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Eine Liebeserklärung an Fast Forward und was ich durch die Sendung gelernt habe

Auch Jahre nach dem Ende der Sendung ist Fast Forward ein elementarer Teil des Lebens unserer Autorin. Spoiler: Hier ist sehr viel Liebe im Spiel.

Der 2. Jänner 2005 war ein tiefschwarzer Tag für Menschen, die ihren musikalischen Safe Place abseits des Mainstream angesiedelt hatten. An diesem zweiten Tag des neuen Jahres wurde die letzte Folge Fast Forward ausgestrahlt und das vorläufige Ende des Musikfernsehens eingeleitet. An diesem Tag hatte Viacom schon lange beschlossen, euch Scheiße ins Hirn zu füllen und statt Musik und musikzentrierten Sendungen (noch mehr) Reality Shows in das Programm von MTV und VIVA aufzunehmen. Aber ich will jetzt keine Neuaufarbeitung dieses Themas anzetteln.

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Was allerdings trotzdem Erwähnung finden sollte, ist, dass mit dem Aus von VIVA Zwei (und was von dem Sender übrig blieb noch kurz versucht hat mit VIVA zu überleben) auch eine gewisse Freiheit verschwunden ist, die es im (deutschsprachigen) Fernsehen danach vielleicht nie wieder gegeben hat. Wenn es jemals so etwas wie radikale Anarchie im öffentlichen Fernsehen gab, dann hier. Wo sonst moderiert ein immer übel gelaunter Mikrofonschoner eine Sendung (Zwobot), die ein Puppentheater ist? Eine Sendung übrigens, die sich wahrscheinlich niemand außer unserem Chefredakteur angesehen hat, der sich auch heute noch darüber abhaut. Zu Recht.

Oder Kamikaze. Das Format, das Niels Ruf den Titel „Ferkel der (deutschen) Nation“ einbrachte und dem Namen der Sendung mit politisch grenzwertigen bis inkorrekten Aussagen und räkelnden Frauen als Dekoration alle Ehre machte. Seine Dreistheit wurde damals letzen Endes nicht mehr toleriert und VIVA konnte ihn nach einer Aussage über den Hautkrebs einer Kollgegin vor die Sendertüre setzen. Wer gerade nichts zu tun hat, sollte sich übrigens dieses Best Of ansehen. Und dann gab es natürlich noch Overdrive und die 2-Serie. Mit 2Dark, 2Rock, 2Step und 2New, deren Inhalt wir hier hoffentlich nicht erklären müssen. Das waren die Sendungen, die damals das waren, was heute für Musiksuchende Seiten wie last.fm oder hypem.com sind. Ich bin Menschen begegnet, denen all diese Namen nichts mehr sagen. Erstens ist das schon verwunderlich und zweitens traurig. Diese Menschen haben nämlich die schönste Zeit, die es im Musikfernsehen gab, verpasst.

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Aber zurück zu Fast Forward. Auch wenn einige keine Ahnung haben, wovon hier überhaupt die Rede ist (schämt euch), wird diese Sendung noch immer von vielen vermisst. Weil sie viele Menschen geprägt hat und einen musikalischen Bildungsauftrag erfüllt hat, ohne den so Mancher vielleicht noch immer im Sumpf des schlechten Geschmacks vegetieren würde. Gemeinsam mit 2Rock, die von Markus Kavka moderiert wurde, war FFWD eine musikalische Oase in einer Wüste aus kommerzieller Kacke, die diese Oasen letztendlich auslöschen sollte. Solltet ihr zu jung sein um Fast Forward zu kennen, kann ich euch nur ans Herz legen, euch nachträglich mit der Sendung auseinander zu setzen. Sie hat Geschichte geschrieben und hat mir und vielen anderen viel über das Leben beigebracht. Was genau erkläre ich euch hier:

Fast Forward hat meinen Musikgeschmack geprägt

Verzeiht die Qualität, aber das ist eben schon lange her und so sah Fernsehen 1861 halt aus. Screenshot via YouTube

Wer mit Leuten aufwächst, deren musikalisches Know How beim Bravo Hits-Horizont endet—und ich meine wirklich endet—hat keine guten Chancen auf ein Leben mit gehaltvollen Künstlern. Durch FFWD bin ich das erste Mal auf Künstler wie die White Stripes, Radiohead (erinnert ihr euch noch an das legendäre Interview?) oder JJ72 (damals war das schon cool, heute seh ich das auch anders) gestoßen. Roche, aber auch einige der oben genannten Sendungen haben die Grenzen des musikalischen Horizonts aufgehoben. Leute, die es bis VIVA Zwei noch nicht besser wussten, haben eine Welt hinter den Charts betreten und diese Welt bedeutete—wie der Sender selbst—eine neue Freiheit, von der man davor noch nichts wusste. Vielleicht klingt das pathetisch, aber ich weiß nicht ob ich diesen Text heute hier in der Redaktion schreiben würde, wenn es Fast Forward nicht gegeben hätte. Sie war der Grundstein für die Künstler die ich heute schätze. Amen. (Und wäre irgendjemand so lieb mir ein Taschentuch zu reichen?)

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Dass man Dinge auch scheiße finden darf

Leider finde ich kein Beweismaterial, aber ich kann mich noch gut erinnern, als Charlotte gesagt hat, dass sie Performance-Videos scheiße findet. Und das in ihrer charmanten Art. Hach. Was zeigt uns das? Dass es ist gut und wichtig ist, eine Meinung zu haben, und dass es ist OK, diese Meinung zu teilen. Das heißt nicht, dass ich Performance-Videos kacke finde oder erst durch Charlotte Roche gelernt habe kritisch zu sein. Sondern, dass es schlicht OK ist, eine Meinung zu haben und für einen jungen Menschen, der vielleicht Angst hat seine Haltung zu äußern, hat das durchaus eine Vorbildfunktion.

