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D.J. Detweilers #FluteDrops sind ein viraler Verkehrsunfall

D.J. Detweiler ist nur eine Facette eines Multimedia-Künstlers, der mit #FluteDrop Geheimtipp-Blogger vor sich herjagt.

Bei D.J. Detweiler ist das ganze Jahr über 1. April. Den Eindruck kann man jedenfalls bekommen, wenn man den spanischen Produzenten und Erfinder des #FluteDrop-Memes im Netz zu Fassen zu bekommen versucht. Und wir sagen das nicht nur, weil sich unsere Kollegen von Detweiler einen Bären haben aufbinden lassen—aber dazu gleich mehr.

Viel ist bislang nicht bekannt über D.J. Detweiler. Er tritt regelmäßig live auf, er veröffentlicht in regelmäßigen Abständen neue Tracks mit fünf- bis sechsstelligen Abspielzahlen auf seinem SoundCloud-Profil—was er vor allem der Erfindung des #FluteDrops zu verdanken hat—, er ist männlich, lebt in Berlin und hat ein ziemlich hohes Sendungsbewusstsein. Ernsthafte Interviews? Nicht mit ihm. Wenn man seiner Web-Persona folgt, wird man sehr schnell auf Widersprüchlichkeiten, erfundene Fakten und blumige Allgemeinplätze stoßen.

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Der künstlerische Ansatz hinter der viralen Verbreitung der #FluteDrops ist dabei so einfach wie genial: Detweiler sucht sich Hits großer Musiker mit einem gewissen Trash-Faktor—„Smack My Bitch Up“ von The Prodigy, „Don't Stop The Party“ von Pitbull oder „Wrecking Ball“ von Miley Cyrus etwa—und persifliert das Original dann durch Verlangsamung oder vor allem Nachspielens der Melodie auf der Blockflöte. Detweilers „Brecking Wall“ wurde wohl auch aus der Kombination von Cyrus-Trash bzw. -Glam, Trap-Beat und atonal gespielter Holzflöte zum Hit der Subkultur—Damn son, schon knapp 800.000 Plays. #FluteDrop basiere auf „der Überraschung und der Erwartungshaltung, die Monotonie elektronischer Tanzmusik zu durchbrechen.“ Sogar Miley Cyrus' Produzent hat sich zu dem halb ernst gemeinten Lob hinreissen lassen, Detweilers Remix klinge besser als das Original. Ob deshalb aber gleich alles stimmt? Schwer zu sagen. Wenn man verschiedene Interviews mit ihm liest, drängt sich eher der Eindruck auf, dass Detweiler vor allem das sagt, was der Gesprächspartner von ihm hören möchte. Ein Troll, wie er im Buche steht.

Am 1. April diesen Jahres trieb Detweiler den Hype um seine Popkultur-Miniaturen auf den Gipfel, als er die Medienlandschaft gegeneinander ausspielte und gleichzeitig für sich instrumentalisierte: Exklusive Tracks sind die Währung im Internetzeitalter und ein bewährtes Mittel für Medienunternehmen, Fans und Leser auf ihre Webseiten klicken zu lassen. Entlarvend setzte Detweiler nun seine bis dato neueste Produktion ein: Ein Rework von „Chariots of Fire“ von Vangelis, das Detweiler dem Mixmag, Guardian, THUMP, The Daily Dot und Playground als ‚Exclusive‘ anbot—und dabei alle beteiligten Medien in dem Glauben ließ, sie würden tatsächlich ein halbwegs ernsthaftes Interview und einen exklusiven Track für ihre Leser bekommen. Ein klassischer Rickroll, instrumentalisiert von Detweiler, der nicht ganz zu Unrecht erklärte, dass die Medien schließlich einen Nutzen aus seiner kostenlos zur Verfügung gestellten Arbeitszeit zögen.

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„Ich habe den Spieß umgedreht“, erklärte Detweiler anschließend in einem Meta-Text mit Yorokobu. „Warum sollte ich für all diese verschiedenen Leute für umsonst arbeiten? (…) Sie wollten ihre Leser am 1. April trollen, aber am Ende habe ich sie getrollt. Ich tat einfach das, was sie normalerweise mit Künstlern machen: sie benutzen.“ Das kann man durchaus so sehen, oder aber darauf hinweisen, dass mediale Rezeption und Vermittlung schon immer ein Bestandteil von Popjournalismus waren. Man kann Detweiler aber auch dazu gratulieren, den bekanntesten Aspekt seiner künstlerischen Identität noch ein Stück besser verkauft zu haben. Denn gräbt man etwas tiefer als die Pastiche aus Flute-Trap und CAPS-LOCK, stößt man auf ein halbwegs menschliches Antlitz.

