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Feature

Es gibt tatsächlich einen Anti-Christ: Marilyn Manson

Eine Geschichte darüber, wie der God of Fuck schon ziemlich lange Jesus ans Bein pisst.
Foto: Imago | ZUMA Press

Foto: Imago

Marilyn Manson hat vor Kurzem bekanntgegeben, dass sein nächstes Album Heaven Upside Down am 9. Juli 2017 erscheinen wird. Ursprünglich sollte es Say10 heißen – ein Wortspiel mit dem Namen Satan und der Tatsache, dass es sich um sein zehntes Studioalbum handelt – und bereits am Valentinstag rauskommen.

Mit Verpassen des eigentlichen Veröffentlichungstermins hat Manson den Appetit seiner Fans auf Instagram mit einer Reihe kryptischer Videos weiter angefeuert, in denen immer das Lothringerkreuz (‡) auftaucht, das Manson regelmäßig in seinen Bühnenshows und für sein Merchandise verwendet. Seit dem 11. Februar hat Manson fünf Videos mit dem in weißes Licht getauchten Symbol veröffentlicht und alle mit einer geheimnisvollen Beschreibung versehen. Die Texte reichen von Bibelzitaten aus der Offenbarung bis hin zum Titel einer Grafik von Goya.

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Das Lothringerkreuz erscheint als animierte Skizze auf Mansons Oberkörper. Das Zitat ist Vers 13:17 aus der Offenbarung des Johannes über das Zeichen des Teufels.

Wieder taucht das Lothringerkreuz in leuchtend-weißem Licht auf. Die Beschreibung 6:19 könnte eine Anspielung auf eine weitere Bibelstelle oder ein Veröffentlichungsdatum sein, das nicht länger gültig ist.

Hier erscheint das Lothringerkreuz auf einem Gebäude, das wie eine Kirche aussieht, in der Ferne ertönt eine Sirene. The Sleep of Reason Produces Monsters ist der englische Titel des Goya-Werkes Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Ein weiteres Lothringerkreuz in weißem Licht mitsamt Fliegeralarm und der Beschreibung "Mercury Retrograde", "Rückläufiger Merkur".

Im letzten Clip sieht man aus der Ich-Perspektive, wie jemand hyperventilierend hinter dem Steuer eines Autos sitzt. Der Fahrer steigt aus und wir sehen ein weiteres weiß strahlendes Lothringerkreuz. Als er sich umdreht, sehen wir eine Figur in einem Umhang. Die Sirenen werden lauter.

Und was bedeutet das jetzt alles?

Das wird nur die Zeit zeigen. Diese Videos sind allerdings nur das neueste Beispiel für Mansons Verwendung des Christentums und seiner Symbole für die Kritik der amerikanischen Kultur. Sein aktuelles Album erscheint zu einer Zeit, in der sich die politischen Spannungen in den USA auf einem neuen Hoch befinden und der evangelikale Flügel der Republikaner regelrecht amok läuft und viele grundlegende Gesetzesentscheidungen wie Krankenversicherung, Geburtenkontrolle und Verhütung nach christlichen Überzeugen und nicht nach dem Willen der Wähler ausrichtet. Hier ist ein Überblick darüber, wie Manson schon zu Beginn seiner Karriere das Christentum zum Zentrum seiner Kritik an Amerika gemacht hat.

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Vor dem Durchbruch

In den Nachwehen der sogenannten Satanic Panic, die Amerika in den 1980ern erfasst hatte, machte Manson im Oktober 1994 seine erste Bekanntschaft mit der christlichen Moralpolizei. Kurz nach der Veröffentlichung des Debütalbums Portrait of an American Family tourte die Band als Supportact für Nine Inch Nails durch die USA, als Manson von einem Hallenbetreiber in der Mormonenhochburg Salt Lake City der Auftritt verweigert wurde. Grund war das Tourmerchandise, auf dem folgender Text stand:

"Warnung, Heavy Metal Musik enthält satanische Botschaften, die Gott in euren beeinflussbaren Teenagerköpfen tötet. Als Resultat werdet ihr eure Mutter und euren Vater umbringen wollen und in einem Akt hoffnungsloser und lebensmüder Rock'n'Roll-Mentalität am Ende euch selbst. Bitte, verbrennt eure Platten, solange es noch Hoffnung gibt."

