Ein Mann liegt mit Laptop in der Badewanne. Wegen des Gasnotstands
Der Tod des Hofmann | Foto: Privat
Politik

Gaskrise: Wie ich das letzte mal ein heißes Bad nahm

Und damit ein Zeichen setze für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und gegen die russische Tyrannei.

Während mein Körper heißer und heißer wird, dreht auch mein schlechtes Gewissen weiter auf. Ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass da ein kleiner untersetzter Mann mit mir in der Badewanne liegt.

Es ist Anfang Juli, das Thermometer zeigt 20 Grad Celsius und der Gaspreis ist über 150 Prozent teurer als vor Beginn des Ukrainekriegs. Mehr als 20 Cent kostet eine Kilowattstunde. Eine Badewanne mit heißem ferngewärmtem Wasser kostet mich etwa vier Euro. Wenn die Welt sich weiter in die Richtung dreht, die all die klugen Wirtschaftsforscherinnen und Politiker vorhersagen, wird der Preis bald wieder explodieren.

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Das erste Opfer dieser Preissteigerung ist diese Badewanne. Eine weiß glänzende Zauberschüssel, in der wir uns von fest in schrumpelig verwandeln. Der Ort, der mich durch den Lockdown getragen hat, als meine Sozialkontakte verkümmert waren, das Leben nur noch aus Essen und Arbeit bestand und nur die allabendliche Wanne mich liebevoll in ihrem warmen Schoß empfing. Doch sie wird sterben, schon ganz bald und das macht mich traurig. 


Auch. bei VICE: Wir haben Menschen nach ihrer unbeliebtesten Meinung gefragt


Aber vorerst akzeptiere ich die Welt, wie sie ist. Die Gasspeicher sind nun mal nicht so voll, wie sie sein sollten. Russland nervt nun mal und bald schon ist halt nicht mehr Juli, sondern Oktober und damit Zeit, die langen Unterhosen auszupacken und die Heizung aufzudrehen. Sprich: Höherer Gasbedarf, höherer Gaspreis, höhere Armut. Wir müssen sparen. 

Wenn ich mich jetzt beim Gas nicht einschränke, werde ich weniger von allem anderen haben können. Ich werde mir die Badewanne verbieten müssen, um leben zu können.

Deshalb beschließe ich heute, Anfang Juli, bei 20 Grad am Vormittag, in die Wanne zu gehen. Ein letztes Mal im Jahr 2022, ein letztes Mal für lange Zeit. Eigentlich müsste ich das zelebrieren, aber ich will nicht. Ich will nicht feiern müssen, dass der Genuss des Badens bald zum unerschwinglichen Luxus wird. Deswegen entscheide ich mich gegen Pizza im Wasser, gegen Sekt und herrlich blubbernde Badekugeln. 

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Den Dreck wegschrubben

Mein Badetag beginnt mit etwas Grundlegendem, nämlich damit, den Grund zu säubern, auf dem ich später liegen will. Und der kleine Mann will ja auch nicht im Dreck hocken. Mein letztes Bad ist ein paar Monate her und damit auch der letzte Einsatz von Scheuermilch in dem grau-braun angekrusteten Keramik-Bottich. Ich schrubbe also die Reste meines Körpers vom Boden, die mit den Rückständen des Shampoos einen Schmuddelrand auf Knöchelhöhe gebildet haben und freue mich darauf, dass ich gleich wieder die Hitze des Winters genießen werde.

Als alles sauber ist, kippe ich extra viel Badeseife rein. Es soll jede Menge Schaum entstehen

Das liegt auch daran, dass ich in der Wanne fotografiert werde und nicht möchte, dass man später meinen Penis auf den Fotos sehen kann. Außerdem schätze ich den kleinen Mann als reichlich homophob ein. Ich möchte ihn lieber nicht damit konfrontieren. Auch wenn ich ihm die Irritation ob meines Geschlechtsteils gönnen würde.

