Ich habe auf den VideoDays versucht, YouTube-Stars zu verstehen

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Ich habe auf den VideoDays versucht, YouTube-Stars zu verstehen

Hier gibt es mehr Kameras als in einem Hochsicherheitstrakt. Und mindestens genauso viele Leute, die vom Social-Media-Fame träumen.

Trauben, überall Menschentrauben. Alle 50 Meter steht eine neue kleine Versammlung. Dazwischen laufen Leute mit bunten Haaren, Zahnspangen und Abscann-Blick durch die Gegend. Die Wenigsten schätze ich auf über 18. Beste Freundinnen halten sich an den Händen, genauso wie einige Mutter-Tochter-Gespanne. Weibliche Fans sind in und vor der Kölner Lanxess-Arena in der Überzahl.

Ich bleibe vor einer Traube stehen. "Weißt du, wer das ist?", frage ich ein Mädchen neben mir und deute auf einen Typen mit Gangster-Kopftuch, vor dem um die 30 Fans darauf warten, mit ihm ein Selfie zu schießen. Das Mädchen schaut mich an, als hätte ich sie gefragt, wer Justin Bieber sei. "Das ist Kevin aus Köln 50667", erklärt sie mir. Hauptdarsteller des Berlin-Tag & Nacht-Abklatsches für Köln, eine Soap auf RTL II.

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Danny Liedke aka Kevin aus der Soap Köln 50667

Die Erkenntnis, dass ich keinen bekannten YouTuber, sondern nur einen Soap-Schauspieler nicht erkannt habe, erleichtert mich für einen Moment. Schließlich habe ich mich vorbereitet auf die VideoDays, nach eigenen Angaben das größte YouTuber-Treffen Europas. Ich musste mich auch vorbereiten, da ich über "die Community", wie hier alle sagen, kaum etwas weiß. Ich kenne zwar Namen wie Bibi oder Dagi Bee, auf der Straße hätte ich sie bisher aber nicht erkannt.

Aktuell gibt es 105 deutsche YouTube-Kanäle mit mehr als einer Million Abonnenten, weit über 100 weitere haben mindestens 500.000 Follower. Hunderte Menschen, die mit Follow me arounds, Challenges, Pranks, Hauls, Let's Plays, Lifehacks und Schmink-Tutorials Geld verdienen. Und Millionen, die sich das anschauen. Und nochmal Millionen, die absolut keinen Plan davon haben, mich eingeschlossen.

"Ich mache das hauptberuflich."

Die Millionenmarke will auch Elvis Lamoureux knacken – irgendwann. Bis dahin muss er noch Follower sammeln, bei den VideoDays ist er nicht als "Artist" (die vermeintlichen A-Promis der Szene), sondern als "Creator" (B-Z-Promis) eingeladen. Während die A-Promis auf der Bühne stehen und bekreischt werden, sind die upcoming Influencer wie Elvis dabei, "um für die Community da zu sein", wie er sagt. "Hier können mich meine Follower treffen." Offenbar fühlt sich hier jeder mit einem "Creator"-Ausweis ein bisschen als Star. Die Realität sieht anders aus: Um die Bekannteren bilden sich Trauben, die weniger Bekannten stellen sich selbst in Trauben an, um den eigenen Insta-Fame mit einem Promi-Pic zu pimpen.

Auch Elvis hat heute Fotos mit Followern gemacht, erzählt er. Schon jetzt verdient der gelernte Friseur und Make-Up-Artist durch Product Placements und Einladungen zu Werbeveranstaltungen Geld. Und das mit "nur" knapp 18.000 YouTube-Abonnenten und 67.000 Instagram-Followern. "Wie schnell Geld reinkommt, ist auch vom Thema abhängig", sagt der 24-Jährige, der Adiletten mit Socken an den Füßen trägt. "Ich mache Fashion, Beauty und Lifestyle. Für Männer ist das gerade sehr gefragt. Damit ist es leichter Geld zu verdienen, als mit puren Comedy-Formaten." Wie viel er verdient und ob es für ein auskömmliches Leben reicht, will er nicht verraten. Nur soviel: "Ich mache das hauptberuflich."

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Elvis ist auf den VideoDays, um seine Follower zu treffen

Dass der Sänger Lukas Rieger (462.000 Abonnenten, der deutsche Justin Bieber) gerade auf der Bühne steht, ist ihm egal. Dabei wurde der 18-jährige Ex-The-Voice-Kids-Star schon auf dem roten Teppich und auch in der Halle am hysterischsten bekreischt. Mir wird klar, er ist DER Star der VideoDays. Ein Vorbild für Elvis? "Nein, Lukas ist ein Sänger, er macht etwas total anderes."

