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Staiger vs das Elend der modernen Welt

Staiger vs das Elend der modernen Welt: Tut Gutes!

Hier krachen zwei Welten aufeinander—Staiger beschäftigt sich mit politischem Rap und Politikern, die Rapper treffen.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Nach fundamentaler Systemkritik muss jetzt auch mal ein praktischer Ansatz her, schließlich hilft es ja nichts, wenn man sich immer nur beschwert und nichts tut. Ein interessantes Beispiel, wie man die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten miteinander in Kontakt und ins Gespräch bringen könnte, bietet die Internetseite raputation.tv, die sich zur Aufgabe gemacht hat

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1. Den besten politischen Rapper der Republik zu casten, was am letzten Freitag mit dem Berliner Ausnahmetalent Drob Dynamic und seinem Antigentrifizierungssong „Mein Tagebuch“ denn auch passiert ist.

2. Rapper, die sich darüber beschweren, dass Politiker niemals in ihre Gegend kommen würden, mit Politikern zusammen zu führen, damit diese dann mal in die Gegend der Rapper kommen, um vor Ort über die Probleme vor Ort zu sprechen

und

3. Diversen Politikern diverse politische Rapsongs vorzuspielen und diese mit der harten Realität zu konfrontieren.

Das hat definitiv seine Momente, etwa wenn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse die dargebotene Leistung eines Rappers mit dem Namen Baba-Kan als Pose entlarvt. Auf die Gegenfrage, ob es sich bei der gezeigten Protesthaltung nicht auch um ein „Stilmittel des Raps“ handeln könnte, antwortet der Schwabenbasher trocken: „Dann ist es eben ein Stilmittel der Verlogenheit.“

Herzergreifend dagegen ist es, wenn Rapper Matondo auf die Renate von den Grünen trifft, um ihr sein Tempelhof zu zeigen. Mit Killerblick hört sich die Renate dann die Geschichten von der Straße an, um dann direkt und diskret darauf hinzuweisen, dass sie von den Grünen ja immer schon gesagt haben, dass man in die Bildung/Sozialarbeit/nachhaltige Jugendarbeit investieren müsse. Auch wenn da zuweilen echte Not und mangelnde Ausdrucksweise auf Wahlkampf trifft, so ist es doch ganz schön anzuschauen, wie da die Welten kollidieren und vielleicht nimmt die Renate ja tatsächlich noch was mit, schließlich liegt ihre Zeit, als sie noch als Sozialarbeiterin im Knast gearbeitet hat, auch schon wieder ein paar Jahre zurück. #Realitycheck

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Einer anderen Form von Realitycheck wurde Florian Bernschneider von der FDP unterzogen. Während die meisten Politrapper ja eher ein allgemeines und diffuses Gefühl des Unwohlseins heraufbeschwören, wird der jugendpolitische Sprecher und bekennende Blumentopf-Fan, mit der einigermaßen konkreten Analyse des Rappers Mickey Johnston konfrontiert. Wie sich Herr Bernschneider ab Minute 3:21 windet, wenn er auf die, von der FDP verlangten, Korrektur des Armutsberichts angesprochen wird, ist großartig und gehört zu den Sternstunden des deutschen Journalismus.

Ebenfalls ganz groß ist Burkard Dregger, netzpolitischer Sprecher der Berliner CDU, der sich „supergerne“ die mitgebrachten Videos anschauen will und die Auffassung vertritt, dass Multikulti gescheitert sei. Erstaunlich an diesem Interview ist eigentlich nur, wie handzahm der CDU-Mann auftritt und wie gerne man ihm glauben möchte, dass er mit Achmet, Aykud, Xewat und Merto an einem gemeinsamen, deutschen Vaterlandstisch sitzen möchte, um „unser Land“ hochleben zu lassen.

Und das ist dann auch der Schwachpunkt an der ganzen Veranstaltung. Die eingeladenen Politiker wissen ganz genau, dass sie ihren balsamischen Auftritten vor der Kamera keine Taten folgen lassen müssen und die vorgestellten Rapper haben trotz ihrer Wortgewandtheit nicht die rhetorischen Mittel, um die Watte zu durchstoßen und prallen an der Immunitätsweste der Volksvertreter ab. Politische Musik äußert sich eben auch nur allzu oft in einer Art unkonkreter Seifenblase und was passiert, wenn Seife auf Watte oder Watte auf Seife trifft, kann sich jeder ausmalen—Steine sind es leider keine.

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Immerhin sprechen da ein paar Welten miteinander, die ansonsten nichts miteinander zu tun haben, auch wenn sich bemerkenswerterweise so gut wie keine Mädchen an dem Projekt beteiligt haben. Zumindest rappt auf keinem der vorgestellten Videos eine Frau und auch unter den letzten drei Aspiranten auf den Titel befand sich keine Dame.

Ebenfalls zu bemerken ist, dass die Linkspartei vollkommen links liegen gelassen wurde und dass die zentrale Aussage der interviewten Politiker, ganz im Sinne des herrschenden Systems, gebetsmühlenartig lautet: „Geht wählen!“—als ob sich dadurch irgendetwas ändern würde.

Diese Botschaft dürfte aber ganz im Sinne der mitfinanzierenden Robert-Bosch-Stiftung und des Bertelsmann-Konzerns stehen, der immerhin im Rücken der ausführenden ufa-Film und TV-Produktionsgesellschaft steht, die das Raputation-Projekt produziert.
Das macht die Dinge nicht weniger spannend, sollte man aber doch immer im Hinterkopf behalten. Du weißt!

PS: Wer explizit politischen Rap live erleben möchte, der kann sich am 28.März 2013 ins Berliner BiNuu begeben, wo auch Drob Dynamic seinen Gewinnersong bei der „RAPutation Allstars Show“ vorstellen wird. Alle Infos zum Event bekommt ihr hier.

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Marcus Staiger hat als Betreiber von Royal Bunker und Entdecker solcher Leute wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z den Straßenrap in Deutschland etabliert. Sprich: Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht. Um die Karmaleiter wieder ein Stück nach oben zu klettern, schreibt er ab sofort regelmäßig bei uns gegen die Unmoral und die Verrohung der Gesellschaft an.

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