Guter Ratschlag ist teuer

Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, hat kürzlich gesagt, die Verbraucher sollten jetzt schon Geld für den Winter zurücklegen. Als Vorbereitung auf die Nachzahlungsforderungen der Energieversorger. Das kann halt auch nur einer sagen, der Chef einer Bundesbehörde ist. 

Denn klar, Olaf Scholz weiß zwar, wie teuer ein Pfund Butter im Supermarkt ist (sehr teuer), aber mit seinem Kanzlergehalt spürt er das kaum. Uns anderen tut die Inflation hingegen weh. Besonders trifft sie nämlich diejenigen mit wenig Geld.

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Ich habe auch kein Geld, das ich für den Winter zurücklegen könnte, kann mir die Butter aber leisten. Ich bin ja angestellt, nicht angewiesen auf den Sozialstaat. Mich kann der moderne deutsche Liberalismus nur schlecht ausnehmen. Trotzdem wird die Badewanne zum Luxus, den ich mir trotz Festanstellung nicht mehr leisten kann. Zwei Euro für Butter kann ich aber noch zahlen, wenn auch nicht jeden Tag, wie ich es gern hätte. Egal. Heute ist Badetag!

Ich bereite also alles vor: Die Ablage aus Holz lege ich auf den Rändern der Wanne ab. Später soll hier der Laptop stehen. Ich nehme mir vor, mit ihm dann für diesen Text zu recherchieren, weiß aber eigentlich schon, dass ich lieber den Film zu Ende gucken möchte, bei dem ich gestern Abend eingeschlafen bin. 

Ich werde zum Verräter

Klar, so ganz ohne schlechtes Gewissen geht das alles nicht. Ich weiß ja, warum das Gas derzeit so teuer ist. Ich weiß, dass in der Ukraine Menschen sterben, weil ein größenwahnsinniger Greis meint, seinen Platz in den hochgradig frei interpretierten Geschichtsbüchern Russlands sichern zu müssen als der Typ, der den Staat wieder groß gemacht hat. Der das Imperium wieder auferstehen ließ. Und ich weiß, dass meine Freunde in der Ukraine, Yuri und Liudmyla, aber auch alle anderen, gerade andere Sorgen haben als die Frage, ob sie im Winter baden können. 

Als ich vor wenigen Jahren bei Liudmyla in Lviv zum Essen eingeladen war, bemerkte sie zur Begrüßung stolz, dass sie extra die Heizung angemacht habe, trotz der Preise, zur Feier des Tages. Da war es draußen bereits eiskalt. Sie saß also normalerweise, wenn sie nicht gerade Besuch hatte, mit ihrer kleinen Tochter in einer kalten Wohnung, weil das russische Gas so teuer war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass schon zu Friedenszeiten die warme Badewanne auf ihrer Prioritätenliste nicht weit oben stand.

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Wenn ich ehrlich bin, muss ich also zugeben, dass ich gerade meine Freunde verrate. 30 Prozent des Gases, das in Deutschland verbraucht wird, stammt aus Russland. Und Russland hat gerade seine Liefermengen krass reduziert, weil die dicke Pipeline Nord Stream 1 gewartet werden müsse. Experten sind sich nicht sicher, ob Putin sie danach überhaupt wieder öffnen lassen wird. Ein frierendes Europa kann Putin leichter beeinflussen als eines, das jeden Tag reinen Gewissens baden kann. 

Es gibt also noch andere Gründe, das Baden zu unterlassen. Aber erst ab heute Mittag, nach meiner Badewanne. Denn jetzt ein letztes Mal zu baden, heißt auch, dass ich danach nicht mehr bade. Ich setze ein Zeichen. Vor allem aus Geldnot zwar, klar, aber doch auch ein Zeichen der Ethik, ein Leuchtfeuer der Zivilisation, ein ewiges Signal gegen die Tyrannei!

Ich war 24 Stunden spazieren

Ich steige in die Wanne, der Boden ist kalt wie der Winter. Eigentlich dumm, das jetzt schon zu tun und nicht erst, wenn das warme Wasser den Boden schon vorgeheizt hat. Aber vielleicht ist das in Ordnung, weil es näher an der Realität ist. Auf die Lockdown-Winter waren wir ja auch nicht vorbereitet. Und auf den Winter der Entbehrungen, der Inflation und Badewannenlosigkeit werden wir uns auch kaum vorbereiten können.

