Ein älterer Mann in Regenjacke und Mütze steht vor einer Demonstration auf einem Feld, in Lützerath in NRW haben Tausende Menschen gegen den geplanten Tagebau demonstriert.
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Politik

Wir haben Menschen in Lützerath gefragt, was ihnen jetzt noch Hoffnung macht

"Ich habe keine Hoffnung mehr, aber ich bin hier, um den Preis hochzutreiben." – Joachim

Seit Tagen wird überall von Lützerath gesprochen. Klimaaktivistinnen und -aktivisten hatten das Dorf in Nordrhein-Westfalen etwa zwei Jahre lang besetzt, um dort den Braunkohleabbau durch den Energiekonzern RWE zu verhindern. Am vergangenen Mittwoch begann die Polizei dann allerdings mit der Räumung des Orts. Daraufhin kamen am Samstag zwischen 15.000 (laut Schätzung der Polizei) und 35.000 Demonstrierende (laut Schätzungen von Fridays for Future) in die Region, um gegen den Abriss des Dorfes zu protestieren.

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Lützerath ist nicht nur ein wichtiges Symbol für die Klimabewegung. Immer wieder weisen Studien und etwa die Scientists for Future darauf hin, dass der Abbau der Braunkohle unter Lützerath für die Energiesicherung nicht notwendig sei, eine Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gefährde und der dafür beschlossene frühere Kohleausstieg keine großen Effekte habe


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RWE besteht jedoch auf seinem Deal mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Demzufolge darf RWE Lützerath noch abbaggern, der Kohleausstieg wird dafür auf 2030 vorgezogen und fünf weitere Ortschaften bleiben erhalten. Am Sonntag hatte der Energiekonzern Lützerath vollständig umzäunt und die Polizei den Ort offiziell als geräumt erklärt. Heute haben auch die letzten beiden Aktivisten ihren Unterschlupf in einem selbstgebauten Tunnelsystem verlassen. Die Abbaggerung von Lützerath scheint kurz bevorzustehen.

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Was also macht der Klimabewegung jetzt noch Hoffnung? Wir haben uns am Samstag auf der Großdemonstration bei Lützerath umgehört. 

"Immer mehr unterschiedliche Menschen engagieren sich im Kampf ums Klima" – Jakob, 33, Geschichts- und Philosophiestudent

Ein junger Mann mit roter Brille und blondierten Haaren lächelt in die Kamera

"Ich war letzten Sonntag schon hier und habe auch aus der Ferne in Köln immer mal wieder mitbekommen, was in Lützerath passiert. Und ich war lose in Kontakt mit einzelnen Personen, die hier auch eine Zeit lang gewohnt haben.

Mir macht Hoffnung, dass hier auch heute am Samstag noch richtig viele Leute ankommen. Dass damit selbst in der Situation, von der immer behauptet wird, sie sei schon vorbei, der Kampf weitergeht. Und dass sich immer mehr unterschiedliche Menschen im Kampf ums Klima engagieren. So war zum Beispiel gestern in Köln ausgerechnet eine Schule zentraler Austragungsort eines aktivistischen Treffens. Dass Schulen politisierte Orte werden – das macht mir Hoffnung. 

Wenn die Kohle unter Lützerath tatsächlich noch weggebaggert und verbrannt wird, ist das mit der Hoffnung schon schwieriger. Lützerath ist schließlich nicht nur ein Symbol, sondern dann ein Ort, aus dem tatsächlich CO2 in die Luft gepumpt wird, und damit die Weltzerstörung einhergeht. 

Aber ich glaube, es gibt noch etwas, das die Klimabewegung auszeichnet und zum Beispiel in dem Buch Arts of Living on a Damaged Planet beschrieben wird: nicht damit zu leben, dass schon alles gut wird, sondern in der Krise solidarisch miteinander umzugehen und eine andere Welt aufrechtzuerhalten. Das macht mir Mut. Die Krise bleibt leider."

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"Es ist wichtig, für eine gute und gesunde Zukunft unserer Kinder und Enkel zu kämpfen" – Birgid, 70, Omas for Future

Eine Frau hält in Lützerath ein Schild auf dem steht "Omas for Future"

"Ich bin heute Morgen mit meiner Gruppe aus der Nähe von Karlsruhe angereist. Es gibt zwar auch in Stuttgart eine Demo, aber wollten direkt hier vor Ort dabei sein und zeigen, wie wichtig es uns ist.

Wenn man die Hoffnung aufgibt, gibt man auch die Zukunft auf. Deshalb ist es wichtig, für eine gute und gesunde Zukunft unserer Kinder und Enkel zu kämpfen und sich einzusetzen; wohl wissend, dass auch unser Kampf hier in Deutschland nicht ausreicht. Er muss weiter reichen. 

Aber wir in Deutschland können Zeichen setzen und es wird gesehen, wenn es in Lützerath wieder eine Demo gibt. Obwohl Lützerath geräumt werden wird – das lässt sich wohl kaum vermeiden. Das Zeichen ist dennoch wichtig und so sind wir zuversichtlich hier mit einer immer größer werdenden Bewegung gegen den Klimawandel und für eine gesunde Zukunft."

