Ich bin ein Säufer und führe eine Bar

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Alkoholismus

Ich bin ein Säufer und führe eine Bar

Alkohol hat mir immer dabei geholfen, meine Unsicherheiten abzubauen. Er hat mir dabei geholfen, mich besser zu fühlen und selbstbewusster zu sein. Und dann, vor zwei Jahren, funktionierte es plötzlich nicht mehr.

Alkohol hat mir immer dabei geholfen, meine Unsicherheiten abzubauen. Er hat mir dabei geholfen, mich besser, selbstbewusster und attraktiver zu fühlen. Ich bin erfolgreicher Barkeeper und vom Wesen her bin ich einfach nicht so sozial wie es der Job eigentlich erfordert. Ich brauche ein paar Drinks, um warm zu werden. Die Drinks fungierten als Eisbrecher. Sie haben mir dabei geholfen, die Person zu werden, die ich sein musste. Das hat mir auch gefallen und es hat funktioniert.

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Und dann, vor zwei Jahren, funktionierte es plötzlich nicht mehr.

Wir waren auf einer Preisverleihung, auf der meine Bar—die Vera Pizzeria in Buffalo (US-Bundesstaat New York)—als beste neue Bar in der Stadt ausgezeichnet wurde. Wir haben alle viel getrunken und unseren Gewinn gefeiert. Meine damalige Ehefrau entschied für sich, dass sie betrunken war und ging nach Hause, aber ich habe weiter getrunken und Party gemacht. Als ich dann zu Hause war, habe ich gemerkt, dass ich gar keinen Schlüssel dabei habe. Sie hatte abgeschlossen und schlief schon tief. In einem Wutanfall habe ich versucht, die Haustür einzutreten. Die Tür war aus Stahl und ich habe so stark zugetreten, dass ich mir ein Bein gebrochen habe, aber die Tür war immer noch nicht auf. Ich lag mit höllischen Schmerzen davor, schrie nach Hilfe und war total besoffen.

Ich musste eine Woche später operiert werden und konnte das Bein für drei Monate nicht benutzen. Das sollte ein Warnzeichen sein. Wieso bin ich nicht mit meiner Frau nach Hause gegangen? Ich musste ja dableiben; ich musste ja weitertrinken; und ich musste ja weiter Party machen.

In unserer Branche reden wir uns gerne selbst ein, dass wir besser als die sind. Leute trinken den ganzen Abend um uns herum, es ist normal, nach dem Motto „Ich bin kein Alkoholiker—ich bin Barkeeper"

Ein anderes Mal habe ich es in meiner eigenen Bar übertrieben. Ich bin in den Keller gerannt, um Handtücher zu holen. Ich erinnere mich nicht daran, was genau passiert ist. Ich weiß nur, dass ich auf irgendetwas getreten sein muss. Zwei Stunden später bin ich aufgewacht und lag mit einem gebrochenen Schlüsselbein und blutendem Kopf im Keller. Ich bin nach oben gestolpert, wo einer meiner Barkeeper gerade mit dem Saubermachen fertig war. Es war fünf oder sechs Uhr morgens und er dachte, ich sei schon längst zu Hause.

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Bäm, ein weiterer Krankenhausaufenthalt.

Ich habe nichts davon mit einem Trinkverhalten in Verbindung gebracht. Ein dreckiger Penner auf der Straße, der billigen Fusel trinkt—das ist ein Alkoholiker. In unserer Branche reden wir uns gerne selbst ein, dass wir besser als die sind; dass wir nicht abhängig werden, weil wir damit unser Geld verdienen. Leute trinken den ganzen Abend um uns herum, es ist normal, nach dem Motto „Ich bin kein Alkoholiker—ich bin Barkeeper".

Ich habe in den letzten zwölf Jahren jeden Abend getrunken, auch wenn ich alleine zu Hause war. Ein Sechserpack Bier oder ein paar Flaschen Wein waren immer am Start. Ich habe mir eingeredet, dass ich den Alkohol brauche, um einschlafen zu können.

Dann war die Ehe Geschichte. Aber ich habe nicht mit dem Trinken aufgehört. Ich habe nicht mal im Entferntesten daran gedacht.

