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Die dopesten Lines des Landes—Nativs Mixtape 'MVZ vol 2' in der Analyse

Das S.O.S-Mitglied hat sein zweites Mixtape gedroppt und ich habe genau hingehört.
Foto: Screenshot Youtube

Als mein Kollege Ugur vor zwei Wochen seine Analyse zum Mundartrap-Jahr veröffentlichte, stellte ich auch für mich etwas fest: 2016 war das Jahr, in dem auch ich Fan von Schweizer HipHop wurde. Grossen Anteil daran hatte S.O.S. Dawills "Zement Jungle" war der erste Track, auf den ich aufmerksam wurde und der sofort meinen Eindruck von den zwei jungen Berner Rappern zementierte: Hier brachten nicht irgendwelche Mittelstandskids mit bünzligen Wortschätzen irgendwelche Happydeppy-Lieder. Dawill und Nativ erzählen reale Geschichten mit klugen Wortspielen, einem einzigartigem Slang und ganz viel Steez—so wie Rap eben sein sollte.

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Nun hat Nativ sein zweites Mixtape gedroppt: MVZ vol 2. Andere machen eine einfache News dazu, ich finde, das gebührt der Platte aber nicht. Und obwohl ich nicht der grösste Rap-Experte bin, kann ich gut zuhören—das habe ich gemacht und die besten Lines des Tapes rausgesucht, die unterstreichen, wieso Nativ (und Dawill) die Zukunft des Mundartraps gehört.

01—"P. Newton (Intro)"

"Sie mached d Fuscht im Sack, ich heb d Fuscht id Höchi
lieber wotti Teil vor Lösig, als Teil vom Problem si"

Ugur forderte in seinem Mundartrap-Rückblick, dass Rap mehr Dringlichkeit braucht. Diese beweist Nativ direkt mit seinem ersten Track. Nicht die Faust im Sack machen, raus mit einer Message. Der ganze Track ist einfach eine Kampfansage: Nativ will mit seiner Musik etwas verändern und alle, die nicht auf seiner Welle reiten, können einpacken—Hobby-Politiker und schlechte Journalisten als erstes.

02—"Funkaveli"

"Boom shakalaka, köhrsch ds
s grüsch woni mache, wenni lyrischi Chörb gib
jabar mit dä Wörter
kille au di Hölzer wie Förster
fick dini Skills, i bi rocco i dä verses"

Ja, hörst du das? Hörst du das? Lyrisch spielt Nativ einfach in einer anderen Liga. Er nimmt sich Wörter, macht sie zu seinem Spielball, dribbelt dich schwindelig und versenkt dann lässig einen Dreier.

03—"Butterflöigä"

"S füür i mire Seele isch am brönne wies olympischä
weni kahli Gsichter switche zure Bluemewiesä
d Frequenz vo mire Stimm schlaht teufi Weulle I dine Gedanke ah
nimme dini Wuet und wandle se i Energie um"

Bei all der rohen Kraft, die Nativ auf den S.O.S-Tracks ausstrahlt, gerät seine nachdenkliche Seite schnell mal in Vergessenheit. Auf "Butterflöigä" lässt er seinen Philosophen raus und äussert seine Gesellschaftskritik durch viel Liebe. Der Beat mit Bossa-Nova-Einfluss untermalt den positiven Vibe dabei perfekt.

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05—"3eye"

"Seie Zueversicht ufm Bode vode Jugend
bestimme mini Zukunft
ich lah mi nöd lah ufhalte, Mufasa
d Welt isch euses Chönigrich, würdse d Mönschheit weremer alli rich"

Nativ und Dawill überfliegen 0815-Mundartrapper mit einer Eigenschaft, die ich zu oft im Schweizer HipHop vermisse: Zitate. Wir haben alle König der Löwen gesehen. Wir kennen die Geschichte, wissen dass Mufasa ein starker Anführer war. Und dass Nativ genau auch diese Eigenschaft für die Jugend verkörpert, kann er mit einem Wort sagen: Mufasa. Das ist verdammt smart.

06—"Nefertiti"

"Du bisch es Buech und ich wot kei Site überspringe
kei Sitesprung nötig mit dir a mire Site"

Wenn ich gerade verliebt wäre, würde ich jetzt ein Plagiat begehen und Nativ diese grossartige Zeile klauen, um sie meiner Angebeteten zu schicken. (Insert Praise-Emoji here) "Nefertiti" ist ein unglaublich gutes Liebeslied. Weil einfach, echt und direkt.

