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Wie sich die Drogensituation am Gürtel auf die Lokale auswirkt

Es haben sich ein paar Lokale zusammengeschlossen, um die Gegend aufzuwerten.

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Als Kind und Jugendliche bin ich jeden Tag bei der Station Thaliastraße ausgestiegen, um meine Schule in der Neustiftgasse zu erreichen. Später, in der Oberstufe, bin ich bei der U6-Station Josefstädter Straße ausgestiegen—mein Gymnasium war in der Albertgasse. Ich kannte beide Stationen in- und auswendig—noch lange bevor ich wusste, was ein Arbeiterstrich ist oder was das überhaupt sein soll.

In meinem Maturajahr veränderte sich die Josefstädter Straße immer mehr. Das war 2009 bis 2010. Plötzlich merkte ich, wie es bei meinem Stammdöner, immer mehr Menschen gibt, die blaue Lippen haben. Menschen, die mir nicht den Weg frei machten, wenn ich vorbeigehen wollte, sondern wie Zombies an ihrem Blech-Bier nuckelten. Ich war damals weder mit der Praterstern- noch mit der Karlsplatz-Situation vertraut. Ich wusste, dass es dort ehemalige Heroin-Konsumenten gibt. Aber ich habe sie nicht täglich gesehen.

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2008 haben wir in Deutsch einen Artikel besprochen. In dem hieß es, dass man vor der EM in Wien „etwas“ mit den Menschen am Karlsplatz machen müsste. Schließlich würde man viele Touristen erwarten, es war die Innenstadt, es gab Public Viewing—man konnte die Junkies nicht dort lassen. Man musste sie umsiedeln.

Nach meiner Matura fielen mir immer mehr schwarze Menschen auf. Die Rechnung war in meinem Kopf einfach—die Süchtigen sind bei der Josefstädter Straße gelandet, auf der Thaliastraße die Schwarzen mit dem Stoff. Beide Gruppen haben sich wohl nicht großartig vermehrt—sie sind nur umgezogen.

Ich war gerne in der Gegend fort—immerhin waren da meine Schulen, also auch meine Lieblingslokale und meine Freunde. Ich veranstaltete im Loft unsere Studentenpartys und ging gerne auf ein Bier in die umliegenden Lokale. Ich war oft im Weberknecht, im Chelsea, im Concerto. Ab 2014 habe ich der Gegend endgültig meinen Rücken zugekehrt und bin in anderen Gegenden fortgegangen.

Das hat viel mit meiner Abkoppelung von der Schule zu tun, aber auch einiges mit meinem Sicherheitsempfinden—mit 19 wurde ich das erste Mal belästigt und verfolgt. Es hat keinen Spaß gemacht, unter der Woche bei der Thaliastraße auf die Nightline zu warten. Ich war immer erleichtert, endlich in den Bus einzusteigen. Das Polizeiaufgebot war verglichen mit dem, das ich von anderen Bezirken kannte untertags und am frühen Abend recht hoch—was einem doch irgendwo Angst macht. Weil man sich fragt, welchen Grund die Polizei hat, hier zu sein. Umso mehr vermisste ich die Polizei in der Nacht.

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Mit mehr Polizeiaufkommen in der Nacht, würde ich mich zwar sicher fühlen, aber das Problem wäre nicht gelöst. Tori Reichel hat Dealer interviewt—sowohl die Süchtigen, als auch die Dealer haben reale Probleme. Angefangen mit dem Arbeitsmarkt, Aufenthaltsgenehmigung bis zur medizinischen Versorgung. Wenn sie aus den U6-Stationen vertrieben werden, dann bedeutet das, dass wir das Problem nur woanders hinverlagern. Der Strich bei der U2 Messe ist dank der neuen WU auch nicht mehr dort. Dafür ist ein erhöhtes Aufkommen an Prostituierten im 23ten Bezirk. Das Problem zu lösen bedeutet also nicht verdrängen, sondern Süchtigen, Dealern und der Polizei zu helfen—ob mit gesetzlichen, finanziellen oder lebensnotwendigen Mitteln, ist ganz egal.

Das Problem hat viele Facetten. Hier könnt ihr lesen, wie es ist, als Schwarzer mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. Und hier, wie es ist Anrainer zu sein. Ich wollte die Lokale zu Wort kommen lassen. Ich wollte wissen, ob ich die einzige bin, die sich davon abhalten lässt, in der Gegend fortzugehen.

