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Sechs Dinge aus dem Kanye West-Interview, über die wir noch sprechen müssen

Dieser Kanye West verwirrt uns, denn solche Personen kennen wir nicht. Bleibt die Frage, wer er überhaupt ist. Gott? Oder ist er gar nicht real?

Als du dir Yeezus das erste Mal angehört hast, machte es nicht wirklich Sinn. Die Beats sind sporadisch und die Texte sind lustig, aber krass. „Sweet and sour sauce“? Ein bisschen rassistisch, Mann. Erst mit der Zeit und wenn du es erneut hörst, fängst du an, es zu verstehen. Pointen und Wortspiele überraschen dich. Diese Patchwork-Produktion, bei der kein Loop jemals zur Ruhe kommt, ständig von einem neuen Sample, Screech oder einer Verzerrung unterbrochen wird, bleibt durchgehend spannend. Und dann willst du es wieder und immer wieder hören. Nach einer Woche begreifst du, dass es große Ideen enthält, die definitiv diskutiert werden sollten.

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Genauso ist es auch bei dem Interview mit Kanye, das am vergangenen Montagabend bei BBC Radio 1 geführt wurde. Beim ersten Hören scheint es das Geschwafel eines Verrückten zu sein, aber wenn du dann entschlüsselst was er da sagt, merkst du, dass es so viel gibt, worüber man reden sollte. Es gibt einige großartige Stücke über das Interview (und welcher andere Künstler gibt ein einziges Interview, infolge dessen dann Unmengen an Artikeln über ihn in der kompletten Medienlandschaft erscheinen?).

Aber selbst nach einer Woche, gibt es immer noch Dinge, die wir wirklich diskutieren sollten. Hier sind sechs davon.

Er eröffnete die Debatte über Rassismus in der Mode

Der Höhepunkt des Interviews ist der Kanye, der die komplette Modewelt herausfordert, weil sie seine Projekte nicht sponsern will. Vieles, das er sagt, ist widersprüchlich. Im einen Moment behauptet er, dass er keine Mode ohne einen Sponsor wie Nike kreieren könne, ein paar Minuten später kritisiert er Künstler, die ihren Namen unter eine bereits bestehende Marke setzten, statt ihre eigene zu entwickeln.

Seine größte Anschuldigung ist allerdings, dass die Modeindustrie Schwarze nicht mehr als T-Shirts designen lässt. Das ist auch der Grund wieso es ihm unmöglich ist, in einer Branche, in der niemand "wie er aussieht", Erfolg zu haben.

Es gibt sicherlich keine rassistischen Barrieren für Schwarze im HipHop, aber definitiv in der Mode. Einer Industrie, in der sich immer noch alles um die „alte Elite“ und kulturelle Hauptstadt dreht und die Chance besteht, dass hier tiefgehende Ungleichheiten herrschen. Rapper haben schon immer Karriere mit Kleidung gemacht, Odd Future zum Beispiel leben zwar vom Verkauf ihrer Merchandise Ware, aber Kanye weist darauf hin, dass es fast immer nur T-Shirts oder Casualwear ist. Er begibt sich also auf eine Ebene, auf der noch ein großer Kampf zu kämpfen ist.

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Es stellt sich allerdings die Frage ob sich die Minderheit der schwarzen Gesichter an oberster Stelle in der Modewelt auf seine eigenen Fähigkeiten als Designer auswirkt, oder nicht. Die Alternative, die er sich weigert in Betracht zu ziehen, ist, dass seine Kollektion einfach scheiße ist und er Begeisterung für Mode mit der Fähigkeit sie zu designen, verwechselt hat.

