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Reviews

Musikreviews der Woche mit Retro Stefson, Saalschutz und Laing

Margaret-Thatcher-Perücken, musikschulen-akademische Bartträger und kurze Tele-Gym-Clips. Unsere Reviews.

SAALSCHUTZ
Saalschutz/Nichtsnutz
Audiolith

Ich habe mir längst vorgenommen, alle Ravepunk-Acts aus Prinzip zu hassen, aber bei Saalschutz schaffe ich es einfach nicht. Man hat bei ihnen den Eindruck, dass sie jeden möglichen Kritikpunkt bereits sorgfältig abgewogen, in ihrem Sampler zerhackt und mit einem Lächeln an die Fans zurückgegeben haben. Das ist natürlich die gleiche Strategie, die es dem globalen Kapitalismus seit ein paar Jahrhunderten ermöglicht, gleichzeitig widerlich und absolut unangreifbar zu sein. Warten wir also weiter hoffnungsvoll auf den Tag, an dem MT Dancefloor mit einer Margaret-Thatcher-Perücke vor die Kameras tritt, um der Welt mit einem triumphierenden Schulterzucken mitzuteilen, dass es zu Saalschutz leider keine Alternative geben kann.

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DONALD MC REAGAN

JAN ROTH
Lieder ohne Worte
Edition No. 1

In einer Konzertankündigung hierzu findet sich tatsächlich der unentschuldbare Mistbegriff „musineastisch“. Und die Lieder ohne Worte sind zwar durchaus verkopft frickelig, wunderbar geeignet für Wintersonntage im Kreis potentiell musikschulen-akademischer Bartträger, auf eine angemessene Weise verschroben und weird, klingen nach Island und Miranda July und Ernst Horn und Sinnbus, fallen nur ganz selten aus dem melancholischen Elektroklavier-Rahmen, schnarren und gluckern und eiern so vor sich hin, dass einem vielleicht wirklich GANZ kurz der Begriff „Kopfkino“ einfällt: aber dann doch wirklich und echt und ausdrücklich nur zur Abgrenzung von anderen Quatschrezensionen. „Musineastisch“. Ich glaube, ihr spinnt.

BRÜH WÜRMCHEN

RETRO STEFSON
Retro Stefson
Les Frères Stefson

Wenn dir beim Hören dieser Platte im Kopf Aerobic-Videos der 1980er Jahre erscheinen, also diese kurzen Tele-Gym-Clips vor und nach dem ZDF-Kinderprogramm, die dann zeitweise zu "Breakdance"-Sendungen mit Vortänzer Eisi Gulp wurden; wenn du also trotz der Gitarrenparts ("sie hatten sich stets redlich bemüht") eigentlich nur noch an Stirnbänder und komische Frisuren und an Eva aus der Parallelklasse denkst, die damals diese heißen Leggings trug (und tragen konnte!); wenn du also vor lauter Retro Stefson am Ende beim Wikipedia-Eintrag von Eisi Gulp landest und beschließt, gleich mal alte Breakdance-Platten rauszukramen anstelle dieser da gerade immer noch laufen isländischen Beliebigkeit; -- dann ist das vermutlich ein eher schlechtes Zeichen für die Retro Stefsons, wa?

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WERNER EISENRIEDER

Laing
Paradies Naiv
Island / Universal

Laing, das vierköpfige Ladypop-Outfit um Sängerin Nicola Rost, wurde mit unzähligen, teils krass improvisierten Live-Shows in Berliner Bars und Kaschemmen groß. Inzwischen kennt sie ganz Pop-Deutschland (plus Österreich, Schweiz und Kolonien) dank ihres paradebeispielhaften Gassenhauers "Morgens immer müde", den sie mit gnadenloser Disziplin und stoischem Fokus schon so lange trällern, dass inzwischen sogar der harte intellektuelle Kern des Landes richtig schön gebrainwashed sein dürfte. Und steter Tropfen hölt nun mal den Stein, oder wie erklärst du es, dass nun ein Laing-Album bei der Institution Island Records erscheint und Nicola Rost ab sofort quasi in einer Reihe mit Grace Jones, Tori Amos und Nico steht?

LAI LADY LAI

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