Mit "Minority Report" in die Klimakatastrophe

Ich drehe den Wasserhahn auf, mache den Laptop an und klicke auf Play: In Minority Report bekämpft Tom Cruise Verbrechen, bevor sie geschehen. Wer wen wann tötet, verraten ihm Wahrsager. Der Film wird unterschätzt, denn wenn wir alle nur noch an die Zukunft glauben, an die wir glauben sollen, weil ein paar vermeintlich allwissende Wesen uns das sagen, dann gibt’s hier auch bald Totalitarismus und Krieg wie beim kleinen Mann zuhause, der sich sicherlich auch gern mal wieder eine warme Wanne gönnen würde wegen des ganzen Stresses.

Ein Mann arbeitet in der Badewanne am Laptop. Baden wird bald super teuer weil der Gaspreis so hoch ist.

Hard at work or hardly working oder weder noch, weil Robert super weich und glitschig ist und trotzdem arbeitet, indem er badet. Foto: Privat

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Das Europaparlament hat gerade beschlossen, Atom- und Gas-Energie als klimafreundlich zu labeln. Wenigstens deswegen müsste ich mir also keine Vorwürfe machen, wenn ich bade. Allerdings habe ich das Gefühl, dass die EU hier selbst auf ein paar vermeintlich allwissende Lobbyisten reingefallen ist, die ihr weisgemacht haben, die Zukunft würde schon gut ausgehen. Denn klar ist Gas ein Problem fürs Klima. Wird es verbrannt, entsteht CO2, ein Treibhausgas. Und verbrennen muss man es, sonst wird es nicht warm. Und Atomenergie, puh. Eigentlich dachte ich, dass alle Argumente hier schon seit den 80ern auf dem Tisch lagen. 

Nicht zu baden, ist also auch ein Beitrag zum Klimaschutz. Oder? Man könnte dagegen einwenden, dass die Wirtschaft sehr viel mehr Gas verbraucht als der einzelne VICE-Redakteur in seiner Badewanne – oder tausende badende Menschen. Warum rechne ich mir also meine moralische Verfehlung vor, wenn die Industrie stolz sein darf, mit Gas das Klima zu schützen? Es ist schlicht nicht fair, dass die Verantwortung hier auf die Einzelperson abgeschoben wird. Besonders schwer wiegt das, weil ich diese Einzelperson bin.

Das Wasser plätschert auf meine Schienbeine. Es ist mir nicht heiß genug, deshalb drehe ich den Regler ein Stück nach links. Sofort brennt es auf der Haut, fließt mir zwischen die Beine, immer höher. Kurz brenzlig wird es, als es mein Genital erreicht. Das ist immer die kritischste Phase, egal, ob man langsam ins Meer watet oder das Badewasser steigen fühlt: Kein Körperteil ist so temperaturempfindlich wie Hoden und Penis. Aber beide akzeptieren die Hitze. Ich bin safe und darf genießen.

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Der Schaum steigt mir bald bis zum Kinn. Den Laptop kann ich nicht mehr nutzen und stelle ihn weg. Die Ablage ist überwuchert vom weißen Flausch, der knisternd immer kleiner wird. Schnell wird mir warm, dann heiß. Das Gefühl liebe ich. Meine Haare waren bislang trocken, nach wenigen Minuten schon kleben sie mir am Kopf. Salzwasser fließt von oben ins Seifenwasser. Baden ist auch Sport. 

Als der Schaum eingefallen ist, klappe ich den Laptop auf. Statt Minority Report zu schauen, will ich lieber selbst denken. Ich lese also, ich schreibe die ersten Zeilen dieses Textes und vergesse schnell, wo ich bin. Das macht Baden mit mir. Es gibt nur noch mich, alles andere schwemmt das Wasser aus meinem Bewusstsein. Ich werde ruhig, obwohl mein Herz vor Überhitzung pumpt und pumpt und pumpt. Mein Gesicht ist knallrot wie gekochtes Schalentier. Aber das spüre ich kaum, denn es gibt in diesem Moment nur noch meine Gedanken und Emotionen, mein Körper ist verschwunden, verdampft in der Glut, in der ich schwimme. 

