Ein alter schwarzer Mann mit Blättern als Kopfschmuck, das Volk der Bakonjo in Uganda sieht durch den Klimawandel ihre kulturelle Existenz bedroht
Baluku Mikayir | Alle Fotos: Thomas Lewton
Menschen

Diese Menschen verlieren ihre Götter an den Klimawandel

Auf den Bergen Ugandas schmelzen die Gletscher, und die Einwohner verlieren ihr jahrtausendealtes Glaubenssystem.

Hoch oben auf den schneebedeckten Gipfeln des Ruwenzori-Gebirges sitzt der Gott Kithasamba. Eis und Schnee sind sein Sperma. Wenn es schmilzt, bringt es das Leben nach unten in die grünen, bewaldeten Täler und die Savanne. So lautet eine Legende der Bakonjo, einem Volk im Westen Ugandas. In ihrem Glauben spielt Wasser eine zentrale Rolle.

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"Das Wasser gibt uns Leben, es macht unser Land fruchtbar", sagt Baluku Mikayir, ein Oberhaupt und spiritueller Führer der Bakonjo. Er wacht über den Wasserfall Ekishalhalha kya Kororo. Neben dem Tosen des herabstürzenden Wassers ist Mikayirs heisere Stimme kaum hörbar.


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"Nachdem die Alten Kithasamba Opfer gebracht haben, sieht man den Schnee hell leuchten. Das bedeutet, dass die Zeit zum Pflanzen beginnt. Wenn kein Schnee zu sehen ist, ist das ein Zeichen für Unheil."

Seit mindestens tausend Jahren leben die Bakonjo am Fuße des Ruwenzori-Gebirges. Jetzt bedroht der Klimawandel aber nicht nur ihr Leben und ihren Unterhalt, sondern auch ihre kulturelle Existenz.

Wasser fließt über moosbedeckte Felsen

Im Mai 2020 lösten ungewöhnlich schwere Regenfälle oben auf den Bergen Erdrutsche aus. Fünf Flüsse traten über die Ufer und lösten eine Flutkatastrophe aus, die über 100.000 Menschen vertrieb. Bereits im vergangenen Jahrzehnt war das Gebiet der Bakonjo immer wieder von Sturzfluten heimgesucht worden. 

"Die ohnehin langen Trockenzeiten werden noch länger, und die Regenzeit kommt zu einer ganz anderen Zeit als sonst", sagt der Kulturhistoriker Stanley Baluku Kanzenze. "Die Natur verändert sich."

Ein schwarzer Mann sitzt bedeckt mit Blättern auf einem Felsen vor einem Wasserfall

Baluku Ntinisyo kommuniziert mit dem Flussgeist Ndyoka

Jeder Teil des weitläufigen und vielfältigen Ökosystems wird von seiner eigenen Gottheit bewohnt. Kalisya ist zum Beispiel der Geist der Tierwelt, Ndyoka der des Wassers. Wasser zieht sich wie ein roter Faden durch das Bakonjo-Universum. Wo Flüsse aufeinandertreffen, konsultieren die spirituellen Führer mit den Göttern. Heiße Quellen, von denen es hier einige gibt, versprechen nicht nur körperliche Heilung, sondern auch spirituelle. Der Wasserfall Ekisalhalha kya Kororo ist für die Gemeinschaft ein Ort der Konfliktlösung – und eine von vielen Heimstätten des Geistes Ndyoka.

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Viele dieser heiligen Orte sind bedroht. Die Überschwemmungen des vergangenen Jahres haben die Flussläufe verändert – und mit ihnen die Zusammenflüsse. Heiße Quellen verschlammten und sind jetzt unbenutzbar. Felsen sind die Wasserfälle runtergekracht und haben Mikayirs Weihstätte zerstört. Medizinisch und zeremoniell wichtige Pflanzen, die an den Flussufern wachsen, wurden von der Flut mitgerissen.

"Wir haben eine Menge wichtiger Pflanzen verloren, es war furchtbar", sagt Mikayir. "Wir haben Angst, dass der Wasserfall in der Zukunft zerstört wird", ergänzt Mary Kyakimwa, ein weiterer Hüter des Ekisalhalha kya Kororo. Er trägt eine zeremonielle Krone aus Pflanzen gespickt mit kleinen gelben Blumen.