Also habe ich alle Lokale zwischen der Thaliastraße und der Josefstädter Straße angeschrieben und ihnen Fragen gestellt. Ob eine Veränderung stattgefunden hat, ob sich die Türpolitik geändert hat und wie es weiblichen Gästen geht. Die Lokale, bei denen du nie oder selten Eintritt zahlen musst, haben nicht geantwortet—auf den Frauentoiletten findet man aber einen Zettel, der dazu aufruft, Belästigungen sofort zu melden. Er würde nicht dort hängen, wenn er nicht nötig wäre.

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Das Café Carina hat mir als einziges kleines Lokal Antworten gegeben. Und obwohl die anderen nicht geantwortet haben, kann es zwei Türen weiter nicht komplett anders aussehen. Thomas Ploner, der sich unter anderem um die Veranstaltungen im Café Carina kümmert, lässt uns zu diesem Schluss kommen: Ja, die Gäste haben sich verändert. Es sind weniger Stammgäste da, der weibliche Anteil der Gäste sinkt. Ja, sie haben ein regelmäßiges Problem mit dem Drogenverkauf im Lokal. Wenn sie etwas beobachten, rufen sie die Polizei.

Die Türpolitik haben sie geändert—die Türsteher lassen bekannte Dealer, Randalierer und auffällige Personen nicht mehr rein. Allerdings wächst die Drogen-Szene—zumindest laut Ploner—täglich und neue Gesichter merkt man sich erst, nachdem sie ein oder zwei Mal negativ aufgefallen sind. Sexuelle Belästigungen waren im Lokal selbst angeblich noch kein Thema, allerdings wird um die Station teilweise in Gruppen ein Mädchen angemacht. Manchmal auch mehr. Das mehr definiert der Betreiber vom Café Carina nicht.

Die Diebstahl- sowie die Polizei-im-Lokal-Quote sei enorm angestiegen. Zu der Lösung des Problems sagt der Betreiber: „Da momentan Polizei und Sozialarbeit so massiv auftreten, wie noch niemals zuvor, ist es an der Politik (Stadt, Land, Bund) ihnen auch wirksame Instrumente in die Hand zu geben. Nur Präsenz alleine reicht nicht. Das habe wir in den letzten Jahren gesehen. Am wichtigsten wäre meiner Meinung nach mehr Zivilcourage der einzelnen Bürger. Bei unguten Vorfällen nicht nur zuschauen, ohne die Polizei zu rufen. Ich wohne selbst in der Nähe und genau das vermisse ich oft. Viele ducken sich und sehen weg. Sogar, wenn es sie selber betrifft.“

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Auf die Frage, wie es dazu gekommen ist, sagte der Betreiber: „Begonnen hat alles ungefähr im Jahre 2009. Der Karlsplatz und viele Bahnhöfe waren Baustellen und die Dealer wurden vertrieben. In der U6 wurde immer schon mit Drogen gedealt. Die Stationen U6 Thaliastraße und U6 Josefstädter Straße haben da eine zentrale Lage in der Nähe des Westbahnhofes und gleich beim Suchthilfe Zentrum bei der Station Gumpendorfer Straße. Der 1,5 Jahre dauernde Totalumbau der U6 Josefstädter Straße bewirkte, dass sich dort niemand um die Szene kümmerte, da die U Bahn und alle Lokale geschlossen waren und keine Anrainer den Ort frequentierten. Erst nach der Sanierung fielen die sozialen Umstände auf. Seitdem wächst das Problem und hat jetzt auch Brunnenmarkt und Thaliastraße, im Prinzip das ganze Grätzel erfasst. Vor 2009 waren Probleme mit Dealern und Junkies, wie sie jetzt auftreten, nicht vorhanden. Irgendwann an einem sonnigen Tag im Sommer 2009 hatte ich gegen 18:00 Uhr die erste Drogensüchtige mit einer Überdosis auf der Toilette. Ab diesem Zeitpunkt waren wir Drogenhotspot mit all den einhergehenden Problemen.“

Das sind sehr mutige Antworten—immerhin haben gerade Lokale ohne Eintritt eher dieses Problem und somit Schwierigkeiten, diese zuzugeben, als andere. Das Rhiz hat sich gemeldet, wollte aber kein Statement dazu abgeben. Sicher—wenn du öffentlich sagst, dass die Zettel auf deinem Klo hängen, weil sie notwendig sind, dann verschreckst du potenzielle Gäste, die mit dieser Thematik nicht so vertraut sind. Außerdem ist die Situation zu komplex, um sie in einem Statement zu erfassen.

