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Festival

Das Berner No Borders, No Nations ist der Punk unter den Schweizer Festivals

Die Reitschule lädt dieses Wochenende zum vierten Mal zu Punk, Politik und Party.
Foto: Facebook, No Borders No Nations, Nicole Imhof

Dieses Wochenende befindet sich Bern wieder im Ausnahmezustand, wenn Acts wie Jeans For Jesus, Skinny Girl Diet oder Dritte Wahl auf der Schützenmatte am No Borders, No Nations auftreten. Doch das Festival ist mehr als eine Musikveranstaltung, ein politisches Statement soll damit gesetzt werden. Ich habe mich mit Kathy vom Dachstock und Pumba von der Reitschule über das Festival und dessen Geschichte unterhalten.

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Alles begann im Frühling 2014, als der Dachstock eine Anfrage von Anti-Flag erhielt: Die amerikanische Punkband wollte am 1. August bei ihnen auftreten. Durch die Renovationspause des Dachstocks, die jeweils im Sommer stattfindet, war dieser als Veranstaltungsort gestrichen. "Wir dachten uns: 'Cool, Nationalfeiertag und eine Band wie Anti-Flag, das müssen wir einfach veranstalten!' Die Band wollte es, wir wollten es – darum war die einzige Frage: Wo können wir es veranstalten?", sagt Kathy zu Noisey. "Da im Haus schon länger der Gedanke an ein eigenes Festivals existierte, dachten wir an den Vorplatz der Reitschule mit dem riesigen Parkplatz – die Schützenmatte", erzählt Pumba. So war die Idee für ein Openair geboren.

Alles begann mit einer Anfrage von Anti-Flag. Foto: No Borders, No Nations, Facebook

Im ersten Jahr wurde so ziemlich alles selber zusammengebastelt und es war nach den Angaben der beiden noch ein rechtes Wirrwarr. Professionell waren einzig die Bühne und die dazugehörige Technik. Bei der Planung selbst war Kathy und Pumba klar, dass es einen leeren Parkplatz gibt und dass sie von Null anfangen müssen. "Die Reitschule ist gross und wir haben wahnsinnig viele Unterorganisationen. Es erleichtert zum Beispiel die Planung erheblich, wenn du eine interne Druckerei hast, welche die grafische Arbeit übernehmen kann. Es war für uns spannend, mal etwas draussen zu veranstalten. Das rupfte uns zum Teil aus unseren Gärtchen raus. Wir mussten Reitschule-übergreifend agieren. Das hatte bis jetzt gefehlt und so konnten wir intern Gräben zuschütten. Ich glaube, das ganze Festival, ist über die Jahre enorm wertvoll für das Haus geworden", erzählt Pumba.

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Neben der Unterstützung aus der Reitschule kam auch noch die aus deren Umfeld hinzu – ausserparlamentarische und politische Gruppierungen. "Ohne diese Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, es ist wirklich ein grosses Schwarm-Festival", betont Kathy. Am gesamten Festival arbeiten nur freiwillige, unbezahlte Helfer. Dies fängt beim Booking an, geht über die Schicht an der Bar früh am Morgen und bis zu den Securitys. Ohne diese Gratisarbeit könnte das Festival nicht stattfinden.

"Nach dem ersten Jahr hat es wirklich Spass gemacht, es war mega cool. Das wichtigste war aber, dass es funktioniert hatte. Es hätte ja auch völlig in die Hose gehen können", sagt Kathy.

Den Leuten von der Organisation ist erst ein Jahr später aufgefallen, dass sie erst fünf Wochen vor dem Festival angefangen haben, zu organisieren. Pumba sagt lachend: "Wir haben dann irgendwann eine Bewilligung von der Stadt bekommen. Wie, ist mir bis heute ein Rätsel." Und Kathy fügt an: "Wir sind betreffend Bewilligungen ziemlich blauäugig auf die Stadt zugegangen. Lange kam keine Antwort von der Stadtverwaltung. Hier in Bern ist alles ein wenig langsam. Wir haben uns trotzdem gedacht, dass es irgendwie klappen wird und im Hintergrund noch ein paar Bands dazugebucht." Bei der diesjährigen Ausgabe fingen sie bereits im Dezember an zu planen, obwohl sie die Bewilligung immer noch sehr kurzfristig bekommen. Pumba erzählt: "Die Bewilligung für das Festival haben wir erst letze Woche erhalten. Also eine Woche vor dem Festival. Wenn du nicht vor dem OK der Behörden zu planen beginnst, gäbe es kein Openair. Das ist überall so – no risk no fun."

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Die Ruhe vor dem Sturm. Foto: No Borders, No Nations, Facebook

Als wir auf die Beziehung zwischen dem Festival und der Stadt Bern zu sprechen kommen, meint Pumba, dass das Festival grundsätzlich bei vielen Teilen der Stadt und den Behörden beliebt sei und auch gewünscht sei, dass es stattfindet. Auf der anderen Seite habe man halt die gleichen Hauptdiskussionspunkte wie bei jeder Veranstaltung: den Lärm und die Leute, die allgemein gegen die Reitschule sind. Diese seien logischerweise auch gegen das Festival, da sie die Reitschule selber kritisieren und immer wieder zum Thema machen.