Ein Flusstal übersäht mit Felsen und Geröll

Steigende Temperaturen sorgen dafür, dass die Gletscher auf den Berggipfeln schmelzen, ohne nachzuwachsen. Wenn sie, wie Geologinnen und Geologen voraussagen, innerhalb des nächsten Jahrzehnts komplett verschwinden, würde das auch das Ende des Weltbildes bedeuten, das eng mit Eis und Schnee verbunden ist. "Das ist eine Bedrohung für die Bakonjo-Identität an sich. Wir können nicht sagen, dass sie noch Bakonjo sind, wenn das Eis nicht mehr da ist", sagt Historiker Kanzenze.

Bis dahin führen spirituelle Führer wie Mikayir weiter Rituale an den heiligen Stätten durch, konsultieren die Geister und versuchen, sie zu besänftigen. "Wir glauben, dass die Flüsse über die Ufer treten und dass der Schnee schmilzt, weil die Geister wütend sind. Die modernen religiösen Praktiken beeinflussen uns. Religiöse Führer sagen, wir sollen nicht opfern", sagt Mikayir.

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"Die Geister sind wütend, weil niemand mit ihnen spricht. Wir spüren ihre Wut."

Seit Missionare Ende des 19. Jahrhunderts nach Uganda kamen, dominiert dort das Christentum. Einer Volksbefragung von 2014 zufolge sind 85 Prozent der Bevölkerung Ugandas Christen und 14 Prozent Muslime. Nur 0,1 Prozent folgen den traditionellen örtlichen Religionen.

"Die aktuelle Tradition ist ein Mischmasch aus dem Westen und dem, was vom afrikanischen Erbe übrig geblieben ist", sagt Kanzenze. "Die afrikanischen Kultursysteme konnten dem Ansturm westlicher Religionen nicht standhalten."

Mehrere schwarze Menschen sitzen in einem natürlichen Pool, das Wasser ist rostrot

Die heißen Rwagimba-Quellen sind ein beliebter Treffpunkt

Traditionell glauben die Bakonjo daran, dass allen Dingen auf der Erde eine Seele innewohnt – Tieren, Pflanzen oder auch Flüssen. Kanzenze glaubt, dass Lösungen für den Klimawandel durch eine stärkere Bindung mit dieser übermenschlichen Welt entstehen könnten. Nach dem Motto: Wenn die Natur respektiert wird, ist sie auch geschützt.

In den vergangenen Monaten hat die NGO Cross-Cultural Foundation of Uganda, CCFU, in Partnerschaft mit der International National Trusts Organisation versucht, eine Brücke zwischen konventionellen Ansätzen im Kampf gegen den Klimawandel und den Anliegen der indigenen Gemeinden zu schlagen.

"Auf der einen Seite gibt es Umweltschützer, die sich für Biodiversität und Erderwärmung interessieren – Konzepte, die hier sehr fremd sind", sagt Emily Drani, Gründerin der CCFU. "Auf der anderen Seite trägt eine Community hier aus ganz anderen Gründen zu diesen Themen bei, indem sie sich um den Wald kümmert und sicherstellt, dass die Gewässer sauber sind, weil Wasser hier als heilig gilt."

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Durch Unterhaltungen mit Bakonjo-Führern hat die CCFU über 50 kulturell wichtige Stätten rund ums Ruwenzori-Gebirge dokumentiert und die dort lebenden Menschen beim Pflanzen neuer Bäume und bei der Regeneration der Vegetation unterstützt. 

Ronah Masika, eine Projektkoordinatorin der CCFU, ist in den Ruwenzoris groß geworden. Trotzdem war sie überrascht. "Ich wusste nicht, dass entlang der Flüsse so viele kulturelle Stätten existieren", sagt sie.

