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Ich habe Lou Reeds „unhörbares Album“ gehört

An Lou Reeds 'Metal Machine Music' sind bereits viele gescheitert. Ich will wissen, ob ich es schaffen kann.

Lou Reed hat in seinem Leben ganz schön viel Scheiße durchgemacht. Seine Eltern versuchten ihm zum Beispiel drei Mal die Woche mittels Elektroschock-Therapie seine homosexuellen Neigungen auszutreiben. Ob solche Ereignisse automatisch zu einem Leben voller Drogen führen, kann ich nicht sagen—jedenfalls zog Reed sich schon mit 16 Jahren das erste Zeug rein. Später durchlebte er eine jahrelange Heroinsucht. Die war vor allem in seiner Musik deutlich spürbar. Vielleicht kennst du ja seine Klassiker wie „Take A Walk On The Wild Side“ oder „Perfect Day“. Was du vielleicht nicht kennst—und das nimmt dir niemand übel—ist das kranke Zeug, das Reed 1976 rausbrachte. Sein fünftes Soloalbum Metal Machine Music ist wohl die wichtigste Veröffentlichung der (modernen) Noise-Rock-Bewegung. Laut Reed ist es auch der Ursprung von Heavy Metal—aber laut Reed hätten auch die Beatles oder am besten gar kein Engländer je Musik machen sollen. Man darf nicht alles glauben, was Reed in seinem aufregenden Leben gesagt hat.

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Ursprünglich wollte er das ultimative Gitarrensolo aufnehmen—das endete in einem einstündigen Feedbackgepläre und Rauschmustern. Weder Songs, noch irgendeine Struktur sind zu erkennen—trotzdem wurde es in vier Abschnitte aufgeteilt. Es war zu erwarten, dass dieses Album einen regelrechten Shitstorm auslösen wird: Kritiker bezeichneten es als praktisch „unhörbar“ oder als „nicht mehr als Ohren zerstörenden Elektro-Dreck, der jeden Menschen in einer Rekordgeschwindigkeit aus dem Raum jagt“. Auf der anderen Seite gab es Sound-Puristen, die Reeds Umgang mit Gitarren-Feedback extrem faszinierend fanden. Nach diesem Release wurde vor allem Reeds Glaubenswürdigkeit als Musiker in Frage gestellt—nicht mal er hat es über den dritten Abschnitt hinausgeschafft. Ist das Ding wirklich so arg? Ich muss zugeben—all das hat mich ziemlich neugierig gemacht.

Da mein Gehör im Laufe meines Lebens schon einiges ertragen musste, ist die Noise-Bewegung kein Fremdwort für mich. Ich habe selbst schon einige Acts gesehen, die etwas noisy waren, zum Beispiel Sunn O))). Die Chancen stehen also gut, dass mich dieses Experiment nicht völlig geisteskrank macht. Irgendwie bin ich aber trotzdem besorgt: Erlebe ich jetzt etwas, das mich so intensiv trifft, dass es vielleicht auf ewig in meinem Hirn herumschwirren wird? Ich höre mir das Album nun in Gänze an und verwende dazu In-Ear-Kopfhörer. Mal sehen, wie weit ich komme.

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METAL MACHINE MUSIC, PART 1

Weird. Sehr, sehr weird. Ich werde von einem Haufen Sounds überschüttet, die mich an creepy Karussellmusik erinnern. Ein Klirren bohrt sich in meinen Kopf. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.
Minute 3: Alles wieder cool. Es ist schon sehr strange, aber irgendwie erlebe ich ein harmonisches Wirrwarr. Dauernd habe ich diese Trompeten im Kopf, wie man sie bei Pferderennen hört. Ich bilde mir ein, dass auch eine alte, kaputte Schallplatte solche Geräusche von sich geben könnte. Dann wird es ziemlich creepy: Ich höre Melodien, die mich an Weihnachten erinnern, wobei in diesem Fall aber alle Horror-Figuren gemütlich zusammen bei Tisch sitzen und ein Opfer verspeisen. Oh, jetzt landet ein UFO und nimmt sie alle mit. Das klang gerade ziemlich spacey.
Minute 8: Jetzt wäre ich froh, wenn langsam etwas Ruhe reinkäme. Alle Gedanken vermischen sich. Ein flatternder Tinnitus schickt mein rechtes Ohr in die digitale Hölle.
Minute 12: Es wird heftig. Ich wusste nicht, dass E-Gitarren schreien können.

