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You Need to Hear This

Kein Mensch braucht Jubiläumsalben

Sie sind einfach nur langweilig, selbstverherrlichend und im Übrigen völliger Unsinn.

Ich spiele in einer Band, deren Namen die meisten von euch wahrscheinlich noch nie gehört haben, The Lawrence Arms. Für diejenigen, die uns kennen: Ich schätze, ihr findet uns entweder scheiße, langweilig oder ihr denkt wir wären nur etwas für verblödete Jungendliche. Das macht nichts. Ich kenne euch genauso wenig wie ihr mich—wir sind also in einer ähnlichen Situation und deswegen interessiert mich auch eure Meinung zu meiner schrecklichen Band nicht. Ich sage das jetzt nur, weil ich euch mit Randinformationen, die sich etwas selbstgefällig anhören, füttern will. Um euch später die Mühe zu ersparen, zu betonen, was für ein Arschloch ich doch bin, das sich anmaßt beurteilen zu können, was gut und was scheiße ist. Ich weiß das alles…Okay, los gehts.

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Das Lieblingsalbum unserer Fans wird heute zehn Jahre alt.

Wen juckt das, stimmts? Nun ja, es sieht ganz danach aus, als würden solche Dinge die hohen Tiere der Musikindustrie sehr stark interessieren. Jubliläumsalben sind in der Indie- und Punk-Szene für die meistens Bands (und ich werde hier keine Namen nennen) ziemlich wichtig geworden. Es gibt Deluxe Editions, Sepcial Issues, Neuauflagen der alten Hits und sogar ganze Touren, auf denen es dann überall das beliebte Album zu kaufen gibt. Ist ja auch eine Win-Win-Situation. Als Fan kannst du dein Lieblingsalbum in Dauerschleife genießen und die Band auf der Bühne kann sich sicher sein, dass sie gerade einen Home Run hinlegt. Wo liegt also das Problem?

Hier: Es ist ziemlich langweilig, total selbstverherrlichend und im Übrigen einfach scheiße. Da liegt das Problem.

Fangen wir mit Neuauflagen an: Solange dein Album nicht vergriffen ist oder ganz hinten im Regal steht (und mal im Ernst, falls es das tut, hat es die Ehre einer Neuauflage vielleicht nicht unbedingt verdient, oder?), braucht keiner diesen Neuauflagen-Scheiß. Dafür gibt es mittlerweile doch das Internet? Es versorgt jeden mit seinen „Klassikern“, den ganzen verdammten Tag lang und umsonst. Niemand braucht eine Kopie eines alten Albums. Niemand braucht überhaupt eine Kopie. Die Aufnahme ist ja schließlich noch da. Deine Bonustitel, Remasters und unveröffentlichte Lyrics braucht kein Mensch. Die alte Version der Lieder ist und bleibt gut genug für alle Fans—falls diese nicht totale Idioten sind. Das ist doch auch der Grund, wieso die Musik den Leuten schon beim ersten Mal Hören gefällt. Dass du die Lieder damals geschrieben hast und nicht in der Gegenwart, hat doch auch einen guten Grund, oder? Für deine Gedanken, die du im letzten Jahrzehnt hattest, als der Titel veröffentlicht wurde. Pass auf, ich kann das auch anders formulieren: Du saßt in einem nach Scheiße stinkenden Studio, hast dich zu Tode gelangweilt und deinem Drummer zugehört, der zum hundertsten Mal denselben Beat gespielt hat, während ein anderer Typ dazu eine Melodie versucht hat. Dann hast du Hunger bekommen und ein Sandwich gegessen. Danach habt ihr euch wahrscheinlich betrunken. Coole Story.

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Was soll das?

Der Grund, wieso dein Album beim ersten Mal Erfolg hatte, der Grund wieso die Leute es mögen, ist ganz einfach der Grund, dass es ihnen so gefallen hat, wie es eben war. Du musst schließlich Leuten, die gerade Achterbahn fahren nicht auch noch ein Eis in die Hand drücken. Die Achterbahn alleine genügt doch. Du gerätst nur in ein Durcheinander, wenn du das etwas, das bereits Leute begeistert, veränderst und womöglich ruinierst.

Richtig unsinnig wird es bei einer Jubiläumstour. Du spielst dort das Album? Ernsthaft? Das ist deine ganze Show, ne? Nur…das Album? Super. Ich sehe darin unzählige Probleme und versuche sie kurz auf den Punkt zu bringen. 1. Dein dämliches Album ist nicht SO wichtig und 2. Wenn es das wäre, kann deine Band wohl nicht so toll sein, denn 3. Wenn sich deine Fans damit zufrieden geben, nur alte Tracks zu hören, würde das bedeuten, dass es gerade wohl keine guten Songs gibt, was wiederum heißen würde, ihr wärt 4. Nicht sehr kreativ, was sogar gut ist, denn 5. Das Einzige, das cool an so einer Show ist, sind spontane Überraschungseffekte und das gemeinsame Winken. Und natürlich dass ihr in einer einzigartigen Weise die Vielfalt eures Albums präsentiert, und zwar egal wie es auch an diesem Tag geht und egal für welches Publikum ihr spielt. Das ist nichts für kreative Leute.

Kennst du das, wenn du eine Band exakt dasselbe Set zweimal hintereinander spielen hörst? Ja, das ist scheiße. Es schreit nach Faulheit und nach einem Autopilot. Das ganze Album zu spielen, macht die Sache nur noch schlimmer, denn DU SUCHST DIR JA NICHT MAL DIE GUTEN TEILE DAVON AUS! Also stehst du dann da oben und spielst einfach „klassisch“ dein Album komplett rauf und runter, während Elemente wie Überraschung oder Spannung völlig außer Acht gelassen werden.