Manson erklärte den Text in einem Statement folgendermaßen:

"Es war einfach ein sarkastischer Blick auf das Ausmaß der Absurdität, das die politische Korrektheit erreicht hat – und auf den Versuch von Amerikas rechten Christen, Rock'n'Roll als Sündenbock für Probleme herhalten zu lassen, die ihren Ursprung in den eigenen masochistischen Familienstrukturen haben. Kurz gesagt, es ist ein Spiegel. Manchmal ist das eigene Spiegelbild am schwersten zu ertragen."

Nine Inch Nails-Frontmann Trent Reznor, der Manson bei seinem Vanity-Label Nothing Records unter Vertrag genommen hatte, holte ihn während seines Auftritts auf die Bühne. Manson nutzte die Gelegenheit, um Das Buch Mormon zu zerreißen, ins Publikum zu werfen und das Publikum zu fragen: "Lasst ihr ihn [Gott] euer Leben bestimmen?"

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Als er einen Monat später in der MTV-Sendung Headbangers Ball von Moderator Riki Rachtman zu den Geschehnissen von Salt Lake City gefragt wurde, gab sich Manson etwas verlegen und wollte nicht ins Detail gehen. Stattdessen zitierte er das Anliegen der Band, "freies Denken, Individualität und das Recht, das tun zu können, was du tun willst", propagieren zu wollen, als Ursache für den ganzen Ärger.

Kurz danach tauchten Manson, Twiggy Ramirez und Madonna Wayne Gacy in der Phil Donahue Show auf. Das Thema der im Februar 1995 ausgestrahlten Folge waren die Gefahren des Stagedivings und Moshens. Der wie immer wortgewandte Manson sprach darin nicht über die Rolle der elterlichen Aufsicht, sondern auch darüber, dass die Medien regelmäßig Filmen und Musik die Schuld an Teenagerselbstmorden geben – was das Publikum überraschenderweise mit Applaus bedachte. Als allerdings wieder die satanischen Symbole zur Sprache kamen, wich Manson aus.

1995 erschien die von Reznor produzierte EP Smells Like Children – der Titel ist eine Anspielung an den Kinderfänger-Bösewicht des 60er Jahre Musicals Tschitti Tschitti Bäng Bäng. Das Album wurde mit Platin ausgezeichnet, was nicht zuletzt auch dem Erfolg der einzigen Single-Auskopplung geschuldet war: ein Cover des Eurythmics-Klassikers "Sweet Dreams (Are Made of This)" von 1983.

Das verstörende Musikvideo, das groteske Aufnahmen von Manson und seinen Bandkollegen in einem heruntergekommenen Gebäude zeigt, lief bei MTV in Dauerschleife und verschaffte der Band ihren ersten Vorstoß in Mainstream-Gefilde. Bei den 1996 MTV Video Music Awards wurde das Video in der Kategorie "Best Rock Video" nominiert. Für die surreale Horrorästhetik der nächsten Jahre war damit der Grundstein gelegt.

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Noisey Video: I Saw the Light: Zu Besuch beim "christlichen Woodstock"


Mainstream-Durchbruch

Auf der Welle des Erfolgs von "Sweet Dreams" und motiviert durch die Tatsache, dass Amerika von den schauerlich aussehenden Rockern Notiz genommen hatte, verbarrikadierten sich Manson und seine Bandkollegen in Reznors Nothing Studios, um das Album aufzunehmen, das als Antichrist Superstar Rockgeschichte schreiben sollte. In dem Jahr zwischen Smells Like Children und Antichrist Superstar wurde Manson zunehmend selbstbewusster darin, antichristliche Symbolik zu Satirezwecken zu verwenden. Er selbst sagt in seinen Memoiren The Long Hard Road Out of Hell, dass er damals eine enge Freundschaft mit dem Gründer und Hohepriester der Church of Satan, Anton LaVey, entwickelt habe. Hier spricht er in einem Interview von 1995 über seine Beziehung zu LaVey und der Church of Satan.

Antichrist Superstar wurde im Oktober 1996 veröffentlicht. Das Konzeptalbum ist in drei Akte unterteilt und dreht sich um ein übernatürliches Geschöpf, das die Macht an sich reißt, um die Apokalypse einzuleiten – wie man auch in den verschachtelten Liner-Notes nachlesen kann.

