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Interviews

Young Fathers denken nicht schwarz-weiß

Das Trio aus Edinburgh ist verdammt stolz drauf, ihr neues Album ‚White Men Are Black Men Too‘ genannt zu haben.

Young Fathers sind nicht nur für die Ohren eine Wohltat, sondern auch für ihre Umwelt. Denn sie sind keine durchschnittlich gelangweilte Band, die einfach nur ihre Songs spielen möchte. Das zweite Album des Trios aus Edinburgh nennt sich White Men Are Black Men Too—ein Titel an dem sich bereits vor dem Release viele Menschen reiben. In der Vergangenheit sind Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und Graham Hastings schon gegen die rechtsextreme Scottish Defense League auf die Straße gegangen. Jetzt rufen sie via Facebook zur Auflehnung gegen die nun auch in Schottland aufstrebende Pegida-Bewegung auf. Diese drei Männer interessieren sich tatsächlich für das, was über ihren Tellerrand hinaus passiert. Ein Fakt, der sich auch im längeren Gespräch deutlich herausstellt. Selbst am Ende eines ausgedehnten Interviewtages sind sie voller Enthusiasmus dabei, wenn es darum geht ihre Gedanken, Wünsche und Ablehnungen mitzuteilen.

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Noisey: Ihr habt gerade einige Gigs in Russland gespielt. Wie war es da?
Graham Hastings: Als würden zwei Extreme aufeinanderprallen. Vorher waren wir in Südafrika, dem heißesten Ort der Welt. Und dann kamen wir an den kältesten. Das Publikum hat sich auch sehr voneinander unterschieden. Ich hatte das Gefühl, in Russland kannten uns viele Konzertbesucher noch gar nicht. Es war schön mit anzusehen, wie sie scheinbar zum ersten Mal unsere Musik hörten und wirklich genießen konnten.
Alloysious Massaquoi: Ja, es war auf jeden Fall etwas Besonderes für sie. Ich meine, wir sind ja auch nicht gerade schüchtern. Wir kommen einander auch mal sehr nahe auf der Bühne… Für einige Konzertbesucher war das sicherlich außerhalb ihrer Komfortzone. Das ist doch eine echte Errungenschaft!

Versucht ihr euch auch öfter aus der eigenen Komfortzone zu bewegen?
Alloysious: Klar, Mut zahlt sich immer aus. Nur so kann man wirklich wachsen und Neues entdecken.
Graham: Das hat auch was mit Ehrlichkeit zu tun. Wenn ich mich nicht gut fühle, dann lasse ich das genauso auf der Bühne raus. Das kann zuerst unangenehm sein, aber dadurch kann letztlich auch etwas Gutes entstehen. Oder ich fühle mich danach noch schlechter… Aber wenigstens bin ich so aufrichtig. Ich will lieber respektiert werden als immer nur auf einen Scheffel gestellt zu werden, wo alle Welt „Wir lieben dich!“ heraufruft. Und ich glaube, wir haben das bereits erreicht. Weil wir eben nicht auf die Bühne gehen und immer rückhaltlos sagen: „Das ist das beste Konzert, das wir je gegeben haben. Wir lieben euch… äh…. Moskau“.

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Mit eurem Debüt Dead habt ihr 2014 den renommierten britischen Mercury Prize gewonnen. Wie leicht fällt es euch im Hier und Jetzt zu leben und solche außergewöhnlichen Momente auszukosten?
Kayus Bankole: Es kann schon ziemlich schwer sein, so ein Bad in der Sonne wirklich zu genießen. Oft wollen wir genau solche Augenblicke dafür nutzen, um zur nächsten Phase überzugehen. Da bleibt man kaum stehen, sondern pusht sich immer noch ein Stückchen weiter.
Graham: Die größte Freude machen wir uns selbst mit dem Kreieren der Musik. Wir halten nicht viel davon, uns ständig selbst zu applaudieren. Und von einem Kompliment habe ich letztlich genauso viel wie wenn mir Leute sagen, dass sie die Songs hassen.
Alloysious: Dann haben sie wenigstens etwas gefühlt. Würde mir jemand sagen, ich sei ein mittelmäßiger Musiker, wäre das sehr schlimm für mich. Das hieße ja, die Person hätte erst genau über die Musik nachgedacht und wäre dann zu dieser niederschmetternden Einschätzung gekommen. Ich hasse Mittelmäßigkeit! Die besten Bands der Geschichte wurden entweder richtig geliebt oder richtig gehasst. So will ich das auch für uns.