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Außer du bist alt. Und erfolgreich (dann gehörst du bestimmt zu genau der Sorte Leute, die eine Tour zu einem alten Album gutheißen und auch noch denken, dass es eine super tolle Sache wäre). Dann stehen die Chancen sehr gut, dass du 6. EINE BILLIGE LIVE-SHOW DER SONGS DARBIETEST, DIE DAMALS VON EINEM WESENTLICH ENERGIE GELADENEREM „DU“ AUFGENOMMEN WURDEN UND MIT STUDIOTECHNIK VOR EINEM VERDAMMTEN JAHRZEHNT ZU EINEM SCHÖNEN ALBUM AUFGENOMMEN WURDEN. Es gibt also fast keine Möglichkeit, diese Leidenschaft noch einmal so rüber zu bringen, wie damals an dem Tag, als du die Melodien im Studio aufgenommen hast. Also erzähl' mir bitte nichts von deiner „Full Album Show“! Denn das ist einfach nur die schlechteste Ausrede für frische Presse und eine super Möglichkeit für dich, diese erst zwanzig Minuten vor Showbeginn zu planen und die schriftliche Set-Liste auszuarbeiten, denn das ist ja dann einfach.

Nun, natürlich ist das alles irrelevant, wenn du in einer total schlechten Band spielst, die nur durch Glück und Zufall dieses EINE gute Album produziert hat. Oder wenn du nur das eine Album hast. In diesem Fall: Puh…cool! Dann mach, was du willst. Aber ich habe einmal Survivor live auf einem Jahrmarkt gesehen. Sie haben ihre Show mit „Eye Of The Tiger“ eröffnet. Und sie haben ihre Show mit „Eye Of The Tiger“ beendet. Das war nicht cool. Klar, es war einfach, es war genau das, was die Leute hören wollten und wofür sie wahrscheinlich bezahlt hatten. Aber cool war es nicht. Es war der Inbegriff von Uncool.

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Hey, Survivor. Spielt bitte

„Eye Of The Tiger“ auch noch zum hundersten Mal.

Vielleicht bin ich auch etwas zu hart. Nur ist es eben nicht DAS, was ich unter einer Live-Show verstehe. Als Fan möchte ich Überraschungen, Gefahr, lange Pausen, seltsame Auswahlen, aus dem Ärmel geschossene Reaktionen und am Wichtigsten eine einmalige Erfahrung erleben. Es muss technisch gar nicht so außergewöhnlich sein, aber eben spannend. Wenn ich meine Lieblingslieder in Perfektion hören wollte, würde ich zuhause bleiben und mir verdammt nochmal eine Playlist zusammenstellen! Wenn ich mir euer bescheuertes Album von vorne bis hinten anhören wollte, dann würde ich es mir einfach aus dem Internet ziehen. (Dabei weiß ich nicht einmal richtig, wie das geht! Also wer ist hier alt?) Ich würde schon irgendwo eine Jukebox finden und mit ein paar betrunkenen Fans davor sitzen und bestimmt eine gute Zeit haben. Keinen Grund also, dass die ganze Band dafür auftaucht. Wir kennen das doch alle, nicht zuhause zu sein, für Bier zu bezahlen und ein Album, das im Hintergrund durchläuft, zu hören.

Ich bin jetzt vollkommen aufrichtig: Vor ein paar Jahren spielten wir ein paar Lieder auf einem Festival. Und dann, unangekündigt und völlig ohne Grund, spielten wir unsere Nun-gibt-es-unser-Album-schon-zehn-Jahre-Show und dann noch mehr Songs. Es war kein offizielles Jubiläum oder so etwas, und keiner wusste, dass wir das tun würden. Weil es aber in genau diesem Moment interessant schien und wir das spontan machten, konnte sogar eine Band wie unsere, ihre verdammte CD von vorne bis hinten durchspielen. Ohne die ganze selbstgefällige Presse, die normalerweise zu so einer Aktion dazu gehört. Und wir (übrigens gut gemacht, Männer!) haben das auf eine Art und Weise getan, bei der Komponenten wie die Überraschungseffekte und das einzigartige Live-Erlebnis nicht verloren gingen. Es hätte aber nicht sein müssen.

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Um langsam zum Ende zu kommen, lasst es mich so sagen. Wenn ich die Episode von Friends sehen will, in der Ross und Rachel endlich zusammen kommen (die ich im Übrigen nicht sehen will), kann ich mir das Teil einfach auf Hulu ansehen. Ich würde dafür doch niemals extra in das Theater um die Ecke gehen, um mir die Folge in Originalbesetzung anzuschauen. Die Folge aufzuführen, wäre eine riesige Zeitverschwundung. Vor allem für Ross, Joey und Rachel…und wer da noch so alles mitspielt. Was seid ihr also—die Originalbesetzung einer sehr wichtigen Folge Friends? Guter Gott, kein Wunder, dass Rock’n’Roll langsam ausstirbt.

Und wirklich ganz zum Ende: Ja, Leute, es gibt immer Ausnahmen. Wenn Menschen, die ich liebe so etwas tun, würde ich sofort alles zurücknehmen. Drauf geschissen. Ich mag meine Freunde eben. Und wenn Propagandhi oder Nomeansno oder irgendeine andere Band, auf die ich total abfahre, das Jubiläum ihres Albums mit einer großen Tour feiern würden, würde ich wahrscheinlich sagen: Wieso nicht? Sie sind die Besten. Und sie wissen das besser als ich. Aber das ist ja das Schöne an der Kunst und subjektiven Meinungen: Du machst und brichst immer deine eigenen Regeln. Das ist es auch, was unsere kleine, aggressive Musik-Subkultur ausmacht.

Brendan Kelly ist auch auf Twitter - @badsandwich

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