FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Kann man Bands von früher auch heute noch hören?

Unsere Autorin hat sich einen Tag lang, den Scheiß aus der Vergangenheit angehört. Sie war ein bisschen grün im Gesicht.

Das sind Chris Corner und sein gelber Storchenbiss. Foto via Facebook

Es gibt Nächte an denen folgendes passiert: Plötzlich ist es vier Uhr morgens. Und wenn man um vier Uhr morgens noch auf ist, dann ist man um den Damenspitz normalerweise nicht herumgekommen. Zuhause angekommen macht man sich dann oft noch die unnötige Dose Bier auf, die man am nächsten Tag angewidert in den Abfluss schüttet. Ihr kennt das. Die Euphorie des Basses, den man eben noch gehört hat, fällt ab, und der Rausch macht einen nostalgisch und dumm. Diesen Zustand steigert man hier und da auch mit Musik—was ebenso notwendig ist wie besagte Dose Bier. Unlängst ist mir genau das passiert. In Radiohead und Leonard Cohen badend, bin ich irgendwann bei Bands aus meiner Vergangenheit gelandet, bei denen ich eigentlich nicht mehr landen möchte. Wobei, was heißt hier „eigentlich“. Korrigiere: Bands, bei denen ich nicht mehr landen möchte.

Anzeige

Während am nächsten Tag das Bier seinen Weg in den Untergrund fand, habe ich beschlossen, dass es Zeit ist, sich seinen Dämonen zu stellen. Eine Art musikalische Vergangenheitsbewältigung musste her. Was passiert, wenn ich die Bands und Musiker von damals heute anhöre? Fazit: Man muss mit Übelkeit, Eigenscham, Lachanfällen und Selbstzweifel rechnen. Aber in dieser Retrospektive gibt es sogar sowas wie postive Überraschungen.

IAMX—„Your Joy Is My Low“

Bei jemandem, der behauptet von Brian Molko etwas über Stil gelernt zu haben, ist es keine große Neuigkeit, dass auch Chris Corner eine person of interest war. Die Sneaker Pimps haben meine erste MiniDisc (OMG) dominiert und als Corner sein Projekt IAMX gestartet hat, nervte ich meine Umwelt mit dem kaugummiartig-synthetischen Gedudel von Kiss & Swallow. Ich glaube ja, dass Corner mit IAMX ausschließlich in Österreich wirklich ankam—sie haben hier öfter gespielt als den 2 Many DJs damals ein Slot für ein DJ-Set nachgeschmissen wurde—und das heißt was. Als sie damals beim Two Days A Week aufgetreten sind, war ich das kleine betrunkene Mädchen, das nichts anderes als eine Hotpants anhatte, auf der in rosa Buchtaben der Name der Band stand. Das war zwar nicht das erste Mal, dass ich mich lächerlich gemacht habe, aber eines der Male, bei denen ich das besonders beeindruckend hinbekommen habe. Heute hat diese Band keine Relevanz mehr für mich. Zero. Bei „Kiss & Swallow“ singt Corner „Do you pay for your crimes?“, und wenn ich mir „Your Joy Is My Low“ anhöre, kann ich festlich mitteilen: Ja. Ja, I pay for my crimes. Nicht nur der einleitende Eunuch-Gesang macht meinem Gehörgang Angst. Mehr Angst machen mir allerdings die Lyrics:

Anzeige

„He takes your face and positions it to take your mouth
You bite, you bite to excite yourself
He wants the color of you to wear and feel alive
So you bite and I'm awake and I'm the slave tonight

Bitch, please.

JJ72—„Formulae“

Ja, auch ich dachte sehr lange, dass Mark Greaney eine Frau ist. Und ja, JJ72 waren für ein paar Leute das, was für andere My Chemical Romance waren. Und ja, weibliche Männer waren mein Ding. Damals waren JJ72 sowas wie die heimliche Liebe, von der ich niemandem erzählt habe. Ich habe mir gerade „October Swimmer“ und „Formulae“ nacheinander angehört, und jetzt bin ich vor allem eines: traurig, dass mich damals niemand wegen meinem Musikgeschmack verprügelt hat. Ich fühle nicht mal sowas wie Nostalgie. Ich geh mal kurz meinen Puls checken.