Ich weiß leider viel zu wenig über Mode oder ob Kanye gut darin ist, deswegen gebe ich die Beantwortung dieser Frage an jemand anderes weiter, an die Modejournalistin Rosie Swash (The Guardian):

„Es ist schwer eine bestimmte Sache oder Person in der Mode rauszupicken, die rassistisch ist, aber im Grunde musst du nur auf die Unmengen an weißen Körpern auf den Catwalks und die Minderheit der schwarzen Designern schauen, um zu sehen, dass an der Sache etwas dran ist. Das ist auch der Grund wieso ich es gut finde, dass Kanye dieses Thema zur Sprache gebracht hat, auch wenn er falsch mit der Annahme liegt, dass seine Frauenkollektion deswegen so schlecht läuft. (Der Grund dafür ist, dass sie Sachen schlecht sind. Richtig schlecht.)

Im Prinzip ist das mal wieder klassisch für Kanye: Er hat eigentlich Recht und das, was er sagt, ist wirklich erstaunlich, aber er muss dabei ein Arschloch sein. Eines ist sicher: Nas hat in den 90ern über Gucci und Guess gerappt, aber es ist Kanye, der die beiden Welten Mode und HipHop zusammengebracht hat und deswegen sieht A$AP in der ersten Reihe in New York auch so gut aus. Das hätte er vor zehn Jahren noch nicht getan und Kanye hat wahrscheinlich eine entscheidende Rolle dabei gespielt.“

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Er muss Drake ziemlich angepisst haben

Drake veröffentlicht gerade die wichtigste Platte seiner Karriere und versucht damit, Eminem von der Spitze des Rap-Universiums zu kicken, und alle Welt spricht nur darüber, ob Kanye die neueste Panne seit Wreck It Ralph ist.

Er hat bei Radio 1 über ernsthafte politische Themen gesprochen

Radio 1 hat seine Marke das letzte Jahrzehnt über auf der Idee aufgebaut, dass neue Musik grundsätzlich gut ist und deswegen auch auf Kosten der Meinung von Kritikern und Gesellschaft gefeiert werden sollte. Zane Low ist mit seiner "Hottest Record In The World" Show die Verkörperung dieser Idee. Mit seiner ganz eigenen Art ein Interview zu führen, könnte Zane Public Enemy vier Stunden lang interviewen und mit ihnen nur über ihre Mikro-Technik sprechen.

Es ist eine brillante Strategie, um jeden neuen Künstler in die Radiostation zu bekommen, sie schafft aber eine etwas lächerliche Form von Totalitarismus, in der jede neue Aufnahme total geil sein muss. Wenn auf das Team von Radio 1 jemals ihre exzellente Dokumentationen über ein ernstes Thema wie Rassismus ausstrahlt, tun sie das immer in einer übertrieben ausgewogenen, BBC-typischen unvoreingenommenen Art und Weise.

Das ist wahrscheinlich der Grund wieso Kanye kam und sagte „We got this new thing called classism. It’s racism’s cousin. So halten wir Leute zurück… und dann gibt es da noch diese andere Sache, die lange Zeit funktioniert hat, wenn du kein Rassist mehr sein wolltest, sie heißt Selbsthass. Sie funktioniert ganz einfach. Sie ist das eigentliche Vermögen des Rassismus".

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Kanye diskutierte Rassismus implizierende Annahmen über Schwarze im öffentlichen Leben und wie ihre Hautfarbe Schwarze beim Erreichen eines erstrebenswerten Standes an der Spitze der Gesellschaft beeinflusst. Aber er tat das in einer so wütenden, stumpfsinnigen und verwirrenden Art und Weise, dass er Zane damit sprachlos machte. Nicht die feine BBC-typische Art.

Du befandest dich also in einer Situation, in der Kanye ein paar drastische Dinge zum Thema Rassismus von sich gab, wie du sie wahrscheinlich noch nie davor gehört hast—vor allem nicht auf Radio 1—und auch nicht auf BBC, unbestritten. Sachen wie: „Jeder sagt, Wer denkt er denn, wer er ist? Ich hab euch gerade gesagt, wer ich dachte, dass ich bin: ein Gott! Wäre es besser gewesen, hätte ich einen Song der „I am a Nigger" heißt? Oder hätte ich einen Song gemacht, der „I'm a Gangster" oder „I am a Pimp" heißt? Solche Farben und Lacke würden besser zu einem Menschen wie mir passen, stimmts? Aber zu sagen, dass du ein Gott bist, vor allem, wenn du dem Land, in dem du lebst ausgeliefert wurdest und dein Nachname der eines Sklavenbesitzer ist (das denken die Leute), woher kommt bitte diese Mentalität?"

