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Ich habe drei Tage lang ausschließlich Slayer gehört

Was passiert, wenn man jemanden, der sonst Rap, Indie und Techno hört, einer Dauerbeschallung Slayer aussetzt?

Ich bin ja eigentlich ein äußerst netter und optimistischer Mensch. Ich bin manchmal so gut drauf, dass es mich selber nervt. Ich bin die Türaufhalterin, das nervige Hundewelpen und die leicht zu Begeisternde in einem. Das Wienergrantln habe ich nur an ein paar Tagen übrig, meistens restfett. Als mir die Redaktion verkündete, dass ich von jetzt an drei Tage Slayer hören sollte, bin ich—ganz mein naives Wesen—anfangs ziemlich begeistert. Dann höre ich eben keinen Rap mehr in der U-Bahn, dann gibt’s keinen sanften Indie zum Einschlafen und keinen treibenden Techno zum Aufwachen.

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Slayer kenne ich nur vom Hören-Sagen. Mein Ex war Metalfan und wir hatten die Abmachung dass er seine „satanistische Kreischmusik“ (Metal) ohne mich hört, und ich dafür meine „absolut unweibliche Arschfickmusik“ (Rap) auch ohne ihn höre. Der Kompromiss hat so gut geklappt, dass er jetzt eben mit Ex betitelt wird.

Aber das wird schon irgendwie gehen. Dachte ich mir.

TAG 1: God hates us all

In der Arbeit fange ich mal mit „Best of Slayer“ an. Das ist ein vierstündiges Video auf YouTube. Die erste Erkenntnis: die übliche Musiklautstärke ist viel zu laut. Viel, viel, viel zu laut. Ich drossle die Lautstärke auf Fahrstuhl-Hintergrundmusik, nur dass Slayer eben nicht gut als Hintergrundmusik fungiert. Ich kann mich nicht konzentrieren und spüre bei Minute 29 die ersten aufkeimenden Aggressionen. Wie kann ein Mann so viel kreischen? Wem will er wehtun? Und wer hat ihm so wehgetan? Um was geht’s in diesen Lieder eigentlich? UND WARUM ZUM TEUFEL IST ES SO SCHWER EINE MELODIE AUCH NUR DREI MINUTEN AUFRECHTZUERHALTEN?

Nach dem ich meine beste Freundin wegen eines Witzes zu Grund und Boden niedermache, und dem Trafikanten „NA UND?!“ auf seinen Hinweis des offenen Hosenstalls entgegne, gehe ich genervt heim. Ich fauche meine Nachbarin an, rufe meine Freunde nicht zurück und bin ein richtiges Ungustl. Zuhause schreie ich die Spüle an, der verfickte Topf muss genau jetzt wenn ich EINMAL kochen will verfickt schmutzig sein. Fucking Topf. Echt. Im Fernsehen läuft auch nur Scheiße, was ist los mit der Menschheit- FUCK! Einschlafen mit Slayer versuche ich nicht einmal.

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GEFÜHLSLAGE: Mordgelüste. Nein, das ist nicht richtig. Ich wäre bereit die gesamte Menschheit auszulöschen, kein Witz. Hätte man mir eine Massenvernichtungswaffe gegeben, ich hätte einen Nutzen gefunden. Ich war drauf und dran Freundschaften zu sabotieren, romantische Bindungen zu durchtrennen und mich in einen einsamen Wald abzusetzen.

TAG 2: Reign in blood

Aufstehen mit Slayer verursacht in mir eine ungehemmte Koffeinlust. Ich besauf mich mit Kaffee wie ein deutscher Abiturient mit lauwarmem Sangria auf Mallorca. In die Arbeit gehe ich zu Fuß, anstatt den Bus zu nehmen. Das kann an der Koffeinüberdosierung liegen oder auch daran, dass Menschen scheiße sind. Ich trete in liegengelassene Dosen und begrüße niemanden, der mich grüßt. Ich bin ein Badass-Vorstadtkind und fühle mich wahnsinnig gut dabei. In der Arbeit frage ich mich die ganze Zeit warum man mir das antut. Ob es eine Strafe ist. Warum nehme ich es ernst? Warum höre ich tatsächlich Slayer?

Gegen Mittag wandelt sich meine Gefühlslage. Ich meine, es ist zwar nicht durchgängig melodisch, aber schon auch. Und die Gitarren! Ein bisschen wie Santana auf einer Überdosis Speed. Wahrscheinlich fange ich an, so etwas wie das Stockholm-Syndrom der Musik zu bekommen. Wie die Geschichte gezeigt hat: Das menschliche Wesen ist ein zähes und kann sich schnell an viele Lebensbedingungen anpassen.