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Letztes Jahr habe ich für einen anderen Artikel mit der Döner-Kebap-Bude bei der Station Josefstädter Straße gesprochen. Wo früher andere Buden das größte Problem waren—also Konkurrenz—sind sich heute alle geschlossen einig: Drogensüchtige und Drogenverkäufer nehmen ihnen die Kunden weg.

Deshalb macht auch die Döner-Bude Spezial-Imbiss bei der Gürtelconnection mit. Die Gürtel Connection ist ein Verein, der von den Betreibern der Lokale am Lerchenfeldergürtel gegründet worden ist, um die Gegend aufzuwerten. In der Beschreibung steht: „Das Gemeinschaftsprojekt soll die Vielfältigkeit und Attraktivität des Gürtelabschnitts unterstreichen und wieder ins Gedächtnis der BesucherInnen rufen. Hierfür wird es zukünftig zwei Mal im Jahr das gleichnamige Fest geben, bei dem alle Gäste die Möglichkeit haben, gegen einen einmaligen Eintritt (freiwillige Spende), das umfangreiche Programm aller teilnehmenden Lokale in Anspruch zu nehmen. Die gesamten Einnahmen der Gürtel Connection werden an wohltätige Einrichtungen für einen guten Zweck gespendet. Bei der ersten Ausgabe am 23.4.2016 wird der Ertrag an das Projekt „wieder wohnen“, welches Obdach- und Wohnungslose sowie Flüchtlinge unterstützt, gespendet.“

Das Loft, dass erst 2009 eröffnet hat—und somit mit der Veränderung der Gegend quasi aufgewachsen ist— und die Auslage haben mir auch Antworten auf meine Fragen geschickt. Dadurch, dass sie sich die Türsteher teilen und sie grundsätzlich Eintritt verlangen, fällt das im-Lokal-Problem nicht so hart aus. Beide Betreiber finden es schade, dass der gute Ruf des Gürtels leidet und sie nehmen einen leichten Gästerückgang wahr. Aber als Diskotheken, die einmal finanziell und dann noch zusätzlich mit Türstehern selektieren, haben sie in diesem Belangen die dankbarste Position. Die wirklichen Leidtragenden sind die kleinen Bars ohne Eintritt.

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„Es ist schwer etwas zu sagen, ohne als Nazi dazustehen“ sagt mir ein weiblicher Gast im Chelsea. Ich bin herumgezogen, um mich vor Ort mit den Menschen zu unterhalten. Die Lokale möchten nicht darüber sprechen, aber vielleicht Gäste. „Aber ich habe es hier immer genossen, weil es eben nicht so war wie im Fluc oder beim Schwedenplatz. Ich habe mich hier sicher gefühlt. Jetzt gehe ich auch noch gerne hierher—aber betrunken und nachts fühle ich mich nicht wohl. Wobei man sagen muss, dass es viel besser ist, als vor einem Jahr zum Beispiel.“

Ansonsten treffe ich eine ehemalige Kollegin—sie wartet gerade auf ihre Bestellung. „Es dauert jetzt immer länger—die Verstecke sind immer weiter weg.“ Ich bin zuerst schockiert darüber, dass es tatsächlich Menschen gibt, die ich kenne, die bei den Dealern kaufen. Aber sie würden ja nicht da stehen, wenn sie nie verdienen würden. Ich wurde am Weg von der Thaliastraße bis zur Josefstädter Straße nicht einmal angesprochen oder blöd angemacht. Sie scheinen vorsichtig genug zu sein und darauf zu warten, angesprochen zu werden. Die meisten—so scheint es mir—benehmen sich höflich und zurückhaltend.

So oder so: Bis es eine Lösung gibt, man wird sich arrangieren müssen. Und das versuchen die Lokale so gut sie können. Mit Zettel am Klo, mit Türstehern und mit Partys, die die Gegend aufwerten sollen. Immerhin hat es das Flex auch gut geschafft. Zuerst waren die Dealer dort sehr aufdringlich—jetzt halten sie sich zurück und leben in einer Symbiose mit den Partygänger. Das Problem sind Männer, die sich nicht benehmen können und die werden hoffentlich nicht lange bleiben. Und die anderen gehören zum Stadtbild, genauso wie türkische Mamas, slawische Arbeiter und österreichische Gemeindebaublumen. Die Vielfalt war und ist doch immer das Schönste an einer Großstadt.

Fredi ist auf Twitter: @schla_wienerin

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