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Interviews

Marissa Nadler wird persönlich

Marissa Nadler hat in der Entstehungsphase ihres neuen Album 20 Songs am Tag geschrieben. Natürlich sind am Ende nicht alle auf dem Album.

Ich erinnere mich noch lebhaft an das Cover von Marissa Nadlers Little Hells. Der Radiosender, bei dem ich zu der Zeit Musik auflegte, hatte das Album per Luftpost bekommen und mein Kollege erzählte mir so begeistert davon, dass ich es mir in einer einsamen Nacht im Radiostudio anhörte, als ich auf der Suche nach neuer Musik war. Umgehend war ich von Nadlers musikalischem Können gebannt: die unglaubliche Stärke ihrer Wortwahl, der Sätze, die sie immer wiederholt, und die Art, wie dies alles ihrem Mund entgleitet. Diese Energie zeigte sich ganz besonders in „Ghosts & Lovers“, einem der Ankerpunkte von Little Hells.

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Seit Little Hells sind inzwischen fünf Jahre vergangen und auch fünf Jahre seit Nadler zum letzten Mal mit Kemado Records zusammengearbeitet hat. Kemado hatte sie nach der Veröffentlichung des Albums wieder aus seinem Programm entfernt, was dazu führte, dass Nadler die folgenden beiden Alben in Eigenregie veröffentlichte. Fünf Jahre hat es jetzt gedauert, bis ich Nadler endlich persönlich treffen konnte, als sie dann letzten Herbst bei einem Elliott Smith Tributkonzert in New York spielte. Es lag auch sofort auf der Hand, warum Nadler dort auftrat—ihre Songs tasten sich auf ganz ähnliche Weise an den Hörer heran wie die von Elliott Smith und treffen einen dann da, wo es wirklich wehtut, und sie nimmt dabei keine unnötigen Umwege. Ihre Konzerte sind derart erfüllt von ungeschminkten Emotionen, dass ich mir noch Wochen nach dem Konzert nicht die dazugehörigen Live-Aufnahmen anhören konnte. Sie steckt in ihre Auftritte einfach unglaublich viel Energie.

Als mir Marissa damals erzählte, dass sie zusammen mit Sacred Bones und Bella Union eine weitere Albumveröffentlichung für Anfang 2014 vorbereitet, war ich extrem angetan. Das erste Mal, als ich mir dann July anhörte, befand ich mich gerade auf einem frühmorgendlichen Spaziergang durch Hamburg. Ich hielt dabei öfters inne, um Songs ausspielen und mich nicht von meiner Umgebung ablenken zu lassen—es gibt unglaublich viele Ebenen und Details auf dem Album, die einem leicht entgehen, wenn man nicht aufmerksam zuhört. Gerade auch aus diesem Grund ist es umso wichtiger, Nadler in einem Live-Kontext zu sehen.

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Nadler ist schon den ganzen Frühling auf Tour, um July vorzustellen, und startete letzte Woche eine Reihe von Konzerten in Europa. Wir haben sie auf ihrer Reise getroffen und ein paar Worte mit ihr über die Europatour ausgetauscht, darüber wie es ist, wieder mit Labels zusammenzuarbeiten, und über Fans, die genau so persönlich wie ihre Songs sind.

Noisey: Auf dieser Tour präsentierst du dein neues Album July, das eine Sammlung düsterer Liebeslieder darstellt … Liebe, die kein schönes Ende gefunden hat. Wenn ich richtig informiert bin, hast du die Songs im Juli 2013 geschrieben. Haben sich die romantischen Aspekte deines Lebens seitdem gebessert?
Marissa Nadler: Ja, das haben sie in der Tat! Die Songs entstanden verteilt über einen längeren Zeitraum bis Juli 2013. Sie wurden aber erst im Juli aufgenommen. Ich würde sagen, dass die Lieder auch ganz allgemein um das Leben gehen; darüber wie die Zeit vergeht und an einem vorüberzieht. Es geht viel um Veränderungen und darüber, Dinge hinter sich zu lassen.

Du hast gesagt, dass dieses Album deine ehrlichste Arbeit bislang ist. War es schwer, dein Herz so zur Schau zu stellen oder lief der Schaffensprozess ganz natürlich ab?
Es entwickelte sich natürlich, aber ich habe trotzdem sehr hart daran gearbeitet. Diese Vorstellung, dass man nur auf den Kuss der Muse warten muss, ist totaler Bullshit. Ich hatte richtige Schwierigkeiten zu schreiben und dann sagte mir ein befreundeter Songwriter, „schreib jeden Tag 20 Songs“, und so fing ich an, einfach nur zu schreiben und zu schreiben und noch mehr zu schreiben. Eine gute Arbeitsethik ist wichtiger als alles andere. Egal, ob es jetzt ein Roman, ein Gemälde oder ein Album ist, du musst hart daran arbeiten. Ich bin auch mittlerweile an dem Punkt angelangt, wo ich keine Songs mehr schreiben möchte, die einen nicht stark berühren. Deswegen versuche ich die emotionale Essenz dieser Songs mit den Mitteln der Sprache zu destillieren.