Stellt sich die Frage: Ist Lukas Rieger überhaupt ein klassischer YouTube-Star? Auf seinem Channel sind fast nur Musik-Videos zu sehen, aber immerhin: Ein Sub-Channel ("Life of Lukas") verspricht ein neues Video einmal in der Woche. Hochgeladen ist noch keines. Abonnenten sind trotzdem schon da: 30.000 folgen dem Channel ohne Video bereits.

"Der ist einfach toll, ich kann das gar nicht beschreiben."

Vielleicht kapiere ich die ganzen YouTuber deshalb nicht: weil ich nach einem gemeinsamen Nenner suche. Hier merke ich: Die Szene ist viel zu heterogen, als dass man ernsthaft von EINER Community sprechen könnte. Sie sind nicht Fan des gleichen Vereins, begeistern sich noch nicht mal für die gleiche Sportart. Im Line-Up der VideoDays stehen Technik-Tester wie Felix Bahlinger (428.000 Abonnenten) neben Comedians wie Joyce Ilg (1,2 Millionen Abonnenten) und Mathe-Erklärer Daniel Jung (294.000 Abonnenten). Was die etwa 10.000 Besucher eint, ist ihr Social-Media-geprägter Medienkonsum und das Bedürfnis nach einem Selfie mit einem bekannten Gesicht.

Nach dem ersten Teil der Bühnenshow erzählt Zuschauerin Zehara, dass auch sie die meisten der Acts gar nicht kannte. Hergekommen sei sie nur für einen: DeenisTJ, der gerade rappend auf der Bühne stand. Was genau findet sie denn toll an diesem Typen? "Der ist einfach toll, ich kann das gar nicht beschreiben", sagt sie. Bei YouTube kratzt DeenisTJ übrigens an der 100.000er-Marke, zu den Top-Stars gehört er nicht, zu den Träumen einiger Mädchen schon.

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"Wir machen das, weil es uns Spaß macht, Leute zu entertainen."

Auch die Macherinnen von AyrukanTV hätten nichts gegen Fame. Die vier jungen Frauen sind wie Elvis als "Creator" dabei. "Bei YouTube sind wir gar nicht so erfolgreich, dafür aber bei Facebook", sagt die 20-Jährige Rukan. "36.000 Follower haben wir da." (Bei YouTube sind es keine Tausend.) Zusammen mit Schwester Aysegül und den Freundinnen Ebru und Melanie dreht sie Videos, in denen es um eifersüchtige Frauen und Beziehungsprobleme geht: Geschlechterstereotype. "Wir machen das, weil es uns Spaß macht, Leute zu entertainen", sagt Rukan. Was sich banal anhört, ist laut einer Studie der Film und Medien Stiftung NRW tatsächlich die größte Motivation unter Amateur-YouTubern: Neben dem Spaß-Faktor stellte die Studie bei den Befragten auch ein hohes Mitteilungsbedürfnis fest. Auf der Motivationsskala ganz unten landete die Aussage: "Ich möchte die politische Tagesordnung beeinflussen und Themen auf die politische Agenda setzen."

Haben 36.000 Follower bei Facebook durch Beziehungs-Comedy: Ebru, Aysegül, Rukan und Melanie von AyrukanTV

"Vor zwei Jahren hatten wir nur drei, vier Likes für ein Video. Das Wichtigste ist, weiterzumachen", sagt Rukan. Erfolgreich wurden sie, als sie verstanden hatten, welche Videos am besten ankommen: "Das sind Videos, in denen sich die Leute wiedererkennen. Die nennen sich dann gegenseitig in den Comments und das Ding geht ab", erzählt Rukan. Geld verdienen die vier bisher nicht mit ihren Clips, aber das soll noch kommen. Rukan und Schwester Aysegül sind gerade auf Ausbildungs-Suche. Eigentlich. "Aber vielleicht ist das ja bald gar nicht mehr nötig", meint Rukan.

Der nächste Fast-Star mit Creator-Ausweis ist Baris Milano. Vor allem sehr junge Mädchen wollen ein Selfie mit ihm. "Ich kenn dich nicht, was machst du", frage ich ihn in einer Belagerungs-Pause. "Fashion für Fette, polarisierende Comedy und Beauty", lautet seine Antwort. Ich bin ratlos, weshalb das bei 12-jährigen Mädchen der Hit ist. "Und deine Follower?", frage ich weiter: "23.000 bei YouTube und 64.000 bei Snapchat." Seit sechs Monaten sei er erst dabei, erzählt er weiter. Im Moment mache er auch nur das: Videos produzieren. Warum er hier ist? "Für meine Community."

Creator Baris Milano ist seit einem halben Jahr auf Follower-Fang

Ich kapiere: Die Community ist alles. Denn: Mit jedem Follower mehr wächst erst das Ego und irgendwann auch der Geldbeutel. Ich bin und werde definitiv kein Teil von ihr und gehe nach Hause.

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