Es ist Dienstagabend, und ich habe Lust, mich komplett aus dem Leben zu schießen. Mit Bier. Ich mache es nicht, weil ich jetzt schon pleite bin. Außerdem müsste ich irgendwohin fortgehen wo es eventuell Slayer spielt. Ich weiß nicht, wo das sein soll, und ich weiß nicht wie man sich in so einer Partyumgebung benehmen würde. Haut man sich da zu jeder vollen Stunde? Was zieht man an? Wie bewegt man sich? Eh wurscht, bin eh pleite. Das letzte Geld für eine Metalparty am Dienstag auszugeben, ist wohl nicht drin. Und Bier mag ich sonst auch nicht so.

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Entnervt steige ich ins Bett und summe „Raining Blood“. Blutregen, wie schön. In der Nacht träume ich davon wie ich in der Welt von Barbie lebe, nur als Serienkiller. Ich bin in meinen Träumen ein Serienkiller von Barbies. Kein Scheiß.

GEFÜHLSLAGE: Geringfügig besser. Oder ich gewöhne mich an Aggressionen, kann auch sein. Who cares? Nicht ich. Nicht ich meine Freunde. Jedenfalls schaffe ich es heute, Freunde nicht anzubitchen und ich führe sogar drei Telefonate. Die mir aber auf die Eierstöcke gehen. Ordentlich.

TAG 3: Show no mercy

Ich stehe gut gelaunt auf und gebe auf YouTube mein Lieblingsalbum ein. Ja, ich habe jetzt ein Slayer Lieblingsalbum. Heute ist der Tag, an dem ich andere Musik hören kann und ich plane schon ganz aufgeregt, was ich feierlich mir als Erstes reinziehe. Natürlich habe ich längst auf Facebook gepostet, was ich für eine Aufgabe bekommen habe. Viele Freunde von mir sind Slayer Fans, ich kann es nicht ganz so nachvollziehen, aber definitiv mehr wie vor drei Tagen. Immerhin war meine ärgste Metalerfahrung bis jetzt, die MTV Clips von Rammstein zu kennen. Vor allem sind meine Slayerfreunde die nettesten Menschen überhaupt. Nicht aggressiv, lieb und zuvorkommend. Das Metalfans aggressive uneitle Systemkritiker sind, ist ja sowieso ein Vorurteil das seit 1980 überholt ist. Sie sind ja nicht aggressiv. Ich aber.

Ich fühle mich zeitweise ein bisschen wie ein Teil der Metalszene, was natürlich kompletter Bullshit ist, da ich original nur Slayer höre und nicht mal die Tracks wirklich auseinander halten kann. Was man schon sagen muss: Auch nur fünf Sekunden Slayer stellen „Das Urteil“ von Kool Savas komplett in den Schatten. Der Hawi denkt er ist sauer auf Eko? HA-HA-HA! Ich mag langsam die zynisch-aggressive Art, die ich mir angeeignet habe. Ist geil. Ich bin geil. Als ich dann endlich meine Musik hören kann, ist sie mir zu langsam. Viel zu langsam! Und so ein Pussy-Geschwafel—wer soll den Scheiß aushalten? Ich spüre, dass ich langsam krank werde. Kurz bin ich davon überzeugt, dass Slayer mein Immunsystem geschwächt hat, aber dann fällt mir ein dass ich die ganze Zeit zu Fuß gehe. Und mein Wiener Immunsystem ist so etwas nicht gewöhnt, es kann nur Öffi-Viren bekämpfen.

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GEFÜHLSLAGE: Ich ziehe mir noch ein paar Mal heimlich Slayer rein, weil allumfassender Hass irgendwie geil ist und das Runterkommen unmöglich. Außerdem merke ich, wie mich die Musik nicht mehr fertig macht sondern eher pusht. Ich arbeite schneller, denke kritischer und ich halte Small Talk nicht mehr aus.

FAZIT

Offensichtlich hat das Experiment einige meiner psychischen Störungen rausgekitzelt. Meine musikalischen schizophrenen Züge, leichte Anwandlungen der manischen Depression, gepaart mit etwas Narzissmus. Ich meine, ich werde Slayer nicht in meine Playlist einbinden. Aber wenn ich wieder meine Wut musikalisch unterstreichen möchte, dann werde ich Slayer hören. Meine bisherigen Wutsongs sind definitiv zu schwach, zu langsam und zu scheiße. Außerdem ist meine kindliche Unschuld einfach weg. Vielleicht kommt das wieder, aber das braucht bestimmt noch an die fünf Stunden James Blake und Konsorten. Ich will auch nicht Metal diskreditieren, Musik ist weder gut noch schlecht, es gibt nur Meinungen. Gezwungen drei Tage lang ausschließlich einen Künstler zu hören, den man sonst nicht hört ist nun mal hart. Sehr hart. Show no mercy.

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