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Jesus bezahlt mich für Musik—Aus dem Leben eines Hochzeitsmusikers

Ich habe eine Möglichkeit gefunden, mit wenig Aufwand und wenig Jürgen Drews in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen.

Es ist nicht gerade einfach, als semi-professioneller Musiker an Geld zu kommen. Im besten Fall tritt man gratis auf—das heißt, solange man nicht dazu bereit ist, seine Prinzipien vollkommen zu verraten und einen Pakt mit dem Coverband-Teufel in der Gestalt von Jürgen Drews abzuschließen. Das bedeutet: Arbeit, Zeitaufwand, Unkosten, Herzblut—alles gratis. Manchmal springt vielleicht eine Mitleidsgage raus, mit der man sich dann ein Schnitzel und eine große Cola gönnen kann. Zumindest wird das in der Anfangszeit so ablaufen. Die Anfangszeit kann sich übrigens auch schon mal über Jahrzehnte hin ziehen oder eben gar nie enden. Wirklich ertragreich ist das also nicht—ich kenne sogar Bands, die für Gigs bezahlen. Das ist dann zwar extra hingebungsvoll, aber irgendwie auch ein bisschen traurig und auf die Dauer funktioniert das finanziell einfach nicht. Es ist ein hard knock life.

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Irgendwo zwischen Glaubwürdigkeit und Seelenverkauf bin ich auf einen Mittelweg geraten, der sich als Goldgrube herausgestellt hat. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, mit möglichst wenig Aufwand und möglichst wenig Jürgen Drews in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. Es ist so simpel: Hochzeiten. Die Kirche. Jesus.

Ich weiß wirklich nicht mehr, wie das alles angefangen hat, aber es muss ungefähr so gewesen sein: Irgendwann wurde ich mal gefragt, ob ich nicht am Klavier gemeinsam mit einer befreundeten Sängerin für die „musikalische Untermalung“ während einer Trauung (also der Teil in der Kirche) sorgen könnte. („Musikalische Untermalung“!) Wir wussten ohnehin nicht, worauf wir uns einlassen würden, und wir dachten, dabei würde zumindest ein gratis Essen rausspringen, also waren wir sofort dabei. Zumal wir nicht mal wirklich proben mussten, die gewünschte Songauswahl des Brautpaars las sich wie eine Auflistung sämtlicher Four-Chord-Love-Songs und war somit nicht besonders anspruchsvoll. Mit der Zeit würden wir lernen, dass das Œuvre eines Hochzeitsmusikers im Grunde genommen auch nicht viel mehr hergeben musste, als „The Rose“ von Bette Midler. Als die Braut und eigentlich auch alle anderen Anwesenden während „I Will Always Love You“ jeglichen Sinn von Beherrschung verloren und kollektiv in Tränen ausbrachen, wusste ich, dass ich gerade etwas Gutes getan hatte. Und ich lernte: Emotionen—egal, wie flach sie hervorgerufen werden—machen Menschen unendlich dankbar und großzügig. Wir waren reich.

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Somit war der Stein ins Rollen gebracht. Wenn ich nämlich etwas aus Hochzeiten gelernt habe, dann nicht nur, dass jeder, der seine Kinder zur kirchlichen Trauung mitbringt, ein sadistisches Arschloch ist. Auch, dass unter den Gästen immer mindestens zwei Pärchen sind, die einfach nur observieren, weil sie gerade ihre eigene Hochzeit planen. In der Regel sind die dann immer so angetan von der „tollen musikalischen Untermalung“, dass man direkt weitervermittelt wird und als erstes gleich mal über Preise verhandelt. Mit mehr Hochzeiten schafften es natürlich auch mehr Schmachtfetzen in unser Repertoire. Es sind Klischees, aber sie stimmen alle—„The Power Of Love“, „All You Need Is Love“, „Endless Love“, „Can’t Help Falling In Love“. Das sind so ziemlich die Songs, die von den meisten Brautpaaren gewünscht werden. Der unangefochtene Spitzenreiter ist tatsächlich „The Rose“, der bis jetzt wirklich ausnahmslos immer gewollt wurde. Ich weiß beim besten Willen nicht wieso und habe an diesem Punkt auch einfach aufgehört, es zu hinterfragen. Trotzdem muss ich bei „Some say love …“ mittlerweile immer ein bisschen brechen.

Dann gibt es natürlich auch Bräute, deren Geschmäcker einfach fragwürdig sind. Hier kommt man einfach nicht drum herum, wieder ein Stückchen seiner Seele zu verkaufen. Diese Frauen wollen nämlich zum Einzug das Lied, das auch während der Hochzeit von Bella und Edward in Twilight gespielt wird. Wer es besonders seicht möchte, greift auf Grauslichkeiten wie Silbermond oder Xavier Naidoo zurück, die es sich natürlich nicht nehmen ließen, speziell für diesen Anlass eigene Songs zu schreiben. Sie klingen genau so, wie ihr euch das jetzt vorstellt. Ich hatte allerdings auch schon Brautpaare, die Papa Roach zur Kommunion wollten und Papa Roach zur Kommunion bekamen.

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Der einzig unangenehmene Part an dem Job ist der, in dem man aus Gründen der Höflichkeit kurz Teil der Hochzeitsgesellschaft sein muss. In der Regel ist man während der gesamten Zeremonie ziemlich gut von den regulären Gästen abgeschnitten und muss allerhöchstens im Vorhinein eventuelle Kopfzeichen mit dem Pfarrer vereinbaren, danach gibt es allerdings meistens einen Sektempfang, der immer so ein bisschen awkward ist, weil man so tun muss, als wäre man nicht nur wegen dem Geld hier. Man stoßt also mit an, gratuliert, steht unbehaglich als einzige Nicht-Gäste wie ein Fremdkörper in der Gruppe rum und erfindet dann schnell einen Termin, zu dem man noch muss. „Mah, gratulier euch nochmal, alles Gute, ihr seid so ein schönes Paar, viel Glück, es war so schön, wir müssen leider weiter also …“ Das ist dann der Augenblick, in dem sogar die Brautmutter die Situation als unbehaglich empfindet und einen Umschlag zückt.

Imago/Martin Winter

Inzwischen haben wir expandiert. Allem Anschein nach zählen zu Hochzeitsgästen nämlich auch junge Eltern und Menschen, die bald sterben werden. Also machen wir jetzt auch Taufen, Beerdigungen und andere lustige Feste im Kirchenjahr. Letztere sind mir persönlich am Liebsten, weil es da nie bestimmte Vorgaben gibt. Bei der Muttertagsmesse im letzten Jahr haben wir mit „Mama“ von den Spice Girls mindestens sieben ältere Frauen zum Weinen gebracht, während ein verkaterter Pfarrer aus Polen mit einer App auf seinem iPad durch die Messe führte. Das ist wirklich passiert.Taufen sind übrigens das Ärgste, weil manche Mütter einfach so geistesgestört sind, und ihrem Neugeborenen ein Lied von Andreas Gabalier widmen möchten. Dafür komme ich irgendwann mal in die Hölle. Und die Mutter auch.

Ich verdiene also Geld damit, andere Menschen in Kirchen zum Weinen zu bringen. In gewisser Weise könnte man wohl sagen, dass Jesus mich bezahlt. Ich bin seine Hure, eine musikalische Maria Magdalena. Es ist vielleicht nicht die vertretbarste, aber die einfachste Möglichkeit, um mit Musik Geld zu machen.

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