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Wie Giorgio Moroder „I Feel Love“ geschrieben hat

Wir haben den Disco-Meister beim Moogfest getroffen und mit ihm über Moog-Modularsynthesizer und die Wichtigkeit technischer Limitierungen gesprochen.

Giorgio Moroder ist 74 Jahre alt und war als DJ nie gefragter. Auf der Außenbühne in Asheville, North Carolina wird später ein nett aussehender Mann mit weißen Haaren inmitten von Nebelschwaden mit einer Passion an den Knöpfen von Ableton Live drehen, die die künstlichen Darbietungen heutiger DJ-Produzenten in den Schatten stellt. Giorgio ist Headliner des zweitätigen Moogfests, ein Paradies für Freunde von Technik und Synthesizern. Die Musik, für die Giorgio bekannt ist, ist in allen Belangen eine Synthese—die wunderbare Mischung aus zitternden Robotersounds, verschmolzen mit Donna Summers herausragender Soulstimme wurde zu einem Vorbild für spätere (Dance-)Musik; eins, in dem die engstirnige Virtuosität des Solo-Gitarristen durch den Puls eines Moog-Synthesizers ersetzt wurde. Wie die Zeitgenossen Kraftwerk, hat Giorgio tief in den elektronischen Abgrund geschaut, hineingegriffen und die Seele des Instruments berührt, den Geist in der Maschine, und dadurch einen Roboter mit Emotionen erschaffen.

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Wir von Noisey haben uns nach einem langen Tag voll intellektueller Gespräche über die begehrten Geräte mit Giorgio beim Moogfest getroffen, um über seine berühmteste Komposition, „I Feel Love“, zu sprechen. Als der Song 1977 im berauschenden Disco-Sommer veröffentlicht wurde, hat er die nächtliche Stimmung perfekt eingefangen—ein traumhafter, synthetischer Dunstschleier mit einem pochenden Herzschlag. Der Song wurde ausschließlich mit dem Moog Modular erschaffen, den Moog zufällig gerade zum Moogfest wieder neu aufgelegt hat (http://www.moogmusic.com/news/moog-music-announces-new-emerson-moog-modular-system).

Noisey: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns zu reden.
Giorgio: Was ein Tag! (lacht) Du erzählst die gleiche Geschichte immer und immer wieder … das ist es nun mal.

Lass uns dieses Mal keine der immer gleichen Geschichten erzählen. Wir können alles, worüber du heute schon geredet hast, weglassen …
Nein, nein, nein! Es sind zwar die üblichen Fragen, aber egal. Frag mich einfach und ich gebe dir dann vielleicht einfach andere Antworten.

Ich habe deinen Vortrag vorhin angehört …
Oh, dann weißt du ja schon alles.

Noch nicht ganz! Können wir uns genauer über „I Feel Love“ und das Equipment, das du dafür benutzt hast, unterhalten?
„I Feel Love“ wurde ausschließlich mit dem ganz großen Moog gemacht, wobei alle Teile verbunden waren. Dem Modular. Ich hatte Glück, dass ich einen großartigen Tontechniker hatte, Robbie Wedel glaube ich, der in der Lage war, mir einen Sound daraus zu holen. Zu der Zeit brauchtest du nämlich 12 Verbindungen zwischen den Oszillatoren und für jeden Sound brauchtest du mindestens eine halbe Stunde. Dann wollte ich Klänge wie den einer Hi-Hat erschaffen, also haben wir White Noise kreiert und bestimmte Frequenzen abgeschnitten, dann die Snare und einige andere Percussion-Instrumente gemacht. Ich glaube aber, dass ich tatsächlich auch noch einen der italienischen Synthesizer dafür benutzt habe, die schon polyphone Sachen konnten. Zumindest am Anfang. Aber der Rest kam komplett vom Moog.

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Du hast auch die ganzen Drumsounds damit gemacht?
Alle Drums außer der Bassdrum. Mit dem Moog konnte man nicht diesen schlagenden Sound hinbekommen, es ergab eher ein „Oomph“ als ein „Dum“. Das war also das Einzige, das Keith Forsey gemacht hat, der einen schwierigen Job hatte, denn ein Drummer ist daran gewohnt Schlagzeug zu spielen, richtig? Jetzt musste er aber da sitzen und die ganze Zeit nur das machen [tut so, als würde er nur die Bassdrum spielen]. Ich glaube er brauchte vielleicht fünf oder sechs Takes bis es fertig war, weil das so entgegen seiner Natur war, da er keinen Krach machen konnte.

Die Technologie, die Musiker heute zur Verfügung haben, ist so viel weiter entwickelt als das, was ihr damals hattet.
Oh, heutzutage ist das so einfach!

Keith Emerson spielt mit den Schaltungen.

Denkst du, es war wichtig, dass es für dich schwierig war?
(Lacht) Nun ja, ich dachte nicht, dass es wichtig war, ich dachte einfach „lasst es uns machen“! Es war eine ziemliche Herausforderung. Besonders weil ich einen Song nicht auf traditionelle Weise auf dem Klavier komponieren und anschließend die Spuren dazu machen wollte. Ich dachte, ich mache die Spuren direkt. Und ich habe mit der Bassline angefangen, „Dum-Dum-Dum-Dum“. Das Gute an der Sequenz mit dem „Dum-Dum-Dum-Dum“ war, dass du, wenn du ein C drückst, „Dum-Dum-Dum-Dum“ hörst und wenn du ein D drückst „Dum-Dum-Dum-Dum“ (in höherer Tonlage) bekommst [Giorgio Moroder singt uns zu unserer Verzückung anschließend die „I Feel Love“-Bassline vor].