Das Front- (links) und Back-Cover (rechts) von 'Antichrist Superstar'

Das Booklet von 'Antichrist Superstar'

Im Januar 1997 zierte Manson als frisch gekürter Best New Artist das Cover des Rolling Stone. In der Coverstory erzählt Manson von einem Traum, den er über die Entstehung des Hauptprotagonisten des Albums gehabt hatte.

"Vor ein paar Jahren begann ich Träume und Visionen darüber zu haben, wie die Welt zerstört wird und ich als einziger übrig bleibe. Es war wie die ultimative Vergeltung für alles, was mir in meiner Kindheit widerfahren ist. Ein Traum spielte irgendwann in der Zukunft – vielleicht sogar in Fort Lauderdale. Die Entertainment-Industrie war so extrem geworden, dass sie Menschen allein aus Unterhaltungszwecken zu Zombies machten. Und ich hatte diese komische Vision über diese Frauen, die total hirntot waren – sie tanzten in Käfigen und ihre Kiefer hatte man verdrahtet, damit sie den ganzen Typen, die um sie herum masturbierten, nicht die Schwänze abbeißen. Es war das reinste Sodom und Gomorra. Irgendwie war ich dort und habe entweder die ganze Veranstaltung präsentiert oder bin aufgetreten oder so etwas. Das war wahrscheinlich das erste Mal, dass Antichrist Superstar seinen Hals gereckt hat."

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Das Video zur ersten Single des Albums, "The Beautiful People", bediente sich wieder bei der dreckigen, grotesken, leicht Steampunk-esquen Ästhetik, die "Sweet Dreams" etabliert hatte. Mit albtraumhaften Wesen, die ihre Proportionen ändern konnten, wurde noch eine ordentliche Schippe draufgelegt. Das Video lief bei MTV hoch und runter und das Lied landete in den Charts. Wieder wurde die Band für Best Rock Video bei den MTV Music Awards nominiert und trat sogar als letzter Act des Abends mit "The Beautiful People" bei der Preisverleihung auf.

Begleitet von einer "Hail to the Chief"-spielenden Marschkapelle tritt Manson bekleidet in einem schwarzen Fellmantel an ein Rednerpodium, auf dem die Worte "ANTICHRIST SVPERSTAR" das Surperstar Shock-Logo umrahmen (ein Verweis auf das Symbol britischer Faschisten)). Die anwesende Hollywood-Elite adressierte er mit:

"Meine amerikanischen Mitbürger, wir werden uns nicht länger vom Faschismus des Christentums unterdrücken lassen. Und wir werden uns nicht länger vom Faschismus der Schönheit unterdrücken lassen. Wenn ich euch alle hier so sitzen sehe, wie ihr euch alle Mühe gebt, nicht hässlich zu sein, nicht reinzupassen, euch alle Mühe gebt, euch den Weg in den Himmel zu verdienen, aber lasst mich euch fragen: Wollt ihr an einem Ort sein, der voll mit Arschlöchern ist?"

Dann legt er mit einer energiegeladenen Performance los. Seinen Pelzmantel lässt er irgendwann fallen und steht nur noch mit nacktem Hintern, Korsett, Kniestrümpfen, Strapsen und nicht viel mehr da. Während er sich immer wieder in puppenartige Posen wirft, krächzt Manson seine Text. Der Auftritt endet damit, dass die Bandmitglieder ihre Instrumente zerstören. Das Publikum reagiert mit tosendem Applaus.

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Im November 1997 fand sich Manson im Zentrum einer Kongressanhörung zum Thema "Musik & Gewalt: Wie beeinflusst sie unsere Kinder", die von Senator Joseph Lieberman angeführt wurde. Darin kam Raymond Kuntz zu Wort, ein Vater aus North Dakota, der Antichrist Superstar die Schuld am Selbstmord seines Sohnes Richard gab. Bei vielen Terminen der Dead to the World Tour kam es zu Demonstrationen von religiösen Organisationen. Nichtsdestotrotz sollte das Album in den kommenden zwei Jahren sechs weitere Musikvideos hervorbringen – von denen zwei allerdings nie veröffentlicht werden sollten.

