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Mumford & Sons haben sich für noch mehr Indierock-Beliebigkeit neu erfunden

Mumford & Sons lassen ihre Banjos und Tweed-Jacken hinter sich und sind jetzt bereit für den Aufstieg in den Olymp des ultimativen Langweiler-Rocks.

Jahrelang haben Mumford & Sons sich nicht getraut, ihr Landgut ohne eine winzige Kinder-Bassdrum, ihren alten Kontrabass, ihre Banjos und, natürlich, ihre Tweed-Westen zu verlassen. Sie haben sich an die britische Schiebermützen-Sentimentalität verkauft und sich zwischen Kreidefelsen-Nostalgie, Fuchsjagd-Rock, einem Ukulelen-Revival und der Folkszene der oberen Mittelklasse, die sich bereits mit Laura Marling und Noah and The Whale gerühmt hat, positioniert. Anscheinend haben sie von all dem jetzt die Schnauze voll, denn für ihr neues Album Wilder Mind haben die Country-Pfuscher sich in die nächste Phase ihrer kommerziellen Mutation begeben.

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Auf ihren letzten beiden Alben war ihre Masche eindeutig, sowohl klanglich als auch visuell. Die Privatschulen-Jungs haben bewusst ein sehr britisches Verlangen nach einem ländlichen „So wie früher“-Idyll bedient, indem sie die Kleidung von Landeigentümern getragen, aber die Musik des kleinen Mannes gespielt haben. Es war die Kombination aus Tweed und Banjo zu einer durch und durch kommerziellen Ästhetik, die Mumford & Sons zu so unverhohlenen Klassen-Touristen in schicker Kleidung gemacht hat. Sie haben sogar den Kreis geschlossen und genau diese Masche 2013 in ihrem Video zu „Hopeless Wanderer“ parodiert, was man ihnen zugute halten könnte, wenn es nicht so einfach wäre, sich über Mumford & Sons lustig zu machen.

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Natürlich sind wir alle zusammengezuckt, haben uns beschwert und sind mit dem Klassen-Argument gekommen, als sie im Schoß dieser idyllischen Aristokratie durch die Aneignung von Folk weltweiten Erfolg erlangt haben. Sie haben vergeblich versucht, diese Argumente in Interviews zu entkräften, wie 2013 im Q Magazine, als Winston Marshall behauptet hat: „Es gibt einen umgekehrten Snobismus in England.“ Marshall, der die St. Pauls School in London besucht hat—eine Privatschule, die 7.000 Pfund pro Jahr kostet—hat später zugegeben, dass es vielleicht „nicht hilft, dass [Mumford & Sons] die ganze Zeit Westen und Tweed tragen.“

Die neue Erscheinungsform von Mumford & Sons lässt das ganze Niedergemache mittlerweile allerdings irrelevant erscheinen. Schauen wir uns die wahren Herrscher über die Welt des Pops an: Sie spielen keine Banjos. Sie tragen keine Tweed-Jacken und sie bedienen sich bestimmt auch nicht bei so einer spezifischen Ästhetik wie der des Folks. Nein, die wahre Oberschicht, die unantastbare Elite der Popmusik, das sind die, die es schaffen, einen Ereignishorizont der Gefälligkeit zu erreichen; einen Ort, an dem sie jeden befriedigen und niemanden vor den Kopf stoßen und das für alle Ewigkeit. Und das ist das, was die neu erfundenen Mumford & Sons jetzt gerne erreichen wollen.

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Wie bei einem Literaturprofessor mit Midlife-Crisis wurde der Tweed durch Lederjacken und Motorräder ersetzt. Es gibt jetzt einen echten Schlagzeuger, es gibt sogar ein paar Synthesizer und ihre Pressefotos wurden jetzt auf ECHTEN Straßen aufgenommen, anstatt auf sepiafarbenen Wiesen. Nachdem sie ihre ganze Karriere so quälend „englisch“ waren, hat die Band jetzt einen anderen Weg eingeschlagen und sowohl in Großbritannien als auch in den USA geschrieben und aufgenommen, denn, wie es in dem Interview mit dem Q Magazine heißt, wenn sie in Amerika sind, sind sie „klassenlos“.

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Indem sie all die treuen Charakteristika hinter sich gelassen haben, die an Mumford & Sons so häufig kritisiert wurden, haben sie sich selbst an einen visuellen und klanglichen Ort transportiert, der extrem undefinierbar ist. Es ist weniger eine Transformation und mehr eine Rückbildung. Ihre charakteristischen Merkmale wurden durch das absolute Nichts ersetzt. Durch die Absicht, sich selbst von ihren früheren Codes und ihrer Klasse zu befreien, sind sie in einem musikalischen Nicht-Ort angekommen.