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Und es hat lange gedauert, die Spuren aufzunehmen. Denn zu der Zeit war der Moog total … was ist das Wort? Verstimmt. Die ganze Zeit. Ich musste ihn immer wieder stimmen—„Dum“, „Dum“, „Dum“. Und wir haben einen Click benutzt, sodass der Click auf dem Band, ich glaube es war eine Glocke oder so, dem Moog den Impuls gab, das Programm zu starten. Ich bin also vielleicht acht Takte zurückgegangen, hab ihn gestartet, geschaut ob er synchronisiert. Und zu einem anderen Zeitpunkt habe ich weitere acht oder zehn Takte aufgenommen und wieder neu angefangen, stimmen und wieder von vorne.

Wie Giorgio es heute vielleicht gemacht hätte: auf einem Nintendo DS.

Das ist wie die Techniken, die die Beatles und George Martin entwickeln mussten, um ihre Grenzen zu durchbrechen und bessere Platten zu machen. Dadurch, dass die Leute es heute so einfach haben, scheinen sie vielleicht nicht mehr die Platten mit solch einer Tiefe zu machen.
Ja, sicherlich … du musst heute kein Genie mehr sein, um solche Sachen zu machen. Tatsächlich habe ich sogar einen Typen, der jetzt für mich arbeitet und der nicht das Keyboard benutzt. Er setzt Zahlen ein. Wir haben das bei „E=MC2“ auch mit Zahlen gemacht. Wir hatten einen Computer mit dem Namen „Composer“. Du hattest eine Art Hörer. Du konntest „Ding-Ding Ding Ding“ reinsprechen und dann spielte er das. Das war viel zu mechanisch. „I Feel Love“ zu machen war super, denn das war der Anfang, aber bei „E=MC2“ ist das alles ein bisschen zu präzise, zu mechanisch. Wenn du heutzutage digital aufnimmst, kann man sagen, dass du spielst. Du entscheidest über die Anzahl der Fehler. Das Timing, das du willst, sodass es ein bisschen vermischter ist. Diese Composer-Sache war so präzise, es war ein bisschen kalt.

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Du hast den JP8 (1981) erwähnt—wenn es neue Technik gab, hast du dich schnell darauf eingelassen?
Ja, besonders da der Moog immer so ein Problem war. Ich brauchte immer diesen Typen—zu der Zeit wohnte ich in München, also musste ich zurück, da er einer der wenigen war, den ich kannte, der so ein Gerät hatte und wusste, wie man es zum Laufen bringt. Aber als der Minimoog rauskam und dann der JP8, der JP2, der Prophet … Und später habe ich ein sehr gutes Instrument mit dem Namen Synclavier gekauft, das zu der Zeit mit Abstand das Beste war.

Und teuer.
Oh Gott. Ich glaube der hat über hunderttausend gekostet. [Zur Verdeutlichung: 100.000 Dollar im Jahr 1977 entsprachen 2013 379.151,57 Dollar, also etwa 280.000 Euro]. Ein Freund von mir benutzt ihn noch heute, da er eine Menge großartiger Sounds hat. Denn wer auch immer den gebaut hat, hat einige wirklich beeindruckende und tolle Sounds gehabt.

Was benutzt du denn heute so?
Ich benutze nur die internen Sounds, wie … wie heißt das eine? Stylus, für Drums. X-irgendwas.

Benutzt du Logic oder Ableton?
Oh nein, ich benutze Pro Tools. Es ist einfach, die Aufnahme ist perfekt. Fast jeder mixt mit pro Tools, also warum nicht damit aufnehmen. Manche nehmen mit Logic auf und übertragen es dann in Pro Tools, was meiner Meinung nach immer ein kleines Durcheinander ist. Und wenn du dann etwas verändern willst … Und heute sind alle Programme so gut.

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Legst du heute mit Ableton auf?
Ja, werde ich.

Das muss ein großer Unterschied zu den 60ern sein, als du mit dem DJing angefangen hast.
(Lacht) Oh, da hast du 45er-Platten aufgelegt. Das war sehr anders. Aber ich habe das nur sehr wenig gemacht. Ich bin aufgetreten und habe dann ein bisschen aufgelegt, aber ich glaube nicht länger als ein Jahr. Vielleicht einmal die Woche, um ein bisschen Geld zu verdienen.

Was denkst du von der heutigen Musik? Fühlt sie sich futuristisch an?
Ja, tut sie. Die Sounds sind so gut, die Effekte sind gut. Einige der Effekte hätte ich gerne selbst erfunden. Und ich glaube, viele von diesen Effekten sind aus Versehen in die elektronische Tanzmusik geraten. Ich habe mit Benni Benassi, dem Italiener, gesprochen, der einer der Erfinder des „Uumph-Shaa“ [des Sidechains] ist. Und er sagte, dass das ein Zufall war. Er hatte einen Kompressor, der unkontrollierte Sachen machte, und auf einmal entstand der Sound.

Danke Giorgio.
Gerne.

Davo hat Girgio gebeten, ihn als Enkel zu adoptieren und er ist bei Twitter — @battery_licker.

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