D.J. Detweiler ist nur eine Facette eines Multimedia-Künstlers, für den #FluteDrop und Bassmusik letztlich Mittel sind, um internationale Aufmerksamkeit der Auskenner zu erlangen und Geheimtipp-Blogger vor sich her zu jagen. Erstmals auffällig wurde er im Mai 2011 durch eigenwillige Flöten-Interpretationen bekannten Liedguts auf www.echatealgo.com: „Alle meine Entchen“, „Popeye“, Beethovens „9“ bzw. Europas „Ode an die Freude“ wurden hier recht dilettantisch auf dem Blasinstrument vorgetragen, darunter ein PayPal-Button. Frage: Lässt sich mit Schrott eigentlich Geld verdienen? Das hat offensichtlich funktioniert. „2.0 beggar“ war diese Online-Installation betitelt.

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Seitdem hat er mehrere Internet-zentrische Arbeiten umgesetzt: Als ‚Santisima Virgen Maria‘ etwa schickte er überirdischen Breakcore in die Welt, mit „Hardtek for Dummies“ trieb er 2012 jeden Browsertab an die RAM-Klippe und Epileptiker in den Wahnsinn, mit „GEMA hits“ persiflierte er (ebenfalls 2012) den weiterhin andauernden Rechtsstreit zwischen GEMA und YouTube in Deutschland. Auf seinem YouTube-Kanal lassen sich die Arbeiten von ‚nacho .n‘ bzw. ‚Border Nacho‘ sogar bis ins Jahr 2008 zurückverfolgen. Und jetzt ist eben D.J. Detweiler das Vehikel für einer Form der Internetkritik.

Denn man könnte auch sagen: D.J. Detweilers Musik ist wie ein furchtbarer Unfall eines Geisterfahrers mit mehreren beteiligten PKWs und LKWs, austretenden und brennenden Benzins, aus den Fahrzeugen herausgeschleuderten Insassen und herumliegenden, abgetrennten Körperteilen; der blanke Horror—aber hinsehen muss man trotzdem. Anders ausgedrückt: D.J. Detweilers Musik klingt furchtbar, hat aber einen gewissen einen Suchtfaktor: Man möchte ihm einfach dabei zuhören, wie er Pop- und Clubmusik verunglücken lässt. Die Selektion seines Ausgangsmaterials—meist basieren seine Stücke auf dem Pop-Mainstream: die bereits erwähnte Miley Cyrus, Daft Punk, James Blake, New Order, Skrillex—ist eher geschmäcklerisch, die Bearbeitung auf den ersten Blick dilettantisch … Nein: die Bearbeitung wirkt auch beim zweiten Hinhören mehr vom reinen Bauchgefühl getrieben. Und dennoch tut sich schließlich die Erkenntnis auf, dass Dilettantismus hier als Stilmittel eingesetzt wird, um zu provozieren und zu unterhalten—was ja eigentlich die besten Eigenschaften von Popkultur sind.

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Optisch muss man Detweiler als Teil der Geek-Kultur betrachten. Sonnenbebrillt und unter einer Propeller-Mütze trat Detweiler kürzlich im Wiener Club SASS auf—dazu muss man wissen, dass Geeks und Nerds im englischen auch gerne als ‚Propellerheads‘ bezeichnet werden, woraus sich auch schon der Name der schwedischen Software-Firma hinter der Studio-Emulation Reason ableiten lässt. Selbst Wikipedia weiß, dass es sich bei dem Hubschrauberhut um ein satirisch-ironisches getragenes Accessoire handelt.

Was bei allem Pop-Glam, Geek-Chic und dem nervenzehrenden Flötenspiel mitschwingt ist Detweilers Interesse an und Kommunikation von ‚coolen’ Subkulturen: Drum 'n' Bass, Post-Dubstep, Trap, IDM und andere Spielarten gutgefundener Clubmusik setzt Detweiler ein, um vorzugaukeln: Guck mal, alles voll Meta, aber du hast einen guten Geschmack, denn der Beat gefällt dir ja tatsächlich und du verstehst die Ironie.

D.J. Detweiler strahlt als trashiges Gesamtkunstwerk eine ähnliche Faszination und Interessantheit aus, wie auch das Hamburger dAdA-Pop-Kollektiv HGich.T. Ob man das jetzt alles cool oder gut finden oder gar kaufen muss, ist die eine Frage. Ob sich Detweiler mit dem konsequenten Trollen des Internets und dem Dilettantismus als oberster Maxime nicht einen erfrischenden, bewundernswerten Spaß macht, die andere, entscheidendere Frage.

D.J. Detweiler live, 26. April 2014, Del Rex, Berlin, mehr Informationen. Mehr von Detweiler demnächst auf seinem Label Chin Stroke Records.

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