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Das Wireless Festival gibt uns einen deprimierenden Blick auf die Zukunft britischer Musikfestivals

Das Wireless könnte eins der besten Festivals Europas sein—wenn den Veranstaltern nicht Geld so viel wichtiger wäre als die Musik.
Ryan Bassil
London, GB

Das Wireless hat—oder hatte zumindest bis zu Drakes Absage in letzter Minute—das wahrscheinlich beste britische Festival-Line-Up dieses Sommers. Neben Yeezy und Drake standen OutKast, ScHoolboy Q, YG, Chance the Rapper, Earl Sweatshirt und A$AP Ferg auf der Liste. Auch Pharrell Williams spielte dort sein einziges Festivalkonzert in England. Kurz gesagt, das Line-Up war der feuchte Traum eines jeden HipHop-Connaisseurs; die Art von Veranstaltung, die kein Europäer jemals erleben würde—es sei denn, man bekommt seinen Scheiß zusammen und bucht einen Flug in die Staaten. Ich konnte es also nicht abwarten, endlich dort anzukommen.

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Das Wireless hatte immer schon ein großartiges Booking. Zu den Headlinern vergangener Ausgaben gehören Daft Punk, LCD Soundsystem und Pulp und im letzten Jahr gab es Auftritte von Justin Timberlake, JAY Z, Frank Ocean und A Tribe Called Quest zu sehen. Gleichzeitig wird es aber auch als die kommerziellste Geldmaschinerie der ganzen Festivalsaison gesehen: Man legt viel Wert auf Sponsorenverträge, wenig Wert auf gute Atmosphäre. Dieses Jahr schien es aber so, als ob alles anders werden würde. Das Festival hat eine neue Heimat in Finsbury Park gefunden (besser als der Parkplatz außerhalb des Olympic Park) und Yahoo! Ist nicht mehr der Hauptsponsor. Diese Tatsachen in Kombination mit dem unglaublichen Line-Up brachten mich zu der festen Überzeugung, dass das Wireless tatsächlich das HipHop-Festival werden könnte, das Europa schon immer gebraucht hat. Ich fuhr also voller Hoffnung hin und kehrte niedergeschlagen wieder zurück.

Das Wireless ist das Vorzeigebeispiel dafür, wie Festivals in Großbritannien sich immer weiter von der Musikindustrie entfernen und dafür umso engere Beziehungen mit der „Erlebnisindustrie“ eingehen—also den gleichen Leuten, die die großen Pferderennen organisieren oder Ballonfahrten anbieten.

Das Festival ist in zwei Bereiche aufgeteilt: den für-alle-Bereich und den exklusive VIP-Bereich. Der für-alle-Bereich beinhaltet die ganz normalen Festivaldinge—eine Main-Stage, eine mittlere Stage und eine kleine Bühne, Toiletten und den ganzen anderen Kram, den man von Festivals kennt. Der VIP-Bereich, in den jeder kommt, der den entsprechenden Aufschlag zahlt, ist ein Areal mit politisch zweifelhaften Straßenperformen (jemand Bock auf einen Zwergenboxkampf?) und zwei Bars, bei denen die Preise für Cocktail-Pitcher bei umgerechnet 125 Euro anfangen. Die VIP-Area gibt sich als wahnsinnig exklusiver Bereich, aber in erster Linie ist sie ein Spielplatz, auf dem Möchtegernplayer #festival Instagram-Fotos machen können.

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Ich hatte den Eindruck, dass die Betreiber, da das Wireless dieses Jahr keinen Hauptsponsor hatte, versuchten, anderweitig so viel Kohle wie möglich aus der ganzen Geschichte zu ziehen. Es gab nicht nur den VIP-Bereich, sondern du musstest—wie bei dem Libertines-Konzert im Hyde Park—auch noch extra zahlen, um in Sichtweite der Bühne stehen zu können. Wireless ist zwar ein extrem vielseitiges Festival, aber es ist wirklich deprimierend, dass du, wenn du wirklich für die Musik da bist, draufzahlen musst, um ein schönes Festivalerlebnis haben zu können und verdammt nochmal etwas von der Musik mitzubekommen.

Natürlich scherten sich die meisten Menschen, die Zugang zu diesem Bereich hatten, nicht wirklich um das, was auf der Bühne abging, solange sie einen Snapchat mit einem bekannten Künstler im Hintergrund verschicken konnten. Das Glastonbury lädt das Publikum geradezu ein, sich Kopfüber in das Erlebnis zu stürzen. Das Wireless hingegen will, dass du allein für die Idee vom Erlebnis bezahlst, und, dass du diese dann an deine Freunde weiterverkaufst.

Kanyes Auftritt—und das negative Feedback, das er bekam—sind ein wunderbares Beispiel dafür. Eine Gruppe von Menschen um mich herum forderte das ganze Konzert hindurch, dass Kanye „Bound 2“ spielt—welcher zugegebenermaßen wirklich gut ist, aber bestimmt nicht der einzige Song von Kanye West ist, den ich hören möchte. Seine Rede, die er seit anderthalb Jahren bei fast jeder Show während „Runaway“ hält, erntete extrem viel Missgunst. Von allen Seiten hört ich „Play a fucking song“, „Fuck Kanye West“, „You’re ruining Wireless“ und „SHUT THE FUCK UP YOU FUCKING PRICK“. Ein Festival ist vielleicht nicht der beste Ort für Kanye, um sich in einer ausufernden, wenn auch motivierenden Rede zu verlieren, aber was hatte das Publikum erwartet? Das hier ist immerhin ein Kanye West-Konzert und zu einem Kanye West-Konzert gehört nun mal auch eine Rede. Außerdem spielte er ein Set mit 22 Songs. Es ist also niemand zu kurz gekommen.

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Ich will mich hier gar nicht groß über Marken und Sponsoren auslassen. Mir macht es nicht wirklich was aus, an einer Pepsi Max-Bar vorbeizulaufen, wenn ich dafür ein Wochenende lang ein All-Star HipHop-Line-Up in London sehen kann. Es ist der Rest des Festivals, der es wirklich runterzieht: der VIP-Bereich, die Gleichgültigkeit gegenüber der Musik (eine Gruppe saß die meiste Zeit während Kanyes Auftritt mit dem Rücken zur Bühne auf dem Boden und knipste Bilder mit ihren Handys) und der überfüllte Festivalbreich—drei Dinge, die davon kommen, dass zu sehr darauf geachtet wird, welcher Betrag am Ende auf den Kontoauszügen der Veranstalter steht.

Es ist wirklich eine Schande, weil die Künstler, die gespielt haben, richtig gut waren. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als mitten in Frank Oceans Set gigantische Yahoo!-Logos auftauchten, lieferten fast alle, die wir uns angeschaut haben, ein unglaublich gutes Set ab—ganz ohne Werbeunterbrechungen oder persönliche Patzer. OutKast waren einfach unglaublich, ich sah Giorgio Moroder vor etwa 200 Menschen spielen und Pharrell sah noch hübscher aus, als ich ihn in Erinnerung hatte.

Wireless hat durchaus das Potential—allein wegen des zunehmend hochwertigen Bookings—eins der besten Festivals in Großbritannien zu werden und es ist definitiv ein Anwärter auf das beste „Urban“-Musikfestival des Landes. Noch ist es aber nicht soweit. Sie haben die richtigen Bands gebucht, jetzt müssen sie noch das entsprechende Festival dazu erschaffen.

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