"Tourniquet" war die zweite und letzte offizielle Radiosingle von Antichrist Superstar. Das zugehörige Video spielt auf Mansons Kindheitsobsession an, sich ein lebendiges Mädchen aus Prothesen zu bauen.

Das Video zu "Cryptochild" kombiniert Szenen aus dem 1991 erschienen Experimentalhorror-Film Begotten von Elias Merhige mit Aufnahmen von Manson. Aufgrund seiner realistischen Darstellung von Tod und Verwesung wurde das Video von MTV verbannt.

Das Video zu "Man That You Fear" basiert auf der Kurzgeschichte "The Lottery" von Shirley Jackson und zeigt den letzten Tag eines Mannes, der von seiner Gemeinschaft zum Sterben ausgewählt wurde. Mansons Darstellung umfasst bestimmt christliche Elemente, wie die Waschung der Füße und seine augenscheinliche Akzeptanz des Todes durch die Hände der Seinen.

In dem Video zu "Long Hard Road Out Of Hell" gibt es diverse Perversionen der christlichen Ikonographie zu sehen – inklusive einer blutüberströmten Jungfrau Maria.

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Das "Apple of Sodom"-Video wurde nie offiziell veröffentlicht. Der Grund dafür waren weibliche Nacktheit und der Low-Budget-Charakter. Der Song schaffte es aber schließlich auf den Soundtrack von Lost Highway.

Das "Antichrist Superstar"-Video wurde ebenfalls von Elias Merhige gedreht, aber nie offiziell veröffentlicht. Das Management bei Interscope Records war der Meinung, dass die Darstellung diverser Kriege und faschistischer Regime zusammen mit Aufnahmen von Manson und der amerikanischen Flagge nicht vorführbar sei. Das Video landete im Archiv, aber schaffte es im Juni 2010 dann doch noch an die Öffentlichkeit.

Nachfolgende Veröffentlichungen

Auch wenn seine Karriere seitdem immer wieder von Kontroversen geprägt war – besonders spektakulär war die Anschuldigung rechter Meinungsträger, er trage eine Mitschuld am Amoklauf von Columbine – veröffentlichte Manson sieben weitere Studioalben. Sein neustes, das 2015 erschiene The Pale Emperor, kam bei der Kritik zwar gut an, schaffte es allerdings nicht, den Zeitgeist so gut einzufangen wie seine Vorgänger.

Je näher wir allerdings der Veröffentlichung von Heaven Upside Down im Juli kommen, gibt es Grund zur Hoffnung, dass das aktuelle politische Klima den fruchtbaren Boden für Manson bereitstellt, damit er das tun, was er am besten kann: der Absurdität amerikanischer Kultur den Spiegel vorhalten und sie einen langen, harten und unbarmherzigen Blick auf sich selbst werfen lassen. Ein Teaser-Video zur ersten Single "Say10" erschien am Morgen der Präsidentschaftswahl 2016 und zeigt die Enthauptung von Donald Trump, der wenige Stunden später zum Präsidenten gewählt werden sollte.

In einem Interview mit The Daily Beast sagte Manson über den Clip:

"Es geht um die verzweifelten Taten von Menschen, die den Predigten eines Ungläubigen glauben. Wir befinden uns gerade in einem extremen Zustand der Verwirrung, was Religion, Politik, Sexualität und deren Verbindung zueinander angeht. Und daraus wird aktuell ein großer Zirkus gemacht – etwas, das man mir in der Vergangenheit immer vorgeworfen hat. Für mich als Künstler, und insbesondere als amerikanischer Künstler, habe ich das Gefühl, dass ich etwas machen muss, das neue Fragen aufwirft, die mehr als einfache Statements sind."

Und wenn man dem Brotkrumenpfad folgt, den Manson bei Instagram gelegt hat, steht außer Frage, dass er noch immer eine Rechnung mit der christlichen Rechten in Amerika offen hat. Das Fundament für ein großes Comeback steht. Alles, was Manson jetzt noch tun muss, ist sein satirisches Talent anzuzapfen – genug Grund zum Schreien hat er. Hoffen wir, dass der God of Fuck seiner Aufgabe gewachsen ist. Die Sterne könnten jedenfalls nicht besser stehen.

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