Nun, ich denke wir sollten Kanyes Behauptungen trotzdem nicht allzu ernst nehmen, denn dann bräuchten wir eine neue Bürgerrechtsbewegung, nur weil sich Leute darüber lustig gemacht haben, dass er als Schwarzer enge Jeans trägt. Und ich verstehe, dass es schwierig ist, sympathisch zu wirken, wenn man in der Welt von Multimillionären einen Kampf für Rassengleichheit beginnt.

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Aber wenn Kanye sagt, dass sich seine Zeile „Clean water was only served to fairer skin” auf die Modeinstrustrie bezieht, weil „We’re making products with chitlins, t-shirts, that’s the most we can make", dann ist da was dran.

Wenn Kanye also irgendeine Scheiße darüber redet, wie seine Modelinie versucht, diese politische Idee auszudrücken, straft ihn die Öffentlichkeit. Wenn aber Ralf Simmons genau die gleiche Scheiße reden würde, würde ihn jeder für ein verdammtes Genie halten.

Radio 1 sollte dafür ausgezeichnet werden, dass sie das ganze Interview ausgestrahlt haben und uns so an diesen Momenten teilnehmen ließen. Es war die einvernehmlichste Stunde Radio, die ich jemals gehört habe.

Zane machte seine Arbeit wirklich gut, obwohl es schön gewesen wäre, hätte er ihn um eine Erklärung seiner Aussagen wie zum Beispiel, dass er ein Opfer von „classism“ sei, gebeten. Und wieso er dann „Blood On The Leaves“, den vielleicht größten Protest-Song aller Zeiten, als Untermauerung für einen Track über Frauen, mit denen er geschlafen hat, benutzte.

Aber eine Frage bleibt offen. Wer wäre in der Lage gewesen mit Kanye über solche Dinge zu sprechen? Gibt es da irgendjemanden im Fernsehen oder Radio, der gerissen genug wäre um es mit Kanye und seinen politischen Auffassungen aufzunehmen und zudem noch versteht worüber er eigentlich da redet?

Er redet hier tatsächlich über ein paar sehr interessante Dinge

Weil das Interview größtenteils so aussah, dass Kanye unentwegt über Mode und Rassismus redete, während Zane Lowe deprimiert versuchte, das Gespräch auf das Thema Musik zu lenken, übersieht man leicht, dass Kanye zu Anfang des Gesprächs eine wirklich auf den Punkt gebrachte Kritik auf seine eigene Karriere abgelassen hat.

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Eine Sache, die klar herausstach, war seine Diskussion über Musik, die oft in einer reinen Dienstleistungsposition ist. „Die Leute fahren in den Urlaub und sagen, du hast die Drogen? Du hast den Wein? Du hast die Musik?“ Musik wird mittlerweile auf eine Lifestyle-Ware reduziert. Mit Yeezus verfolgt Kanye einen aggressiven Ansatz dagegen, sagte er. Er hat Recht. Popmusik ist vielleicht auf dem konservativsten Punkt ihrer Geschichte. Trotz der unfassbar großen Menge an aufregender Musik, die tagtäglich aufkommt, spielen die Sender durchgängig eine Rotation von weniger als zwanzig Liedern. Und nicht mal zwanzig neue Songs, sondern eine Auswahl an Maroon 5, Christina Aguilera, Adele und dem, was gerade als Soundtrack bei Grey’s Anatomy läuft. Die meisten Künstler sind durch diese kleine Playlist so verzweifelt, dass ihre Musik entweder an Orginalität verliert oder sie die Öffentlichkeit schocken.

