Der Eyeliner kann mehr, als Augen definieren – er hat ganze Epochen geprägt, Stilikonen geschaffen und den gesellschaftlichen Stand seiner Trägerinnen und Träger definiert. Er ist das Symbol vieler Legenden: Kleopatra, Twiggy, Prince, Marilyn Manson, Grace Jones, Boy George und Amy Winehouse. In den letzten hundert Jahren hat sich der Eyeliner wie eine sauber geschwungene Linie durch zahlreiche Modetrends gezogen. Um zu verstehen, wie es der Eyeliner auf Gesichter in der ganzen Welt schaffte, haben wir seine Geschichte aus dem Alten Ägypten über die Goldenen Zwanziger bis in euer Kosmetiktäschchen nachverfolgt.
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Der erste Eyeliner: Giftiges Statussymbol
Im Alten Ägypten wurde Kohl gleichermaßen von Männern und Frauen getragen. Historiker glauben, dass er mehr als reine Dekoration war: Er sollte den Sonnengott Re ehren, dessen Symbol das Auge war. Außerdem sollte die schwarze Umrandung die Augen vor starker Sonneneinstrahlung schützen und antiseptische Eigenschaften haben. Kohl wurde in allen Gesellschaftsschichten getragen, doch ärmere Menschen mussten den Bleiglanz durch Ruß ersetzen. Der Glanz des Kohls verriet somit viel über Wohlstand und Klassenzugehörigkeit der Trägerin.Auch heute noch wird eine Version des Kohls in Teilen von Indien, Pakistan, verschiedenen afrikanischen Staaten und dem Nahen Osten verwendet. Der Begriff kohl hat einen arabischen Ursprung und ist je nach Region als kaja, al-kahal, surma, tiro oder kwalli bekannt. Einige Eltern in Indien, Pakistan und Afghanistan versuchen nach wie vor ihre Kinder durch traditionellen Kohl vor dem sogenannten Bösen Blick zu schützen – diese Praxis ist heute jedoch sehr umstritten, da die Bleispuren im Gemisch zu einer gefährlichen Bleivergiftung führen können.
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Ägyptomanie und Stummfilme holen den Eyeliner ins 20. Jahrhundert
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Dank der Ägyptomanie und dem Trendsetting der Filmstars veränderte sich die Einstellung der Bevölkerung zum Make-up. Vorbei waren die Zeiten, in denen es nur mit Prostituierten oder Bühnenschauspielern assoziiert wurde: Die "Smokey Eyes" wurde zum bevorzugten Look vieler Frauen der 1920er-Jahre.
Auf Broadly: Zu Besuch in einer brasilianischen Schönheitsklinik
Vor allem in den USA erlebte die Kosmetikindustrie zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg einen Boom. "Jede Frau, die etwas auf sich hielt, trug zu dieser Zeit Make-up", erklärt die Kunsthistorikerin Madeleine Marsh. Das Make-up symbolisierte auch neu gewonne Freiheiten, sagt sie: "Nach dem Ersten Weltkrieg fand eine Revolution statt: Frauen erhielten in vielen Ländern erstmals das Stimmrecht, legten ihre Röcke ab und begannen, öffentlich zu trinken und zu rauchen. Sie hatten viele neue Freiheiten – und dazu gehörte auch, sich zu schminken." Der Ansturm auf Make-up war so groß, dass die Kosmetikindustrie sogar eine der wenigen Branchen war, die während der Großen Depression in den USA weiter wuchs.Allerdings waren viele Produkte, die damals in den Läden landeten, schädlich oder sogar giftig – wie zuvor auch der traditionelle Kohl. Im Jahr 1933 führte die Wimpernfarbe Lash Lure zu einem Todesfall, mehrere Frauen erblindeten. Sie enthielt unter anderem den giftigen Wirkstoff Phenylendiamin, der heute in der Herstellung von Pflanzenschutz- oder Haarfärbemitteln benutzt wird. Als Reaktion auf diesen und weitere Vorfälle wurden 1938 in den USA Sicherheitsstandards für Kosmetikprodukte eingeführt, die durch die Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) reguliert werden. In Europa wird die Sicherheit von Kosmetikprodukten durch die EU-Kosmetikverordnung gewährleistet.
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Mit Lidstrich durch die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg
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Auch während des Zweiten Weltkriegs, als Güter wie Zucker und Reifen rationalisiert wurden, trugen Amerikanerinnen weiterhin Make-up, um den Anschein eines normalen Lebens zu wahren und die Moral zu stärken – auch wenn sie teilweise auf alte Hausmittel wie Ruß oder Holunderbeeren zurückgreifen mussten. Selbst die Propagandaplakate, die Frauen aufforderten, während des Krieges traditionelle Männerberufe zu ergreifen, zeigten Frauen mit stark geschminkten Augen.Nach 1945 wurden die Amerikanerinnen dann ermutigt, sich wieder auf die häusliche Sphäre zu konzentrieren. Oberste Priorität: den Ehemann zufrieden zu stellen. Diese Einstellung führte zu den extrem binären Geschlechterrollen der 1950er Jahre – und zu den glamourösen Schminktrends dieser Zeit. Verspielte Katzenaugen, dünne Augenbrauen und volle rote Lippen: Wer gerade kein Bild vor Augen hat, braucht sich nur Marilyn Monroe in Blondinen bevorzugt anschauen.
Swinging Sixties, Glamrock und Guyliner
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Schrille Farben und Feminismus
YouTube-Tutorials, die Kardashians und Selfies
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Im Jahr 2005 eröffnete die Videoplattform YouTube ganz neue Möglichkeiten: Nun konnte jeder von Profis lernen, wie man den perfekten Lidstrich zieht – kostenlos und ohne das Haus zu verlassen. Die ersten Schmink-Videos aus dieser Zeit, wie das von Make-up-Artist Michelle Phan, wurden millionenfach geklickt. Schnell fluteten Beauty-Tutorials die Plattform.Als die Reality-Show Keeping Up With The Kardashians 2007 erstmals ausgestrahlt wurde, konnte wohl niemand ahnen, wie sehr die Serie den Make-up-Stil (und die Gesellschaft) verändern würde. Kim Kardashians Smokey-Eyes mit schwarzem Kajal und schwarzem Lidschatten wurde vielfach kopiert und durch Reality-Shows wie Jersey Shore weiter verbreitet. Doch es war am Ende Kim Kardashians jüngere Schwester Kylie Jenner, die mit ihrem Look für die größeren Schlagzeilen sorgte. Als Antwort auf Gerüchte, sie würde sich die Lippen aufspritzen lassen, brachte Jenner kurzerhand ihre eigene Kosmetiklinie auf den Markt. Seitdem kopieren junge Frauen auf der ganzen Welt ihren Stil, zu dem auch sorgfältig geschminkte Katzenaugen gehören. Den gewünschten Effekt erzielt Jenner übrigens mit Lidschatten statt Eyeliner, wie sie Anfang des Jahres ihren 114 Millionen Followerinnen auf Instagram verriet.Die Historikerin Marsh meint, dass Selfies weiter zu dem großen Interesse an Make-up und professionellen Tutorials beitragen. Da wir jederzeit bereit für ein Foto sein wollen, sei uns unser Aussehen auch besonders wichtig.Die Alten Ägypter haben der Nachwelt eine Vielzahl an kulturellen, architektonischen und künstlerischen Gütern hinterlassen, die uns bis heute fesseln. Dass aber ausgerechnet ihr geliebter Kohl ein Millionenpublikum erreichen würde, hätten sich wohl auch die Pharaonen nicht träumen lassen.Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.