Fast Forward hat mir geholfen, der Masse den Mittelfinger zu zeigen

Ist sie nicht wunderbar?

In einer Welt aufzuwachsen, in der früher oder später alle ein hässliches Tattoohalsband tragen, in Buffalos rumlaufen und den gleichen Scheiß hören, ist beschissen. Durch Charlotte habe ich aber gelernt, dass ich gar nicht Teil dieser Masse sein muss. Und dass das OK bis super ist. Das Leben als Teenager ist schrecklich, man findet sich in einem Labyrinth voller Möglichkeiten und ohne Orientierung wieder. Fast Forward hat mir einen Ort gezeigt, an dem ich mich nachwievor zu Hause fühle. Ja, es gab immer wieder diese Leute, denen in der Schule eine (vermeintliche) Außenseiterrolle zugeschrieben wurde und die schon vorher clever genug waren, einen Fick darauf zu geben, was die anderen dachten. Da man sich seine Vorbilder aber nicht in Metal-Kids sondern eher im Rampenlicht suchte, war Roche dann doch die bessere Wahl.

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Dass man alles überstehen kann

2001 hat Charlotte Roche ihren Bruder und ihre zwei Stiefbrüder bei einem Autounfall verloren. Für mich wäre das persönliche Ende. Meine größte Angst ist, dass meiner kleinen Schwester etwas passiert und alleine der Gedanke daran bringt mich fast um. Das klingt jetzt auch pathetisch—ist aber zu 102% ernst gemeint. Um zurück zum Thema zu kommen: Charlotte hat weiter gemacht. Darüber geredet hat sie zwar erst Jahre später, aber ich glaube, dass sie der Beweis dafür ist, dass Aufgeben keine Lösung ist. Mein Gott, ich merke gerade wie gefühlschwanger dieses Geschreibe ist. Sorry.

Dass Musikfernsehen durchaus wichtig war

Hey, mal ehrlich: Sich nächtelang durch YouTube zu manövrieren ist nicht das Gleiche wie Musikfernsehen. Eh klar, aber ich sehe da durchaus ein Problem. Und ich verstehe bis heute nicht, warum man Musiksendungen durch Reality-TV ersetzt hat. Klar, irgendwann hat es halt mehr Quote gemacht, sein Auto zu pimpen als neue Musik an die Leute zu bringen. Heute passiert Musikfernsehen abseits von Sendern, die sich als Musikfernsehen verkauft haben. Arte Tracks zum Beispiel (was auch eine Zeit lange von Charlotte Roche moderiert wurde).

Das Weirdness nichts Schlimmes ist

Charlotte Roche war alles, nur nicht 0815. Manches davon wirkt heute normal, das war es aber damals wirklich nicht. Roche hat Röcke über Hosen getragen und hat in einem Interview einmal gesagt, dass sie es schön findet, in den Spiegel zu schauen und wie eine „Lumpenfee“ auszusehen. Sie hat fucking viel Make Up getragen, hat als öffentliche Person Piercings getragen, was damals nicht üblich war. Sie war ein Statement. Sie war das, was man unter Role Model versteht—nur eben in ein Role Model, das für die breite Masse vielleicht nicht verständlich war. Charlotte ist Schuld, dass ich im Gymnasium mal eine Unterhose über eine Jeans getragen habe und einen Fick darauf gegeben habe, was die Lehrer und Mitschüler darüber denken. Generell hat sie mir gezeigt, dass andere scheißen gehen können, wenn sie mit deiner Persönlichkeit nicht zurecht kommen. Danke dafür.

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Dass die besten Interviews dann entstehen, wenn du du selbst bist

Wie oben schon erwähnt hat Charlotte Roche wunderbare Interviews geführt. Thom Yorke hat sich in ihrer Gegenwart so wohl gefühlt, dass er gar nicht mehr gehen wollte. Mit ihrer frechen, ehrlichen, offenen und unfassbar sympathischen Art hat sie Interviews zu Gesprächen gemacht und aus den Leuten mehr herausbekommen als andere Kollegen. Es war schön zu sehen, wie sie es geschafft hat, die Menschen um sie herum zu verzaubern. Was mich auch schon zum nächsten Punkt bringt:

Personality Shows sind eine gute Sache

Ich wage das Offensichtlicht zu behaupten: Fast Forward wäre damals nicht so wichtig für mich (und sehr sicher auch für Andere) gewesen, wenn es nicht von dem TV-Phänomen Charlotte Roche moderiert gewesen wäre. Man hat gemerkt, dass die Sendung nicht von einer Maske sondern von einem autenthischen Menschen geführt wird. Durch sie hat diese Sendung diesen einzigartigen Charakter bekommen. Und hey, sie hat mir gezeigt, dass aufgedrehte Menschen nicht zwingend nervig sein müssen.

Musik verbindet

Eigentlich wollte ich schreiben „Musik ist ein Hafen“, aber dann bin ich draufgekommen, dass ich hier kein Script für Rosamunde Pilcher schreibe. Durch Fast Forward hat der Underground Aufmerksamkeit bekommen und war sowas wie ein Treffen der anonymen Außenseiter oder so. Damit meine ich jetzt nicht Menschen, die keine Freunde haben und der Weirde in der Schule sind, sondern viel mehr, dass ein Fokus auf das gelegt wurde, was abseits des Mainstream passiert ist.

Isabella hat versucht Feuchtgebiete nicht zu erwähnen und ist hiermit gescheitert. Folgt ihr auf Twitter: @isaykah.

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