Warum soll ich Schuld sein?

Nach anderthalb Stunden kommt Alex vorbei, guter Freund und Nachbar. Ich habe ihn extra gebeten, so spät zu kommen, denn ganz ehrlich: Ein Bad unter anderthalb Stunden kann ich nicht ernstnehmen.

Ein Mann mit Laptop in der Badewanne. Wegen des Gaspreises wird baden bald zum Luxus

Robert Hofmann in der Badewanne. Foto: Privat

Alex hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung und steht deshalb plötzlich einfach im Badezimmer. Er findet das alles abwechselnd amüsant und absurd, den kleinen bösen Schrumpelgreis nimmt er nicht wahr. Er macht die Fotos. Ich stelle das berühmte Gemälde nach Der Tod des Marat von Jacques-Louis David, eines Kämpfers der Französischen Revolution wie ich einer bin, der hier in der Wanne für mehr Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpft, nur dass ich mit Freiheit nicht die des Christian Lindners meine. 

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Warum musste heute das letzte Mal gewesen sein? Bald kickt die Herbstwelle, das Leben wird wieder einsam und traurig. Jetzt muss ich auf dieses letzte bisschen Glück verzichten, weil die Politik es seit Jahrzehnten nicht geschafft hat, sich den Avancen des judokämpfenden Jockels aus Moskau zu verschließen. Warum ist es meine Aufgabe als Individuum, die systemischen Verfehlungen zu kompensieren. 

All die Wirtschaftsberater, all die Politikerinnen, die sich Putin an den Hals geworfen haben, als der ihnen hochdotierte Posten oder andere Verheißungen versprach, müssen heute sicher nicht um die nächste Wanne bangen. Gerhard Schröder badet in Moskau, Angela Merkel auf einer Ostseeinsel. Und die vielen Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern, denen Nord Stream 2 ein Herzensanliegen war, weil oh, die Jobs, die regionale Wirtschaft, oh oh oh, die sind auch sicher gebettet in großzügigen Gehältern, Honoraren und Diäten.

Stattdessen verkündet Robert Habeck kokett, er dusche jetzt noch kürzer als zuvor – damit wir es ihm gleichtun. Die Verfehlungen der Vergangenheit werden auch hier auf das Individuum abgewälzt. Es wäre doch denkbar, dass man ein bisschen am Steuersystem schraubt, hier und da ein paar Mehreinnahmen von Mehrverdienern generiert und damit Gas aus anderen Ecken der Welt rangeschafft. Oder, ganz neue Idee: Mal die Energiewende ernsthaft angehen. Stattdessen hagelt es Spar-Appelle noch bevor die Graupelsaison überhaupt begonnen hat. 

Und so fühlt es sich an, als säße hier in der Wanne bei mir dieser kleine grinsende Russe, ein Diktator durch und durch, und freue sich, dass wir mit unseren Badewannen seinen Krieg finanzieren und uns dabei auch noch ärgern. Alternativen gibt es nicht, aber neben ihm stehen deutsche Wirtschafts- und Finanzminister und behaupten, jetzt komme es darauf an, dass wir alle zusammenhalten und bitte nicht mehr baden gehen. 

Ich trockne mich ab, mein Kopf dröhnt, mir ist schwindelig. Anderthalb Stunden saß ich im heißen Wasser, das hält selbst mein Kreislauf nicht aus. Ich ziehe Boxershort an, Hose und T-Shirt. Alles ist sofort wieder nass, weil mein Körper noch gute zwanzig Minuten weiterschwitzen will. Sofort wird mir kalt. Baden ist das Schönste auf der ganzen Welt, nur war es halt schon mal sehr viel schöner.

In seine Badewanne lässt Robert nur besondere Menschen. Auf Twitter und Instagram nimmt er alle. Folgt ihm dort und VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.