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Schlagerzombie mit Teleprompter—wir haben Heino live erlebt

Das Heino-Konzert war auf mehreren Ebenen so schlecht, dass es fast schon wieder ironisch wirkte. Aber leider nur fast.

Man musste sich als musikinteressierter Mensch in diesem Jahr einiges gefallen lassen: Auf einmal stand Ende Januar Heino in allen relevanten Medien. Seine Platte Mit freundlichen Grüßen wurde überall schamlos beworben. Ein Schlager-Zombie sei als Rockstar zu neuem Leben erwacht. Die Bildzeitung half kräftig mit, indem sie einen „Rockerkrieg“ inszenierte und behauptete, Rammstein und die Ärzte hätten etwas gegen seine Coverversionen. Was natürlich völliger Schwachsinn war. Und von der Pointe gekrönt wurde, dass Heino mit Rammstein kürzlich in Wacken auf der Bühne stand.

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Hut ab vor seinem Manager Jan Mewes, der die Pop-Öffentlichkeit mit dieser Nummer so lange eingelullt und damit eine Menge Kohle verdient hat. Ich selbst habe mich einlullen lassen und war im Gespräch zu Heino sehr freundlich. Die ironischen Ärzte-Zeile „Und wie du wieder aussiehst“ zu entironisieren—muss man auch erstmal bringen. Aber gestern war ich bei Heinos Konzert in Berlin und kann euch zur Beruhigung mitteilen: Der Spuk ist vorbei.

Zunächst einmal war der IFA Sommergarten fast leer. 10.000 Leute passen rein, 3000 Leute kamen. Da brachte es auch nichts, dass die Vorband Knorkator hieß und dem Abend einen ganz besonders lauten, durchgeknallten Startschuss geben sollte. Als sich Sänger Stumpen im Ringeranzug an seinen Eiern rumspielte, war die Niveaulatte des Abends gelegt. In der Pause schaute ich mich bei den zahlreichen Essensständen um und sah sehr traurige Gesichter. Berge voller Asia-Nudeln, die keiner aß. Eine Brezelverkäuferin raste hysterisch auf dem Gelände herum und verkaufte ihr Labbergebäck für einen statt drei Euro.

Kurz vor halb neun kam Heino. Sein Pseudo-Rocker-Outfit muss ich ja nicht mehr beschreiben. Hinter ihm hing ein Banner mit einem Logo, das Heinos Gesicht durch einen Totenschädel ersetzte. Es sah aus wie ein nicht gebügeltes Tischtuch. Mal vorneweg: Musikalisch war überhaupt nichts auszusetzen. Heino ist mit absoluten Profis unterwegs, die es vielleicht aus optischen Gründen nicht zu Max Herre geschafft haben, aber alle unglaublich auf den Punkt spielen. Der Sound ist klar, im Bläsersatz hört man jede einzelne Stimme raus—und so weiter.

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Aber die Frage ist natürlich: Wen interessiert das, wenn der Frontmann seine Texte vom Teleprompter abliest? Heino war ständig groß auf der Leinwand zu sehen, seine nach unten gerichteten Augen sah man durch die Sonnenbrille. Er machte eigentlich gar keinen Hehl daraus. Tut James Hetfield schließlich auch.

Man hätte sich von einem souveränen Rockstar natürlich einen Kommentar zu den leeren Reihen gewünscht. So à la: „Ich mache mein Ding, egal, wie viele kommen. Ihr seid geil und alle anderen sind scheiße.“ Doch Heino konnte nur auf die vorbereiteten Ansagen auf dem Teleprompter zurückgreifen. Dabei las er so schlecht ab, dass es fast schon wieder ironisch wirkte—aber auch nur fast. Die Bildregie machte auch gar keinen Hehl aus dem Teleprompter und gab uns den Blick auf Heinos Rettungsschirm frei:

Es ist mir absolut unverständlich, wie Rolling Stone-Autor Frédéric Schwilden in der Berliner Morgenpost den Satz „Es ist nichts Peinliches zu finden.“ schreiben kann. Diese Haltung blendet zum Beispiel aus, dass nach den Rocknummern noch ein paar Heino-Klassiker kamen, zu denen sich eine Polonaise wie ein bösartiger Tumor durchs Publikum fraß. Ein Publikum, das übrigens ordentlich einen sitzen hatte.

Die These, Heino sei nicht peinlich, blendet auch seine ganz spezielle Version von „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ aus. Die wird so eingeleitet, dass sich sein dunkelhäutiger Backgroundsänger Lothar Atwell an Heino wendet und den Meister um sein angebliches „Lieblingslied“ bittet. Wie spontan die Nummer ist, kann man ja anhand einer früheren Show sehen:

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Und dann schenkt Lothar, dessen Vater aus der Karibik stammt, Heino eine Crossover-Rap-Version. „Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich.“ Reaktion im Publikum: sehr gut. „Heino, Heino!“-Rufe. Aber die gibt es ja nach jeder Nummer.

Selbst wenn das Konzert nicht rassistisch, sondern nur schlecht besucht gewesen wäre, kann man feststellen: Der PR-Gag namens „Heino als Rockstar“ ist tot. Wer nach einem halben Jahr immer noch meint, er sei cool, hat die Menstruationszyklen unseres zynischen Popgeschäfts nicht verstanden. Wir können hoffen, dass Manager Jan Mewes clever bleibt und Heino bald zu einem Comebackversuch rät—am besten im Daft-Punk-Helm.

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