Beim Buchen der Bands schaut Kathy primär, ob ein Künstler musikalisch und auch inhaltlich zum Festival passt. Viele Bands senden ihnen Anfragen, bei ihnen spielen zu dürfen, weil sie das gesamte Projekt unterstützen wollen. Die Gage der Musiker beläuft sich zum Grossteil, mit Einverständnis der Bands, auf die Deckung der Spesen. Die Frauenquote wird bei den Buchungen auch beachtet, doch Kathy bucht nicht extra Frauenbands, nur um eine Quote zu erfüllen. Die Künstler müssen zum Openair passen.



Auf die Frage, wie sich das Festival über die Jahre entwickelt hat, erklärt Pumba: "Ich denke, es gibt verschiedene Wahrnehmungen. Die interne und die externe. Bei der internen Wahrnehmung sind wir routinierter und professioneller geworden. Was mittlerweile fast ein bisschen darunter leidet, ist der Elan und die Motivation. Also nicht, dass es uns alle anscheisst. Wir stecken wirklich mit Herzblut dahinter. Zur externen Wahrnehmung: Die Stadt hat bei der ersten Durchführung nicht ganz begriffen, dass die Reitschule ihnen ein 10.000-Besucher-Openair im Stadtzentrum hingeklatscht hat. Doch es hat sich jetzt auch etabliert – fast schon ein wenig wie ein eigentliches Stadtfest."

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Es wird aber trotzdem klar, dass das Festival kein Stadtfest sein möchte. No Borders, No Nations ist, wie der Name schon sagt, ein politisches Statement und nicht nur ein Musikfestival. "Das ist ein Thema, mit dem wir uns selber auch immer ein wenig schwer tun. Ich habe persönlich manchmal das Gefühl, eigentlich wollen wir etwas Politisches aussagen. Jetzt organisieren wir Bands und Musik und die Besucher füllen sich die Lampe. Das ist schon mega politisch", sagt Pumba mit sarkastischem Unterton. Das Festival möchte Leute zum Nachdenken anregen, Fragen aufwerfen, Dialoge starten und der Name No Borders, No Nations könnte aktueller nicht sein. Denn in unserer Politik, geht es im Moment um Flüchtlingskrisen und darum, was in der Schweiz und der restlichen westlichen Welt abgeht – ein enormer Rechtsrutsch. "Wir können nicht genug darauf hinweisen und wenn wir es mit dem Festival schaffen, nur einen kleinen Teil zum Nachdenken anzuregen, haben wir schon etwas erreicht", sagt Pumba.

Deshalb bietet das No Border No Nations ein Rahmenprogramm mit Reitschulführungen und Vorträgen an. Schon ab dem ersten Jahr waren die Vorträge des Festivals gut besucht und das freut Kathy und Pumba fast ein wenig mehr, als dass zig tausend Leute vor der Bühne stehen. Das Interesse der Besucher, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, ist da. Die Flüchtlingspolitik ist ein grosses Thema und das schon seit Jahren. "Jedes Jahr hast du das Gefühl, es wird vielleicht mal besser aber nichts passiert. Du schaust in das Mittelmeer und es ist einfach ein grosses Grab und das müsste nicht sein", sagt Kathy. Die beiden erhoffen sich, dass sich die Besucher neben den Konzerten mit der politischen Thematik auseinandersetzen. Dass den Leuten klar wird, dass es uns in der Schweiz gut geht und dass sie sich mit der rechtspopulistischen Hetze befassen. Kathy und Pumba wissen, dass Leute, die völlig apolitisch das Festival besuchen, nicht als umgekehrter Handschuh nach Hause gehen. Doch sie denken, mit so einem Anlass können Ideen transportiert werden.

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Politische Statements musikalisch verpackt. Foto: No Borders, No Nations, Facebook

Dieses politische Statement ist auch mit ein Grund dafür, dass das No Borders, No Nations ein Gratis-Festival ist. Doch auch wenn der Eintritt kostenfrei ist, kann jeder das Festival unterstützen, indem er ein Soli-Bändeli für 15 Franken kauft. No Borders, No Nations ist froh über und auch angewiesen auf diesen Beitrag. Die einzigen Einnahmequellen des Festivals sind nämlich die Bändeli und der Barumsatz – Sponsoren gibt es keine. Auch eine bewusste Entscheidung: Laut Pumba wäre es kein Problem, Sponsoren zu finden, doch das möchten sie nicht. Das No-Borders-No-Nations-Booklet sei auch das einzige im Festival-Bereich ohne Werbung. Das soll zeigen, dass das Openair unabhängig ist. Da der Anlass das Sommerfest der Reitschule ist, fliesst ein allfälliger Gewinn wieder zurück in das Kulturzentrum. Dieses unterstützt damit wiederum soziale Projekte. Falls die Kosten des Festivals nicht gedeckt werden würden, trägt ebenfalls die Reitschule die Konsequenzen.

Der Anlass ist ganz klar kein Business-Modell. Die Organisation entscheidet von Jahr zu Jahr, ob das Openair wieder veranstaltet werden soll. Dies hängt von der Stimmung der Organisatoren und der Helfer, auf die sie angewiesen sind, ab. Auch die Form des Festivals ist nicht fix, es könnte noch Veränderungen in den nächsten Jahren geben. Es ist alles offen, doch es wurde etwas Schönes aus dem Nichts kreiert und Kathy und Pumba hoffen, dass es noch ein paar Jahre besteht.



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