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Staiger vs das Elend der modernen Welt

Warum sind alle so besessen von einem Zusammenhang zwischen Gangsterrap und Islam?

Der Superstar der aktuellen Rap-Themen dieser Saison heißt „Rap und Islam“. Staiger fragt sich, warum es eigentlich diesen unglaublichen Redebedarf gibt.
Foto: imago | Sven Lambert

Genau wie die Pop-Welt an sich, unterliegt auch die dazugehörige Metaebene der Musiktheorie gewissen konjunkturellen Schwankungen. Besonders Rapmusik wird immer wieder mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Themenkomplexen in Verbindung gebracht, aber vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil ich selber knietief mit drin stecke und sehr gerne als sogenannter HipHop-Experte zu Rate gezogen werde. Themen kommen und gehen. Beliebt sind „HipHop und Feminismus“, „HipHop und Sexismus“, „HipHop und Gewalt“ und der Dauerbrenner „Rap und Homosexualität“. Fragen nach „Rap und das Universum“, „HipHop und die Welt als Wille und Vorstellung“ oder „Die historisch-materialistische Dialektik im deutschen Rap“ musste ich bislang noch nicht beantworten, wären aber mal eine originelle Alternative.

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In letzter Zeit taucht allerdings vermehrt die Frage auf, inwiefern man Rap für irgendeine Art von politischer Propaganda nutzen könnte. „Rap und Politik“ ist das große Ding und kommt die Frage von ganz links, dann heißt sie schlicht und einfach „Rap und Revolution?“. Kommt sie aus der bürgerlichen Mitte, dann fragt sie sich, wie man die Jugendlichen, die als spezielles Agitationsmaterial aka Zielgruppe ausfindig gemacht wurden, am besten auf den Pfad der parlamentarischen Demokratie gelockt werden können und wahrscheinlich gibt es auch von ganz rechts entsprechende Bestrebungen, wozu ich dann allerdings nicht eingeladen werde. Da sitzen dann wahrscheinlich MaKss Damage mit Holger Apfel und ein paar national gesinnten Jugendbeauftragten der NPD zusammen und sinnieren darüber, wie man Black Music für die Ziele der Bewegung einspannen könnte. Heraus kommt dann wahrscheinlich so was wie das nationaldemokratische Dankesschreiben an den Herrn Fler, der mit seinen blauen Augen und den entsprechenden Texten, nach Ansicht der Partei wohl schon ganz gute Ansätze gezeigt hat.

Deso Dogg | Foto: Sven Lambert

Der absolute Superstar der Themen in dieser Saison heißt allerdings „Rap und Islam“, wobei es hierbei selbstverständlich nicht darum geht, wie man Jugendliche durch Rap für den rechtgeleiteten Weg der Sunna begeistern kann, sondern natürlich um die „Gefahr“, die in dieser Verbindung lauert. Aus irgendeinem Grund wird eine Parallele gezogen zwischen menschenverachtendem Gangsterrap und fanatischem Islamismus, wobei das „menschenverachtend“ bei letzterem manchmal nur gedacht und zuweilen auch geschrieben wird. Hilflos stochert die Journaille dann in der Vita der Pariser Attentäter herum und stellt fest, dass der eine mal Kiffer und Rap-Fan war, bevor er zur Kalaschnikow griff und dass es unter den Kämpfern des IS auch ehemalige Rapper gebe, allen voran der Vorzeige-Posterboy-Dschihadist Deso Dogg. Dass dieser mit seinem Rap nie sonderlich erfolgreich war und sein musikalisches Talent auch eher überschaubar war, spielt dabei keine Rolle. Irgendwann hat er mal ein Mikrofon in der Hand gehalten und eine CD aufgenommen, was dann als hinreichender Beweis gilt, dass da eine Verbindung sein muss, wobei ich nicht wissen möchte, wie viele Bankangestellte, Polizisten und Polizistinnen, Lehrerinnen und Lehrer oder TV-Moderatorinnen und -Moderatoren ähnliche musikalische Leichen im Keller haben. Missglückte Rapversuche als Weg in die Radikalisierung—schon klar.

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Trotz allem scheint es an diesem Punkt einen unglaublichen Redebedarf zu geben, also reden wir mal darüber. Nehmen wir die Grundzutaten der Theorie, Rap und fanatischer Islam haben irgendwas miteinander zu tun, einmal ernst, dann haben wir auf beiden Seiten dasselbe Ausgangsmaterial in Form von jungen, unzufriedenen und meist migrantischen Männern. Das alleine klingt schon ziemlich gefährlich. Zweitens sei das Machogehabe der hiesigen Rapper außerdordentlich kompatibel mit einer so frauenverachtenden Religion wie dem Islam. Drittens wird darauf verwiesen, dass die Ästhetik der Propagandavideos des IS zum Beispiel, sehr an die von HipHop-Videos erinnere. Dicke Jeeps mit dicken Rims rollen in Zeitlupe durch die Städte, wobei ich finde, dass die Herren Dschihadisten in ihren Gewändern und mit ihren Bärten höchst unstylisch daher kommen. Und viertens wird behauptet, dass diese Art Taliban-Schick wiederum in der hiesigen HipHop-Ästhetik Einzug gehalten habe. Zumindest würde mit den Versatzstücken wie dem erhobenen Zeigefinger oder dem Turban als Mittel der Provokation gespielt werden, was ja auch durchaus stimmt, schaut man sich in den sozialen Netzwerken einmal um.