Avenue D—„Do I Look Like A Slut“

OK, der Song ist auch nach zehn Jahren noch ein humorvoller Beitrag für Menschen, die leicht zu unterhalten sind. Ein zeitloser Song. Bravo, Avenue D.

Fischerspooner—„Emerge“

Wenn wir schon bei Elektrotrash, ehm, -clash sind. Nachdem ich mal mit einer Freundin bei einem DJ-Set von den Jungs auf der Bühne mit ihnen „getanzt“ habe (ihr wisst ja, wie sowas nach ein paar weißen Spritzern aussieht), haben uns Fischer und Spooner eines ihrer Vinyls geschenkt. Als Dank wurde danach unabsichtlich darauf gepisst. Ja, das ist möglich. Das finde ich auch im Nachhinein nicht gerechtfertigt. Den Song ernst zu nehmen fällt mir trotzdem schwer.

Anzeige

Maximo Park—„I Want You To Stay“

Wisst ihr wie sich das Ganze hier langsam anfühlt? Wie der Moment in deinem Leben, an dem du merkst, dass es Tiefkühlfraß und Fast Food einfach nicht mehr sind und du anspruchsvolles, instagramtaugliches Essen auf deinem Teller haben möchtest. Alles, was ich mir gerade so anhöre ist zwar schön und gut, aber die Ansprüche sind heute andere. An das Wort „Spielzeugmusik“ habe ich gerade nicht gedacht.

The Postal Service—„Such Great Heighs“

Ich habe es geliebt, aber WIE schrecklich das ist? So schrecklich, dass meine Ohren anfangen zu menstruieren. Eher so The Postal Pussys.

P.s.: Ich glaube mein Hirn explodiert auch gleich. Aus Selbstschutz.

dEUS—„Hotellounge“

So wie Nirvana, kamen auch dEUS erst nach einer gewissen Zeit in unserem Freundeskreis an. Ich habe also doch gute Musik paralell zu Scheiße wie Avenue D gehört. Worst Case Scenario ist nämlich schon 1994(!) erschienen. So, und jetzt frage ich euch: Wie.Gut.Ist.Das? Es ist schwer eine Wahl zwischen „Suds and Soda“ und „Hotellounge“ zu treffen. Deshalb tue ich das jetzt auch nicht und rate: Hört euch das gesamte scheiß Album an. Das ist Musikgeschichte, ihr Kanye-West-verseuchten Kids da draußen.

Chikinki—„Hate TV“

Wisst ihr was ich damals unter „TV“ bei MySpace stehen hatte? Richtig. „She hates the TV.“ Das hat natürlich nicht gestimmt, aber es ging darum ein Image aufrecht zu erhalten. Chikinki sind privat ganz liebe Jungs und waren so ziemlich die einzige Band, die damals regelmäßig in Klagenfurt gespielt hat. Spätestens an dem Tag, an dem „Bitte Bitte“ das erste Mal auf FM4 gespielt wurde, hat sich mein Verständnis für die Band in ein stinkendes Häufchen Vergangenheit verwandelt. Wenn ich heute ihre alten Sachen—wie eben „Hate TV“—höre, frage ich mich, was passiert ist. Damals war es großartig, rückblickend wäre es ein guter Start gewesen, um sich in die richtige Richtung zu entwickeln. Tja, you fucked it up, guys. Bussi nach Berlin und London und Steve, ich hab deine Nummer leider verloren.

Anzeige

Hot Hot Heat—„Goodnight Goodnight“

Oh, please. Tingeltangel Bob macht Musik und diese Musik klingt wie billiges Sugo aus dem Tetrapack, von dem die Hörnchennudel von letzter Woche versuchen die Flucht zu ergreifen. Aber wie haben wir damals beim Frequency nicht dazu getanzt. Meine einzige Hoffnung besteht gerade darin, dass meine allergisch-auf-schlechten-Scheiß-Kollegen nicht hören, was da gerade durch meine Kopfhörer speibt.

Vive la Fête—„Nuit Blanche“

Vive la Fête sind die belgischen Vengaboys. Dabei dachte ich damals wirklich, dass ich gute Musik entdeckt hatte. Gönn dir heute doch was Schönes und hör dir den Mist nicht an.

Nada Surf—„Inside Of Love“

Kollege: „Warum lachst du?“

Ich: „Nada Surf.“

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.