Yeezus existiert scheinbar meilenweit weg von alledem, in einer anderen Welt. In der Cruel Summer, Kanyes letzte Aufnahme unter dem G.O.O.D. Music Namen, überall im Radio gespielt wird. Das interessante daran ist, dass Kanye selbst diese Kluft erkennt und kritisierten kann. Rückblickend auf seine letzten vier Alben (Watch The Throne ausgenommen), gibt er zu, dass Cruel Summer nicht wirklich die Platte sein wird, über die sich Menschen auch in Zukunft noch unterhalten werden—auch wenn seine Fantasie davon „perfekt“ gewesen war. „Trap-Drums und Radio-Hits sind die Strukturen der heutigen Zeit“, aber auf 808s und Yeezus „muss er nicht mit den Strukturen der Gegenwart“ sprechen. Diese Alben „pushen und definieren HipHop neu“, sagte Kanye im Interview.

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Yeezus ist ganz klar ein Meisterwerk, aber es ist schön zu hören, dass Kanye 808s nochmal aufgreift, vielleicht die größte Erfüllung eines Kanye Albums. Wegen seines Drangs zu Autotune startete es eine Autotune-Welle im Bubblegum-Pop. Wenn du es jetzt hörst, merkst du wie fortschrittlich für seine Zeit es damals war und wie Kanye jetzt sagt, dass die Leute es damals auch nicht richtig verstanden haben.

Anderswo zeigte Kanye einen Feinsinn bei seinen Gedanken, die nicht unbedingt auf der Platte sind, wenn es um sein Problem Materialimus und wie dieser die Musikwelt beeinflusst, geht. Aus Verlockung am Konsumismus, sagte er: „Ich bin zu 100 Prozent ein Teil davon. Und ich möchte das zu 100 Prozent überwinden. Manchmal bin ich der Vermittler. Manchmal bin ich der Hersteller selbst. Ich bin ein neuer Sklave … du kannst in deinen Besitztümern gefangen sein … Jeder Rap handelt davon, wie viel Geld du machst, welches Auto du fährst oder wie groß dein Haus ist. Rapper versuchen mit Basketballspielern zu konkurieren, während die Musik die Titanik ist und untergeht. Und jeder, egal ob Sportler oder Musiker, versucht sein Level zu halten.“

Kanye hat oft das genaueste Verständnis für seine eigene Musik. Und es war klug von ihm, seine vergangenen Kapitel so zu kritisieren.

Du wirst keinen größeren Spaß in deinem Leben haben als dir dieses Interview über irgendwelche Grime-Instrumentals gelegt anzuhören

Okay, verabschiede dich von diesem Abend.

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Also, wer ist eigentlich dieser Kanye West?

Das ist nicht das einzige Interview, das Kanye in diesem Monat gegeben hat. Er sprach auch mit seiner Schwiegermutter, Kris, über eine Stunde—über das Familienleben und wie es ist, ein Vater zu sein. Er war warmherzig und charmant und es entging ihm nichts. Auch am Ende des Zane-Interviews, nachdem Zane ihm abermals dankte, atmete er tief durch und lachte. Weiß er, dass er zeitweise wie Tracy Jordon wirkte? Er muss es wissen, er kann nicht einfach so einen Sitzstreik mit einem nicht radiofreundlichen Album vergleichen? Oder diese Sache, dass es in seiner Familie genetisch vererbt ist, im Highschool-Jahrbuch als „best dressed“ ausgezeichnet zu werden. Denn was im Interview geschah, war nicht irgendeine Persona, es war definitiv er. Aus tiefstem Herzen. Wir sind an viele Charaktere in der Popmusik gewohnt, aber nicht an scharfsinnige und vernebelte wie Kanye einer zu sein scheint. Das alles hinterlässt ein großes Fragezeichen wer zum Teufel Kanye eigentlich ist. Oder ob er überhaupt real ist.

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