Menschen pflanzen Stecklinge ein

Ronah Masika pflanzt Bambus am Flussufer neben den heißen Rwagimba-Quellen

Masika führt eine Gruppe einen steilen Pfad hinab zu den heißen Rwagimba-Quellen. Sie haben ein Dutzend junge Bambusbäume dabei. Entlang des Flusses, der an die heißen Quellen angrenzt, sind bereits tiefe Löcher für die Setzlinge ausgehoben. Die Pflanzen sollen hier einen natürlichen Schutzwall bilden.

"Wir achten darauf, dass wir zur Bekämpfung des Klimawandels das kulturelle Wissen der Region einsetzen", sagt Masika. Bald werden in dem Gebiet mehr als tausend einheimische Bäume mit besonders festen Wurzeln oder medizinischem Nutzen gepflanzt. Wälder, die früher entlang der Flüsse wuchsen, sollen mit Arten ersetzt werden, die kulturellen Wert für die Bakonjo haben. So hofft man zu verhindern, dass für die Holzproduktion gerodet wird.

Jungs und junge Männer sitzen und baden in einem natürlichen Pool

Die Bakonjo, die sich dem Königreich Rwenzururu zugehörig fühlen, haben eine angespannte Beziehung zu Ugandas Zentralregierung. Nach Disputen über Zuständigkeiten, Land und natürliche Ressourcen gab es Bestrebungen, sich von Kampala unabhängig zu machen. Bis heute reagiert die ugandische Armee darauf mit Gewalt. 2016 wurden laut Human Rights Watch am Rand des Gebirges über 100 Menschen in der Stadt Kasese getötet, darunter viele Wachen und Vertreter des Königreichs. "Es gibt die Oberhäupter noch und sie werden weiterhin respektiert, aber im modernen politischen System haben sie ihre Macht und ihren Einfluss eingebüßt", sagt Kanzenze.

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Auch die Beziehungen zu anderen ethnischen Gruppen wie den Basongora, den Bakiga und den Batooro sind angespannt. Im Distrikt Kasese machen zwei Nationalparks über die Hälfte der Fläche aus. Wenn man auch Gefängnisse und andere Regierungsinstitutionen hinzunimmt, steht der Bevölkerung weniger als ein Drittel des Landes zur Nutzung zur Verfügung. In einem Bericht des Kabarole Research and Resource Centre von 2012 heißt es: "Die Konkurrenz um Land ist relativ hoch, und Konflikte sind unabdingbar." Weil die Bevölkerung wächst und das Land knapp wird, ist der Eingriff in ökologisch und spirituell wichtige Gebiete wahrscheinlich unausweichlich.

Die CCFU versucht, Ugandas Regierung davon zu überzeugen, die kulturell wichtigen Stätten anzuerkennen und zu schützen. "Wir haben das Problem der Finanzierung. Der Kultursektor bekommt nur sehr wenige Ressourcen vom Staat", sagt CCFU-Gründerin Drani. Vom Ministerium für Tourismus, Wildtiere und Antiquitäten heißt es, dass man aktuell eine Machbarkeitsstudie für alle Kulturerbe-Stätten im Land durchführe.

Ein Wasserfall mitten in einem Regenwald

Ohne substanzielle finanzielle Unterstützung von der Regierung finden die lokalen Gemeinden ihre eigenen Wege, um die kulturellen Stätten der Bakonjo vor der Erderwärmung zu schützen. Am Ekiskalhalha kya Kororo leitet Mary Kyakimwa eine Spar- und Kreditgemeinschaft und ermutigt Mitglieder der Community, in den Erhalt der Stätte zu investieren.

"Wir befürchten, dass die Stätten vernachlässigt werden und verschwinden, wenn wir die Menschen nicht für ihre Bedeutung sensibilisieren – insbesondere junge Leute", sagt Kyakimwa. Die mündlich überlieferte Kulturgeschichte stirbt, wenn die Alten sterben. 

Der spirituelle Führer Mikayir ist trotz seines hohen Alters davon überzeugt, dass seine Aufgabe von seinem Sohn Ntinisyo fortgeführt wird. "Ich habe die Position von meinem Vater geerbt, der sie von seinem Vater bekommen hat", sagt Mikayir. "Der Wasserfall ist von unseren Vorfahren bis heute geschützt worden. Auch zukünftige Generationen werden seine Bedeutung verstehen."

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