07—"Slick Rick" feat. Dawill

"Falschi Fründe, falsches Lache
I ha das alles scho erlebt
profitiere wesi choi
und wesi nüm choi, denn si sie weg"

Questbeatz hat für "Slick Rick" mal wieder alles rausgeholt—der Beat ist so tight. Der Track selbst ist eine cleane Abrechnung mit den Hatern und Neidern von S.O.S, falschen Freunden und schlechten Vibes—auf das geben Nativ und Dawill keinen Fick.

08—"117" feat. Bud Penseur

"117 ide Stadt, sie mached überstunde
Menschjagt, für jede Black gits e suuri Zungä"

Lange haben wir keinen "Fuck the Police"-Track mehr gehört. Dass Nativ jetzt "117" auf die Platte gepackt hat, ist dabei besonders ironisch, steht die Polizei nun wegen ihrem Vorgehen an den Demos gegen den Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping negativ in den Schlagzeilen.

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10—"Paradies"

"Ich begriefs ned, verdammt,
mir lebe im sozsäge richschte Land,
doch sind arm gahts umd Solidarität

richi Wixer mit Bluet ade Hand
ihres grösste Problem, dass sie kei Parkplatz finge
erklär das are Angelique
wenn sie ufm Strassestrich en Schwanz muss lutsche"

"Paradies" ist ein trauriger Song über einen Diskurs, der uns noch lange bewegen wird: Was machen Flüchtlinge auf dem Weg in die Schweiz durch und wie geht der Staat mit diesen Menschen um? Nativ beweist hier, dass er nicht nur ein hervorragender Rapper sondern auch ein kluger Geschichtenerzähler ist.

11—"Winter"

"So viel Lebensprüefige
Glücksmomente si so nöch vo Entüschige
en Augeblick fühlsch  di wie ganz Obä
doch am nöchste Morge wachsch uf mitem Chopf voll Sogrä"

Wir hatten bislang Geschichten, Wut, Hater, Ansagen, Faust-in-die-Luft-Momente und Zitate. Nativ kann aber auch nachdenklich und reflektiert, auf "Winter" etwa über seine Jugendsünden, Fehler, verflossene Liebe und seine Vorbildrolle.

12—"Lorraine"

"Minivan-Gang, mir crashed dini Party
HRD-T-Shirt, Trägerjacke Hässig
Söss müessed flashd si
rede nöd vo Mollys
ich han mini Hüener gern orientalisch"

Ich kenne das Lorraine-Quartier in Bern zwar nicht, aber ich würde mal sagen, dass Nativ und Co. die Hood unsicher machen. Ich mag dieses Selbstbranding und Representing—HRD, S.O.S, Hüenerfüessgang, Hässig.

13—"Mikroskop"

"Lueg ich gseh d Wält dur es Mikroskop
du gsehsch de Mittelpunkt vom Bild, doch nöd de Hintergrund
üsi Gsuellschaft, si isch so Photoshop
mir retuschiered eusi Problem mit emne Filter furt"

Photoshop, Smartphones, Bünzlitum, Ignoranz, trister Alltag: Nativ besingt auf "Mikroskop" die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit, glaubt aber an das Gute und sieht die Lösung in Wissensdurst, Abschalten und der Natur.

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14—"Toti Presidäntä"

"Korrupti Bullä händs verdient wemer scharf schiesse
s gliche gilt für Wixer wo im Parlament sitze
stopfe ihne s Mul mit paar Nötli, bis si dran ersticke
Autopsiebricht Suizid, z gierig gsi"

Dass Nativ ein Problem mit Politikern und Behörden hat, kauft man ihm einfach ab. Auf "Toti Presidänte" schiesst der "Neuzeit-Robin-Hood" noch mal in alle Richtungen: Banken, die Polizei, die Regierung, die G7, die Wirtschaft.

15—"Midas Zungä"

"Ha ä Form gfunde z guete z vrbreite, so eifach, reiniget d Seele und isch ersch no Stürefrei"

Nativs Ansage zu diesem Track lautet "Rauch eine zu däm" und dem kann man gut nachkommen. Gute Vibes, smoother Beat, tighte Rhymes.

16—"Limette"

"U irgendeinisch heimmer graui Haar
rede vor Früecher als wärs geschter gsi
u frage üs Goddamn isch ds wükki passiert
hell motherfucking yeah Ni**er"

Einen eingägigen Refrain musste hier noch erwähnt werden. Dank ihm ist "Limette" ein gelungener Abschluss für das Tape, ein verfrühter Rückblick, ein gemütliches Ausklang, aber kein Schlussstrich.

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