Ich habe meine ganze Energie in dieses Restaurant Schrägstrich Bar gesteckt, weil ich dachte, dass es das wäre und dass es mich glücklich machen würde. Ich habe all diese Auszeichnungen und das Lob erhalten, aber daraus wurde mehr und mehr eine Bürde. Die Wahrheit ist, dass mich diese Bar nicht erfüllt hat. Sie hat nicht das gemacht, was sie sollte.

Sonntagmorgens bin ich dann in die Bar. Ich war schon länger auf dem Besäufnis-Trip. Ich saß an der Bar und wusste, dass ich eine Lösung finden muss. Seit ein paar Monaten immer dasselbe Bild: Ich saß alleine an der Bar mit einer Flasche Alkohol und habe versucht, die Probleme in meinem Leben in den Griff zu bekommen.

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Nach ein paar Minuten tauchten zwei Angestellte und meine neue Freundin Shawna in der Bar auf. „Wir sind auf der Suche nach dir", sagten sie zu mir. „Wir müssen mit dir reden."

Denn schließlich wache ich nicht mit einer Flasche neben meinem Bett auf und zittere, also bin ich doch ganz klar kein Alkoholiker.

Ich dachte nur „Wie komisch ist das denn?" Ich sitze da an meinem freien Tag, wälze meine Probleme und dann tauchen Leute auf, die mir sagen wollen, was mit mir nicht stimmt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich weiß, dass ich meinen Alkoholkonsum reduzieren müsse.

Worauf sie mir gesagt haben: „Du musst schon ein bisschen mehr als das machen. Du musst in eine Entzugsklinik".

Ich habe es geleugnet und abgewehrt. Denn schließlich wache ich nicht mit einer Flasche neben meinem Bett auf und zittere, also bin ich doch ganz klar kein Alkoholiker.

Aber wer sagt einem, wenn man ganz unten angekommen ist? Mir gehörte ein sehr erfolgreiches Restaurant. Ich hatte Geld, Freunde und eine hübsche Freundin. Ich hatte all die Dinge, die für ein angeblich erfolgreiches Leben stehen—und mir ging es schlecht. Ich war ganz unten angekommen, mir ging es richtig beschissen.

Ich habe sie angeschaut und ihnen gesagt: „Wisst ihr was? Ich werde alles machen, was ihr sagt, denn ich selbst kann nicht sagen, was falsch ist und was nicht."

Bevor ich mich auf den Weg in die Klinik machte, kippte ich ein paar Shots. Einfach, um den Mut zu haben und es durchzuziehen

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Daraufhin rief ich einen befreundeten Arzt an und sagte ihm, dass ich trocken werden möchte. Seine Antwort war erschreckend: „So viel wie du trinkst, wird kalter Entzug bei dir nicht funktionieren. Du brauchst ärztliche Überwachung, während du auf dem Entzug bist." Ich habe nicht geglaubt, dass so schlecht um mich steht.

Als ich in der Entzugsklink ankam, habe ich wie Espenlaub gezittert. Ich war, natürlich, den Abend davor trinken und bevor ich mich auf den Weg in die Klinik machte, kippte ich ein paar Shots. Einfach, um den Mut zu haben und es durchzuziehen. Ich habe gezittert, weil ich Alkohol brauchte. Mein Blutalkoholwert lag gerade so unter der gesetzlich zulässigen Grenze.

Ich war für vier oder fünf Tage in der Entzugsklinik. Dort haben sie mir Beruhigungsmittel gegeben, um den Alkohol zu ersetzen, auf den mein Körper so angewiesen war. Da war ich nun: Ich stecke in weißer Krankenhauskleidung und wohnte auf derselben Etage wie Crystal-Meth-Abhängige, Crackheads und richtige Heroinsüchtige. Ich habe zu mir selbst gesagt: Ich bin nur hier des Alkohols wegen hier, das ist mit Abstand nicht so schlimm wie Crack oder Crystal Meth.