Wenn man diese Zeichen sehen will, dann sind sie auch da. Die Frage ist allerdings, wie man beide Phänomene zusammenführt, was in der hiesigen Logik meist so passiert, dass man vom einen aufs andere schließt. Früher Rapper, heute Wüstenkämpfer. Etwas von oben herab wird festgestellt, dass es sich bei der einen Erscheinungsform um die Musik der Unterprivilegierten und beim anderen eben um deren Religion handelt, wobei auch gleichzeitig mitschwingt, dass wer es zu was gebracht hat, weder Rap noch diese Art von Religion braucht, um sich in dieser Welt durchzusetzen. Beides ist nur etwas für Verlierer. In diesem Zusammenhang taucht dann auch schon mal die Frage nach den Gründen für das eine und das andere auf, allerdings immer mit der Stoßrichtung, wie man das am Ende und am besten verhindern könnte. Die Frage, warum die Leute frauenverachtende Musik machen oder welche Gründe sie dafür haben, Gangster sein zu wollen, kommt sofort mit der Frage nach der pädagogischen Wirkung auf Jugendliche daher. Die entscheidendere Frage, warum und aus welchen Gründen die betreffenden Künstler mit ihrem reaktionären Scheißdreck auch noch so erfolgreich sind, kommt gleich gar niemanden in den Sinn.

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Aus der VICE-Doku Der Vormarsch des Kalifats: Islamischer Staat

Genauso sieht es beim IS aus. Auch hier bekommt die Frage, warum so viele westeuropäische Jugendliche so fasziniert vom Pop-Dschihad sind, sofort den Zusatz: „Wie können wir das verhindern?“ Alle wollen eine Erklärung. Alle wollen das Problem besser verstehen und natürlich wird auch hin und wieder die Schlussfolgerung gezogen, dass es etwas mit der Weltordnung an sich zu tun haben könnte, warum sich ausgegrenzte und marginalisierte Elemente, sozial Benachteiligte radikalisieren. Die Frage aber, warum es diese Art von Weltordnung, warum es in einer Gesellschaft Ausgrenzung und Marginalisierung, warum es überhaupt soziale Verlierer geben muss, diese Frage stellt sich nie. Dass es so etwas gibt und geben muss, wird als fundamentale Tatsache einfach vorausgesetzt und so stellt sich dann auch logischerweise nur die Frage, wie man diese Art von Verlierer auf demokratischem Kurs halten kann. Wie kriegt man es hin, dass zum einen die Leute in der arabisch-islamischen Welt in ihren zerbombten Ländern auch weiterhin an Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit glauben, und auf der anderen Seite die Jugendlichen der Banlieus so motiviert für die westliche Leistungsgesellschaft bleiben, dass sie nicht auf die Idee kommen, ein Maschinengewehr in die Hand zu nehmen und Karikaturisten töten gehen? Könnte Rap da nicht eine aufklärerische, motivierende und pädagogische Rolle spielen?—Genial!

Betrachtet man das Phänomen an der Oberfläche, so liegt dieser Schluss nahe. Schließlich, so die Logik derer, die sich diese Frage stellen, klappt das mit der islamisch-propagandistischen Propaganda ja auch ganz gut und man müsste dann nur an ein paar Stellschrauben drehen, dann würde aus knackigem Dschihad-Rap unglaublich sexy Demokratie-Rap. Vielleicht kämen die Verantwortlichen dann aber auch darauf, dass die westliche Demokratie in diesem Zusammenhang zurzeit etwas wenig zu bieten hat. Weder kann Rap irgendeine Art von politischer Teilhabe herstellen, noch könnte das irgendeine andere Art von Kunst. Wenn politische Teilhabe nicht vorhanden ist, dann ist sie eben nicht da. Wenn es soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung gibt, dann kann weder Rap noch irgendeine andere Kunstform diese beseitigen. Wenn es für einen Großteil der nicht gut ausgebildeten Bevölkerung keine Arbeit mehr gibt, und ihnen, im Angesicht eines immer größer werdenden materiellen Reichtums, ständig erklärt wird, dass sie diesen trotzdem nicht haben können und dass sie überflüssig und zu viele sind, dann kann auch Rap daran nichts ändern. Wenn die westlichen Demokratien meinen, die Menschheit mit ihren Werten von Demokratie und Menschenrechten beglücken zu wollen und diese dann in Form von Flächenbombardements in den zu befreienden Ländern ankommen, dann ist Rap das letzte, was die Dinge wieder gerade rücken könnte. In diesem Fall tritt Rap höchstens in der Form des Anklägers und als Anwalt der Unterdrückten auf, der sich gegen die Verschwörer der geheimen Weltelite wendet und das—das macht die Sache meistens auch nicht besser.

Insofern sollten wir Rap vielleicht einfach nur Rap sein lassen und ihn als das nehmen, was er am besten kann. Natürlich ist Rap immer noch ganz groß in seiner Funktion als Seismograph gesellschaftlicher Stimmungen. Rap ist wahnsinnig gut darin, die Dinge zu beschreiben, wie sie sind. Je nach künstlerischem Talent der Akteurin oder des Akteurs gelingt dies mal mehr und mal weniger. Manchmal ist dann auch ein schlauer Gedanke der Analyse dabei und ganz, ganz selten kommt auch noch ein guter Lösungsvorschlag dazu. Meistens allerdings ist es eben nur Rap und das ist auch ok so.

Trotzdem ist es schön, wenn wir uns darüber unterhalten.

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