Wie Xatar und ich ein Meme wurden

Das Allererste, das Rapper Xatar vorhat, wenn er aus dem Knast kommt? Sich einen schönen Köftespieß geben, wie er viermal hintereinander voller Inbrunst betont. Kein Reden, einfach einen Berg Fleisch und All-You-Can-Drink-Ayran. Das wissen wir schon seit 2013, als ich ihn für die VICE-Doku "Xatar im Knast" hinter Gittern besucht habe und danach fragte. Nach Monaten unermüdlicher Arbeit unserer Producer bekamen wir endlich Zugang zu Giwar Hajabi, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, und ich sah zum ersten Mal ein Gefängnis von innen.

Was ich damals aber niemals hätte ahnen können: Sieben Jahre später, zu Beginn der Pandemie, würde genau diese leidenschaftlich vorgetragene Antwort auf meine Interviewfrage unsere kollektive Sehnsucht nach Freigang und Genuss zwischen all den Lockdowns einfach komplett auf den Punkt bringen. Und so bekam ich im Frühling 2020 das ultimative Geburtstagsgeschenk: Ich wurde Teil eines der wichtigsten deutschen Memes der Covid-Ära. 

Alles ging so schnell, dass ich gar nicht mehr nachvollziehen konnte, wer es denn zuerst gepostet hatte. Der Meme-Account Betrugo oder hiphop.de? In Wahrheit hatte ein Genie namens "Bobo" das Snippet bereits im September 2019 auf YouTube gestellt, ohne wissen zu können, wie relevant es ein paar Monate später werden würde. Weil wir alle Xatars Hunger nach Hackfleisch-Eskapismus fühlen würden. In kurzer Zeit hatte sich das Meme verbreitet und sechsstellig Likes gesammelt. Vom Berliner Rapper Lil Lightzkin gesampelt wurde der Ausschnitt sogar zu einem kleinen TikTok-Hit in den USA. Und beinahe schaffte es der Köftespieß auch noch zum Jugendwort des Jahres, wäre "lost" nicht dazwischengegrätscht. Trotzdem beflügelte die ganze Aufmerksamkeit um unser altes Interview den selbsternannten "Jeff Bezos des Deutschrap" zur Zweitkarriere als Köftepreneur und bescherte ihm sogar einen Auftritt als Marketingexperte auf der Mainstage des Medienevents OMR. Danke, Social Media! 

In der Tradition von VICE, immer an vorderster Front selbst mit dabei zu sein und fully immersed, egal ob im Knast oder im Internet? Cool. Jahre später immer mal wieder aufgeregte Nachrichten zu bekommen, weil das Meme irgendwo aufgetaucht ist und sich die eigene Arbeit ein kleines Stückchen unsterblich und zeitlos anfühlt? Unbezahlbar. 

Barbara Dabrowska war von 2008 bis 2024 bei VICE, bis 2017 als Stellvertretende Chefredakteurin, zuletzt als Strategy Director.