Wenn ihr nicht gerade auf Tour seid, lebt ihr in Edinburgh. Wieso ist das noch immer der passende Ort für euch?
Graham: Unsere Familien sind dort. Und es ist so wenig los, dass man auch mal in Ruhe etwas schaffen kann. (lacht)
Alloysious: Die Schönheit eines Ortes erkennt man manchmal erst mit ein bisschen Abstand. Klar, es gibt viele Dinge, die falsch laufen. Aber einfach nur von dem Anblick her ist es echt wunderschön in Edinburgh. Und ich weiß auch, was Graham meint. Wenn ich dort bin, will ich auch mal ganz normalen Kram erledigen können. Steuererklärung, Wohnung putzen und etwas kochen… Gerade jetzt, wo es gut läuft und wir erfolgreicher werden, bin ich froh über eine derartige Abwechslung.

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In der Vergangenheit habt ihr euch über das fehlende kulturelle Leben in Edinburgh aufgeregt. Hat sich das im Laufe der Zeit geändert?
Graham: Edinburgh hat vor allem das Problem, dass es sich als eine kulturelle Stadt verkauft. Nur entspricht sie in keiner Weise diesen Erwartungen. Wenn es so wäre, wie man es den Touristen verkauft, würde doch jeder rund um die Uhr dort sein wollen. Aber die Wahrheit ist: Selbst in der Festivalzeit kommen kaum Leute dahin. Es ist eine Stadt für reiche Banker, die immer auch mit einem Fuß in London sind. Edinburgh hinkt einfach seiner Zeit nach.

Welche Stadt entspricht eurer Vorstellung von einer soliden Kulturstätte?
Alloysious: Johannesburg. Weil die Balance zwischen Kreativität und Geschichte stimmt.
Graham: Aber es gibt dort auch viel Armut…
Alloysious: Trotzdem ist da ein Gleichgewicht. Wenn ich daran denke, was Afrika in der Welt für ein schlechtes Image hat… Als ich dort aufgewachsen bin, hieß es immer, es sei ein Kontinent voller Gefahren und Voodoo-Zauber. Das dickbäuchige Kind mit Fliegen in den Augen wurde zum Sinnbild des gesamten Landes. „Der schwarze Mann wird dich kriegen“ warnte man überall. Aber das wurde doch total überzogen dargestellt. Mein Verständnis von Afrika hat sich mittlerweile von Grund auf geändert. Und ich war jetzt zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder da. Ich wünschte, ich könnte allen klar machen wie schön es dort ist.

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Afrika wird in Kinofilmen immer prominenter. Ein Verdienst, der auch auf den Regisseur Neill Blomkamp und seine Filme „District 9“ und „Chappie“ zurückzuführen ist. Gleichzeitig kommt damit auch neue Kritik auf. Denn die Filme spielen dort, aber es sind kaum Einheimische darin zu sehen. Ok, mal abgesehen von Die Antwoord. Die dürfen dann aber auch gleich mal die Gangster spielen…
Alloysious: Filme leben eben von derartigen Stereotypen. Manche Leute fühlen sich von so etwas angegriffen, aber für viele ist es auch einfach nur ein Film. In jedem Fall hilft die Filmindustrie dabei die Idee eines Stereotyps aufrechtzuerhalten. Und das finden wir nicht in Ordnung. Das wollen wir auch mit unserem Albumtitel zeigen. Wir glauben an „White Men Are Black Men Too“. Das sagen wir nicht einfach nur so. Wir glauben an Fairness und Gleichheit. Aber uns ist genauso bewusst, dass sich Menschen von dem Titel angegriffen fühlen können. Deshalb haben wir erst mal einige Wochen über die Vor- und Nachteile nachgedacht. Letztlich haben wir uns aber trotzdem für den Albumnamen entschieden. Weil er eben Diskussionen zu dem Themen Rasse und Religion zulässt.
Graham: Der Titel ist erst der Anfang. Wir wollen einen anhaltenden Gesprächsstoff damit liefern. Aber es geht nicht darum, einfach nur zu schocken und die Leute sprachlos zurückzulassen.
Alloysious: Genau, wir wollen einen konstanten Austausch ermöglichen. Ich denke, das ist ein positiver Weg Themen wie diese heiklen anzupacken. Und wenn dahinter noch gute Popsongs stecken, ist das doch das richtige Erfolgsrezept.
Kayus: Das hast du ganz perfekt gesagt! Ja, wir wollen diese Tür öffnen, um andere einzuladen. Einige Leute haben uns auch schon E-Mails zu dem Thema geschrieben…
Graham: In Südafrika hatten wir sogar eine Fragerunde zu unserem Albumtitel. Wir wollten unbedingt wissen, was die Leute davon halten. Und tatsächlich bekamen wir viele positive Rückmeldungen dazu. Manche sehen darin wirklich eine neue Definition der Rassen-Thematik. Besonders für sich. Schließlich ist es erst knapp zwanzig Jahre her, da konnten rund neunzig Prozent der Bevölkerung noch nicht einmal wählen gehen. Das ist doch unglaublich! Der Ärger darüber hing noch in der Luft…
Alloysious: Die Probleme sind eben nicht so einfach gelöst.
Graham: Deshalb war Mandela auch so ein großartiger Mann. Er sagte, dass man vergessen und nach vorne schauen muss. Ich denke so sollte man auch unseren Albumtitel verstehen. Es geht nicht immer nur um schwarz und weiß. Es geht um Stereotype, um Religionen. Man kann nicht mehr sagen, dass Leute die so und so sind, sich so und so verhalten. Es ist nicht so simpel. Wir wollen wenigstens im Kleinen etwas ändern.
Kayus: Damit es einen Schneeballeffekt geben kann!

