört im Ernstfall auch, mal einen Blick ins Menschenmeer zu werfen, um zu sehen, ob da nicht doch ein besorgniserregender Strudel entstehen.

Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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