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Moment mal, 20 Songs pro Tag?! Es gibt also Unmengen von Liedern, die nie jemand anderes zu hören bekommen wird? Wirst du einige als B-Seiten veröffentlichen?
In viele der Songs muss noch Arbeit gesteckt werden, aber sie werden dann auch veröffentlicht. Viele der Lieder haben es aber auch nicht auf das Album geschafft, weil ich sie wieder verworfen habe.

July wurde im Februar veröffentlicht. Wie ist die gemeinsame Veröffentlichung über Sacred Bones und Bella Union in deinen Augen gelaufen? Ich weiß, dass du zuvor etwas skeptisch warst, wieder mit Labels zusammenzuarbeiten.
Es lief großartig! Ich bin unglaublich zufrieden, mit beiden Labels zu arbeiten. Ich könnte mir wirklich nichts Besseres vorstellen und nachdem ich vor Jahren mal von einem Label fallengelassen worden war, fühlt sich das jetzt wie ein Triumph oder eine Wiederauferstehung an!

Von dem, was ich mitbekommen habe, ist es sehr viel Arbeit, seine Musik selber zu veröffentlichen. War die Tour zu diesem Album etwas weniger stressig, da du jetzt von Plattenfirmen unterstützt wirst? Du spielst auch viele Konzerte in Europa und hast sogar schon einige Termine für den Herbst anstehen.
Ja, es läuft sehr gut. Ich bin quasi bis zum Oktober ausgebucht und genieße es mehr denn je. Der Unterschied dazwischen, sich selber um seine Veröffentlichungen zu kümmern und von einem Label unterstützt zu werden, ist der, dass es jetzt ein Team von Menschen gibt, die hinter mir stehen. Und da ich die Alternative kenne, sehe ich das keineswegs als selbstverständlich an. Die Shows liefen super und es kommen eine Menge Leute, was mich wirklich glücklich macht.

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July ist reich an Gesangsharmonien und Streichinstrumenten. Janel Leppin und Nina Violet haben dich auf der US-Tour begleitet, damit du diesen Sound auch bei Konzerten umsetzen kannst. War es ihnen möglich, dich auch für die Europatour zu begleiten? Halten sie sich streng an die ursprünglichen Arrangements der Songs oder haben sie eine andere Art, die Lieder mit dir zu spielen?
Die beiden befinden sich gerade mit mir im Van. Wir halten uns bei den Konzerten schon an die Gesangsarrangements, die ich geschrieben habe, aber fügen dem auch Neues hinzu. Es macht auch wirklich Spaß mit so guten Musikerinnen zusammenzuarbeiten. Janel ist eine fantastische Cellistin, die viele der Harmonien singt, die ich eigentlich auf dem Album eingesungen habe, und mit Nina dazu an der Viole haben wir einen sehr üppigen, satten Sound und es macht einfach Spaß, etwas rumzuexperimentieren. Wahrscheinlich werde ich auch noch ein Schlagzeug hinzufügen. Dafür wollte ich Jim White [Dirty Three, Cat Power] fragen.

In Boston jährte sich gerade der Bombenanschlag auf den Marathon. Was hat dir, da du ja aus Boston stammst, diese „#BostonStrong“ Kampagne bedeutet?
Es war natürlich sehr emotional für mich. Ich finde es aber toll, wie die Menschen zusammengekommen sind, um Solidarität und Stärke gegen Gewalt zu zeigen. Boston ist meine Heimatstadt und ich fühle mich auch dem ganzen Staat Massachusetts sehr verbunden.

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Haben dich schon andere Europäer während dieser Tour auf Boston angesprochen?
Nein! Bislang niemand. Ich glaube, die meisten wissen einfach nicht, dass ich von dort komme, da ich jetzt auch nie groß damit Hausieren gegangen bin.

Auf July gibt es einige wirklich sehr persönliche Momente. Sind die Reaktionen der Fans manchmal ähnlich emotional? Sind Menschen schon einmal auf eine Weise an dich herangetreten, die dich überrascht hat?
Ja natürlich. Es kommen eine Menge Leute bei den Konzerten zu mir und sagen mir interessante Dinge und das Meiste davon ist sehr nett. Ich bin wirklich dankbar, dass die Menschen so aufmerksam zuhören. Meine Musik ist recht düster, weswegen ich viele gequälte Seelen anziehe, aber das gefällt mir.

Und sie wird diesen Herbst nach Europa zurückkehren.

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