METAL MACHINE MUSIC, PART 2

Der zweite Teil beginnt mit einem Sound-Monster, das mich sofort verschlingt. Ich höre quietschende Geräusche, die mich an digitales-LSD-Delfin-Gepläre erinnen. Zum Glück passen die Töne halbwegs gut zusammen und sorgen dafür, dass ich nicht auf das Experiment scheiße. Sie sind der Grund, warum ich die Kopfhörer noch drinnen habe.
Minute 5: Ich befinde mich erstaunlicher Weise in einem sehr, sehr ruhigen Zustand. Die Töne werden von einem Flattern im Hintergrund begleitet und wirken überraschend entspannend. Unglaublich, dass ich sowas wie Monotonie spüren kann. Im Moment entspannt das Zeug sogar.
Minute 10: Ich fühle mich eigentlich ganz gut. Mir kommt es so vor, als würde ich eine Geräuschtherapie machen, die mich von sämtlichen Alltagsscheiß befreit. Ich konzentriere mich nur noch auf mich selbst. Alle Dinge, die mir den Kopf zerbrechen, sind im Moment nicht so schlimm, wie ich sie sonst empfinde. Ich brauche keinen Psychologen mehr.

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METAL MACHINE MUSIC, PART 3

Teil 3 ist wieder sehr, sehr anstrengend. Das ständige Zugedröhne macht die Explosionsgeräusche im Hintergund auch nicht besser. Ich habe eine Space-Orgie im Kopf. Erst jetzt lerne ich zu schätzen, wie wichtig Rhythmus ist. Dieser freie, schwebende Sound verpasst mir durch das Fehlen einer Taktvorgabe irgendwie ein Gefühl von Verlorenheit. Das macht mich nervös und so langsam auch etwas unruhig.
Minute 5: Ich fühle mich leicht benebelt. Es fühlt sich an, als würde man mir einen schweren Stein um den Hals binden, der mich ständig runterzieht. Wieder mal Pferdetrompeten. Etwas random. Kurz erlebe ich ein rhythmisches Pulsieren in Form von Feedback.
Minute 12: Ich bin sehr schläftig geworden. Ich bemerke auch, dass mein Puls viel niedriger ist als sonst. Ich denke, dass die ganze Anstrenung mich einfach müde gemacht hat. Ich finde es gerade ziemlich beschissen, dass ich noch 20 Minuten vor mir habe.

METAL MACHINE MUSIC, PART 4

Im vierten Teil begrüßen mich wieder mal die digitalen LSD-Delfine und zeigen mir eine Welt, in der ich auf noch mehr LSD-Delfine stoße. Zusammen quietschen sie mir ihre Drogen-Hymnen vor. Die Explosionen dröhnen. Ich möchte einfach nur, dass es aufhört.
Minute 5: Ich bin erledigt. Mir ist alles egal. Ich würde gerne wissen, warum ich so müde bin. Würde mir am liebsten die Kopfhörer runter reißen und ins Bett springen.
Minute 13:30: Plötzlich überrascht mich ein ziemlich cooler Beat, irgendeine kranke Mischung aus Einstürzende Neubauten und Nirvana-Feedback. Ein Beat ist das, wonach ich mich am meisten gesehnt habe. Dieser Rhythmus, der mich mitnicken lässt und vor dem ganzen Lärm ablenkt, kommt leider erst zum Schluss. Scheiß drauf. Es ist jetzt vorbei.

Geschafft. Ich hatte keine Ahnnung, was mich auf Metal Machine Music erwartet, aber ich finde es unglaublich, dass Lou Reed bereits 1976 so experimentelles Zeug gemacht hat. Zu der Zeit war dieser Herr ein hoch geschätzter Musiker. Obwohl das Album von den meisten als „unhörbar“ eingestuft wird, hat es für mich einen hohen künstlerischen Wert. Was sagt denn ein Album aus, das unhörbar ist? Wieso ist Musik wichtig, die nicht gehört wird? Hat es einen Grund, genau um diese Zeit ein derartiges Sound-Massaker zu präsentieren? Reeds endlose Gitarren-Feedback zeigte der Welt, wie weit man mit Musik gehen kann und stellte in Frage, was man noch überhaupt als Musik bezeichnen kann. Ein anderes Extrem-Beispiel hierzu (mit einer komplett anderen Herangehensweise verbunden): John Cages „Four minutes, thirty-three seconds“, das aus vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden Stille besteht. Das Stück wurde sogar schon von einem ganzen Orchester aufgeführt und soll zeigen, dass man immer etwas hört, wenn man nur genau genug zuhört—die Stille existiert nicht.

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