Als ich die Klink verließ, habe ich mir selbst ein Ziel gesetzt: 30 Tage trocken zu bleiben. Mir ging es die ganze Zeit schlecht, aber das hatte ich keinem gesagt. Ich war wieder in der Bar und habe jeden Abend gearbeitet. Ich habe mir eingeredet, dass ich kein Alkoholiker sein kann, weil ein Alkoholiker das niemals machen könnte. Ich habe den Zeitraum um 15 Tage verlängert, um es mir ganz zu beweisen. Mir geht's gut, ich habe die Kontrolle, ich kann das. Ich habe die Sache im Griff und ich kann wieder trinken. Ich werde eben kontrolliert trinken.

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Ich muss gut im Überzeugen sein, denn Shawna, meine Freunde und meine Angestellten haben geglaubt, dass es mir gut geht. Aber nach zwei oder drei Wochen, da wurde ich wieder rückfällig.

Mein Bruder arbeitet in einer Entzugsklinik, also rief ihn Shawna um Rat an. Danach ging sie zu Al-Anon [Selbsthilfeorganisation für Angehörige Alkoholkranker] und wollte mehr wissen. Ich kam nach Hause und auf dem Tisch lag ein Al-Anon-Buch. Ich lachte und stellte mein Glas Wein darauf. Denn ich hatte mir ja selbst bewiesen, dass ich kein Alkoholiker bin, weil ich für 45 Tage keinen Alkohol getrunken habe.

Aber nach Weihnachten im selben Jahr kamen sie—die Depression und der Trübsal—wieder.

Am Sonntagmorgen bin ich mit einem Kater aufgewacht. Als ich in mein Wohnzimmer kam, standen da mein Bruder, meine Schwestern, meine Eltern und die meisten meiner Angestellten. Ich habe mich hingesetzt und mein Bruder sagte mir, dass alles für mich vorbereitet sei. Dass er mit mir zu der Entzugsklinik fahren würde.

Ich kann Alkohol sehen, daran riechen und es macht mir nichts aus. Ich habe kein Verlangen danach.

„Hm, OK, aber heute geht es nicht", sagte ich ihm. „Ich kneife nicht. Ich will dahin. Vorher muss aber die Bar …".

Ich konnte den Satz nicht mal beenden und schon präsentierten Shawna, mein Vater und mein Barmanager mir einen detaillierten Plan, wie die Bar ohne mich laufen würde. „Wir brauchen nur ein paar Passwörter. Wir haben die Sache im Griff. Vertraue uns. Du brauchst Hilfe. Geh und mach das, was du machen musst", war alles, was sie zu mir sagten.

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Als ich in die Entzugsklinik kam, fing ich an, mir darüber Sorgen zu machen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdienen soll. Ich habe meine Betreuer gefragt, ob sie mir raten würden, dass ich meine Bar aufgeben soll. Das verneinten sie. Es sei mein Geschäft und damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich wusste nicht mal, ob ich die Bar weiterbetreiben kann. Ich hatte keine Ahnung, wie es mir gehen würde, wenn ich aus der Klinik entlassen werden würde.

Jetzt bin ich draußen und trocken. Wenn es um das Thema Alkohol geht, bin ich gleichgültig. Ich muss mich davor nicht verstecken. Ich muss nicht bestimmte Orte meiden, weil dort Leute trinken. Ich kann Alkohol sehen, daran riechen und es macht mir nichts aus. Ich habe kein Verlangen danach.

Ich kann auch hinter der Bar arbeiten. Das Einzige, war mir an der Arbeit hinter der Bar nicht gefällt, ist der Aspekt, dass wir gerne unsere Drinks auf Ausgewogenheit testen. Das kann ich nicht. Ich fühle mich wie der Chefkoch, der sein Essen nicht probieren kann. Aber ansonsten geht's mir gut.

Die Familie von Rector zahlte 30.000 Euro für seinen dreimonatigen Aufenthalt in der Entzugsklinik. Nach einer umfassenden Gruppen- und Einzeltherapie und den 12 Schritten der Anonymen Alkoholiker kehrte Rector nach Hause zurück. Er ist seit Mai 2015 trocken. Der 35-Jährige und Shawna erwarten diesen Frühling ihr erstes Kind. Im September feiern sie das fünfjährige Jubiläum der Bar.

Nacherzählt von Ivy Knight.