„Nicht-Ort“ ist ein Begriff, der ursprünglich von Marc Augé in Bezug auf Effekte, die die Globalisierung auf Architektur und Geografie hat, geprägt wurde. Nicht-Orte—ohne geschichtliche oder persönliche Relativität—können zum Beispiel Flughäfen oder Einkaufszentren sein; Orte, die uns überall auf der Welt bekannt sind. Nicht-Orte beseitigen das Unbehagen des Konsumenten, sie stellen sicher, dass es an jeder Ecke McDonalds und Starbucks gibt, damit wir nicht die Orientierung verlieren und unsere Komfortzonen verlassen müssen. Nicht-Orte sind unpersönlich und auf Funktionalität ausgelegt, wie standardisierte Arbeitsplätze in Großraumbüros oder mehrstöckige Parkhäuser.

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Im Bereich der Musik können diese Nicht-Orte in der allgemeinen, unpersönlichen Funktionalität von Indierock-Bands gefunden werden, die sich wie eine schlimme Erkältung verbreiten und hartnäckig bleiben: Coldplay, The Script, The Fray, Keane oder jetzt James Bay. Die Texte müssen an sich nicht „von etwas“ handeln, solange der Hörer in der Lage ist, seine eigenen Erwartungen hineinzuprojizieren. Diese standardisierten Songs funktionieren nach einem strikten Muster, sie fangen sanft an und bauen sich zu krachenden, sich erhebenden Crescendos mit Chor-ähnlichem Gesang auf. Sie sind dazu bestimmt, den Leuten im Namen des Profits das Herz zu zerreißen, ähnlich wie jeder Film von Nicholas Sparks, der je gedreht wurde. Die Leute finden Zuflucht in den Klischees und Plattitüden, die diese Bands abliefern, weil sie oft auf Wahrheit basieren, aber auch, weil sie erlernt und wiederholt werden.

Textlich und klanglich haben Mumford & Sons schon immer versucht, diesen Nicht-Ort zu besetzen. Sie haben immer im weitesten Sinne über Liebe und Verlust gesungen und ihre Musik beruhte auf einem sanften Anfang mit einem kräftigen Ende, um die emotionale Wirkung sicherzustellen. Aber dadurch, dass sie ihr altes Image und ihren alten Musikstil hinter sich gelassen haben, hört man diese Plattitüden auf ihrer neuen Platte noch deutlicher. Ein Banjo und ein Kontrabass in Verbindung mit Mainstream-Indierock-Lovesongs zu hören, hat das Ganze doch zu sehr getarnt und etwas zu einzigartig gemacht. Jetzt sind Mumford & Sons zu der logischen Schlussfolgerung gelangt, dass diese textlichen Themen und ihre Verwendung von klanglichen Rock-Klischees diese Tatsache hervorhebt. „Believe“, ihre erste Single von dem neuen Album, beginnt mit sanften Streichern und baut sich zu Gitarren voller Hall und einem diffusen textlichen Refrain aus; „I don’t even know if I believe“ nimmt das Meiste der Melodie auf. Der Titeltrack hat einen Ticktack-Beat und keinen wirklichen Refrain, nur einen Aufbau, der wahrscheinlich oft als hymnisch bezeichnet werden wird und bei dem „Ahs“ über krachende Keyboard-Akkorde gelegt werden. Fast jeder Song auf dem Album ist auf die gleiche Weise aufgebaut; von leise zu laut, von langsam zu schnell und gestützt durch das emotionale Rock-Hymnen-Motiv einer verzerrten einzelnen Gitarrennote, die immer wieder gespielt wird.

Der neue Sound von Mumford & Sons kann im Vergleich zu ihrer vorherigen Herangehensweise vielleicht als genau solcher, als ein neuer Sound, wahrgenommen werden, aber in Wahrheit haben sie es erfolgreich geschafft, in die Reihen der Wächter des musikalischen Nicht-Ortes vorzudringen. Durch den Versuch, sich selbst zu entpolitisieren und eine Utopie zu erreichen, in der Klasse und Musik sich nicht überschneiden können und sollen, haben sie einen Ort erreicht, der auf eigene Art klassifiziert ist. Kapitalismus und Globalisierung haben ein Klima erschaffen, in dem architektonische Nicht-Orte gedeihen konnten, und in der Musik sieht das nicht anders aus. Die Merkmale deines Privilegs abzustoßen, ist nicht nur beinahe unmöglich, nein, auch wenn dieser Versuch erfolgreich ist, wird dieses Privileg dadurch nicht entwertet. Der Versuch von Mumford & Sons, dies durch ihre musikalische Wandlung zu erreichen, hat nur ihre Klassen-Angst deutlich gemacht und zu einer noch beliebigeren und gewollten musikalischen Formel geführt. Die Leute werden dieses Album lieben und sich davon angesprochen fühlen, aber nur weil sie es alle vorher schon einmal gehört haben.

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