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Aber ist es nicht eher so, dass heutzutage immer weniger Menschen auf die Straße gehen? Und komplexe Themen, wenn sie zum Beispiel auf Facebook auftauchen, vielmehr nur kurz registriert werden und es dann weiter in der Tagesordnung gehen kann?
Kayus: Aber das ist doch nur eine Art Fluchtversuch. Ich meine, das Problem ist da und wenn man es wegklickt, ist es trotzdem noch vorhanden.
Alloysious: Wenn ich ein alter Mann bin, werde ich immer noch darauf stolz sein, dass wir unser Album so genannt haben. Das wir es angesprochen haben. Denn du hast vollkommen recht: was im Internet ist, verblasst sehr schnell. Die Menschen geben dem nicht ihre ganze Aufmerksamkeit. Wir aber haben etwas Bleibendes erschaffen.
Graham: Stimmt. Wenn ich daran denke, was für krasse Sachen man sich auf Youtube anschauen kann… Der Konsum all dieser Sachen macht uns taub und gefühllos. Deshalb war es uns wichtig, mehr zu machen als nur einen Tweet oder ein Instagram-Bild abzusenden. Damit auch wirklich geredet wird. Klar, die Leute gehen immer weniger auf die Straße. Warum weiß keiner. Wir wollen jedenfalls nicht so gefühlsarm werden.

Und genau deshalb ist es für mich auch so schwer, mir euch in Russland vorzustellen.
Alloysious: Natürlich denken wir viel über die unmittelbare politische Situation dort nach. Kayus und ich haben uns auf der Bühne einmal fast geküsst! Und da habe ich mich schon gefragt, ob das jetzt schon ein Verstoß sein würde. Was das für Konsequenzen hätte… Aber auch die Security am Flughafen war ein absoluter Alptraum… Sie haben mindestens fünfzehn Minuten nur für die Kontrolle meines Ausweises gebraucht. Jede Seite sind sie einzeln durchgegangen, haben mich parallel dazu befragt und die Schlange hinter mir wurde immer länger. Als hätte ich einen gefälschten Ausweis oder so! Das war lächerlich. Als mir der eine Sicherheitsmann dann irgendwann meine Papiere zurückgab, war er total rot im Gesicht. Er konnte mir nicht mal in die Augen gucken! Wieso muss das sein? Die ganze Atmosphäre am Flughafen war ziemlich unheimlich. Aber bei den Konzerten herrschte zum Glück eine viel bessere Stimmung.
Graham: Die jungen Leute, die wir bei den Gigs getroffen haben, waren echt gut drauf. Sie stehen auch nicht alle geschlossen hinter der Regierung, wie man das vielleicht vermutet. Die Nachrichten berichten zwar nur von blinder Putin-Liebe, aber vor Ort sieht es ganz anders aus. Genauso läuft es ja auch in Großbritannien. Man fragt sich doch echt wer diese Regierung wählen sollte? Und was eigentlich die Alternative dazu wäre? Das ist ein ziemlich großes Problem, bei dem ich nicht weiter weiß. Nach jedem Politiker-Arschloch kommt mit Sicherheit auch ein weiteres. Aber tut man nichts, passiert schließlich auch nichts. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es ständig heißt „Arbeite nur für dich selbst!“ und „Mache dein Geld und behalte es für dich!“ Nur fehlt mir dabei der Gemeinschaftsgedanke. Während der Einzelne glücklich ist, hungern zig andere. Das ist nicht in Ordnung! Es ist so schrecklich, dass sich diese Mentalität „Jeder macht sein Ding und ist für sich der nächste“ sogar bei den heutigen Rappern ausgebreitet hat. HipHop sollte doch eigentlich die Stimme der armen Leute sein. Unfassbar! Aber ich muss jetzt aufhören mich aufzuregen…
Alloysious: Das wird sich alles in unseren Memoiren wiederfinden! (lacht)

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