"Die Welt soll nicht zerstört werden" – Ruben, 8 (Mitte), mit seiner Mutter Karen, 48, und seinem Bruder Samuel, 11

Eine Frau und zwei Kinder stehen neben einer Demonstration in Lützerath

Samuel: "Ich habe noch Hoffnung für Lützerath. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich glaube, da jetzt so viele Leute da sind, wird nicht alles abgebaggert."
Karen: "Wir waren schon mal hier in der Nähe in Berverath für eine Führung durch den Hambi und einen Demonstrationssamstag. Da haben wir alles schon mal mitbekommen und ganz viele Infos gehört, die uns aufgeregt und beschäftigt haben."
Ruben: "Ich wollte auch selbst hier zur Demonstration gehen. Weil wir mit dem Braunkohleabbau die Welt zerstören und die soll nicht zerstört werden."
Samuel: "Ich auch."

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"Die Vernetzung über Social Media macht mir Hoffnung" – Leon, 26, Student und selbstständig in einer Kakaomanufaktur

Ein junger Mann in einer schwarzen Regenjacke und Kapuze blickt vor einer Demo lächelnd in die Kamera

"Nach Lützerath bin ich jetzt das erste Mal gekommen, gestern Abend bin ich mit zwei Freunden aus Würzburg angereist. In der Klimabewegung bin ich sonst aber auch aktiv. 

Zum einen bin ich hierher gekommen, weil ich gesehen habe, wie viele Menschen hier sind und wie viel Bewegung gerade hier in Lützerath ist. Ich habe das auf Social Media, vor allem auf Instagram und auf Telegram, nachverfolgt. Das motiviert mich immer, zu solchen Aktionen zu gehen. Aber auch die Studienlage, die eindeutig gegen die Abbaggerung von Lützerath spricht: Von mehreren Instituten, auch dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung heißt es, dass die Abbaggerung der darunterliegenden Kohle nicht nötig ist oder für das 1,5-Grad-Ziel gefährlich ist. Die Scientists for Future fordern außerdem ein Moratorium.

Deswegen ist es für mich ein Unding, dass die Bundesregierung immer noch an dem Deal festhält, den sie mit RWE geschlossen hat. Vor allem, weil es meiner Meinung nach ein Scheindeal ist. Weil der Kohleausstieg zwar vorgezogen wurde, die reine Menge, die RWE abbaggern darf, aber – so weit ich weiß – unverändert geblieben ist. Deshalb bin ich sehr motiviert und sehr freudig, hier zu sein. Die Atmosphäre und die vielen Menschen zu sehen, bewegt mich.

Ob ich für Lützerath selbst noch Hoffnung habe, weiß ich nicht so genau. Im Herzen habe ich Hoffnung und ich kämpfe ja auch dafür. Aber rational und nach den Infos, die ich habe, denke ich eher, es steht 50/50, dass es gut ausgeht. 

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Aber ich bin Optimist und für das Klima habe ich noch Hoffnung. Das macht uns als Menschen auch aus: dass wir diese Hoffnung nicht aufgeben dürfen, weil sie uns antreibt und zusammenschweißt. Wenn ich an die Entwicklung der letzten Jahre denke, dann glaube ich, dass die vielfältige Vernetzung über Social Media für die Klimabewegung gut sein kann. Auch das gibt mir Hoffnung."

"Ich habe keine Hoffnung mehr, aber ich bin hier, um den Preis hochzutreiben." – Joachim, 63, Arzt

Ein älterer Mann in Regenjacke und Mütze steht vor einer Demonstration auf einer Wiese

"Natürlich wird Lützerath abgebaggert. Da steht die Politik mit RWE in einem festen Kontrakt und hat sich auf einen Kuhdeal eingelassen. Aber es geht darum zu zeigen, dass es nicht einfach akzeptiert wird und den Preis, den die Politik dafür zahlen muss, so hoch wie möglich zu treiben. Um zu zeigen: so nicht. Nicht mit uns. Ihr könnt das zwar machen, aber dafür brechen euch, also den Grünen, die Strukturen weg. Oder es gibt viele Beschwerden, es gibt international ein verheerendes Echo. Ich habe zwar keine Hoffnung mehr, aber ich bin hier, um diesen Preis hochzutreiben.

Welche Drogen werden den Klimawandel überleben?

Realistisch habe ich auch für die Klimabewegung oder das Klima im Allgemeinen keine Hoffnung mehr. Der Planet verbrennt, weil die Politik nach wie vor mit Vollgas gegen die Betonwand fährt. Der Kohleausstieg wäre viel früher möglich, Lützerath abzubaggern ist überhaupt nicht nötig. Das ist einfach ein Deal mit den Großkonzernen und Großkonzerne schauen nach ihrem Profit und nicht danach, wie die Welt in 30, 40 oder 50 Jahren aussieht.

Trotzdem bin ich für den Widerstand hier. Ich bin seit 40 Jahren im autonomen Widerstand und wüsste nicht, warum ich einfach klein beigeben soll. Zu Hause zu sitzen und mir vorm Fernseher die Bilder anzuschauen, das würde mir das Herz brechen. Nee, da muss ich schon hierher. In Lützerath war ich vorher noch nie, aber in der Nähe, also in Hambach und im Dannenröder Forst. Ich finde es wichtig zu zeigen: Wir sind ja die Älteren, die diese ganze Politik verbockt haben. Die es nicht geschafft haben, sich frühzeitig gegen Umweltzerstörung et cetera effektiv zur Wehr zu setzen. Dann finde ich, müssen wir die Jüngeren auch nach wie vor unterstützen – mehr können wir ja schlecht tun." 

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