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„Der Feuerwehreinsatz war noch das Harmloseste an diesem Abend“ - Hudson Mohawke im Portrait

Kurz vor der Veröffentlichung von ‚Lantern’ haben wir eine Nacht mit Kanye Wests Geheimwaffe in New York abgehangen.

Das letzte Mal, als ich Ross Birchard und Kanye West sah, musste die Feuerwehr anrücken.

„‚All Day’ wurde in meinem Studio in London aufgenommen. Kurz, nachdem wir den Song fertig hatten, wurde mir mein Mietvertrag gekündigt“, erzählt Ross mir. Wir sitzen im Backstage des Irving Plaza, es ist noch etwas Zeit bis zu seinem Auftritt und Birchard kann einfach nicht aufhören zu lachen, während er mir erzählt, was passiert war. „Wir haben einfach groß gefeiert, um den fertigen Song gebührend zu würdigen. Mein Studio befand sich im Keller des Netflix-Gebäudes. Irgendwie lösten wir den Feueralarm für das komplette Gebäude aus und ich bekam eine Rechnung über zehntausend Pfund für den Feuerwehreinsatz aufgedrückt.“

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Er macht eine kleine Pause. „Und das war eigentlich noch das Harmloseste an dem Abend. Den Rest erzähl' ich aber lieber nicht.“

Auch wenn es Ross ist, der mir hier von diesem Abend erzählt, so ist es doch eigentlich eine Hudson Mohawke-Story—so nennt sich Ross als Solokünstler. Der schlaksige, 29 Jahre alte Schotte ist einer der einflussreichsten Produzenten der Welt. Mit so illustren Menschen wie Lil Wayne, Pusha T, Drake, Azealia Banks, John Legend und eben auch Kanye West (zusätzlich zu seinem Vertrag mit Warp ist er momentan auch bei Kanyes Label G.O.O.D. Music unter Vertrag) zusammenzuarbeiten ist sein Daily Business. Hudson Mohawke, kurz: HudMo, ist bekannt dafür, den bombastischen und punkigen Sound etabliert zu haben, der Rap die letzten fünf Jahre dominiert hat. Erinnerst du dich noch an „Mercy“? Und an Yeezus? Willkommen in der Welt der Hudson Mohawke-Produktionen.

Hier gibt es mehr Hudson Mohawke.

Vorerst drehen wir das Rad für allerdings ein Stück zurück. Woher kam dieser Schotte eigentlich, bevor Kanye ihn mit „I am a God“ zur Lichtgestalt erhob? Aufgewachsen in Glasgow, begann Ross als Teenager, mit Turntables zu experimentieren. Erst kürzlich berichtete er dem Fader, wie er sich in Clubs schlich, um die dortigen DJs zu studieren. Als DJ Itchy begann er wenig später bei DJ-Wettbewerben mitzumachen.

Irgendwann machte ihm das keinen Spaß mehr und er entdeckte das Programm Fruity Loops für sich entdeckte (er benutzt die Software bis heute). So fing er an, jene Sounds zu erschaffen, aus denen sich dann der spezielle HudMo-Sound entwickeln sollte, für den er heute bekannt ist. Ein Freund, der bei Warp Records arbeitete, stellte der Plattenfirma seine Sachen vor, Birchard bekam einen Vertrag und veröffentlichte 2008 sein Debüt Butter. Die Kritiker liebten es.

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Einige Jahre später wurde Ross’ Output dann auf eine ganz neue Ebene katapultiert, als er 2012 zusammen mit seinem Kollegen und Kumpel Lunice als TNGHT eine EP aufnahm. Diese fünf Songs (Gesamtspielzeit: 15 Minuten und 49 Sekunden) brachte dem Duo unzählige Headliner-Slots auf großen Festivals ein. Genau wie alle vorrausschauend arbeitenden Künstler, wusste auch Ross sofort, dass er seinen Stil ändern muss, um weiterhin relevant zu bleiben. Das ist nun der Punkt, an dem Lantern, sein neues Album auf Warp Records ins Spiel kommt.

„Viele Menschen, die das Album hören, werden wahrscheinlich nicht mit meinem Back-Katalog vertraut sein und eher so denken, ‚Oh, das ist der Typ von TNGHT.’“ Birchard kommt dabei jedoch keineswegs frustriert rüber, sondern lediglich wie jemand, der weiterhin mehr sein möchte als das, was die Leute von ihm erwarten. „Du hast natürlich zehn verdammte Jahre an deinen Fertigkeiten gearbeitet und wenn dir dann so etwas wie das TNGHT-Zeug passiert—was total viel Spaß gemacht hat und ich liebe den Kram einfach—dann würde man es einfach hassen, für immer nur für diese paar Songs bekannt zu sein.“

Er erzählt, dass verschieden Labels Lunice und ihm gute Angebote für ein Album gemacht haben, aber hätten sie jemals eingewilligt, dann „wären wir dazu verdammt gewesen, bei jeder Solo-Show von uns neben unserem Namen in fetten Lettern, der Typ von TNGHT stehen zu haben. Ich will auf keinen Fall in so eine Situation kommen.“

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Ich zitiere einen Kommentar, den er vor ein paar Monaten gegenüber Pitchfork abgegeben hatte. Darin witzelte er etwas über TNGHT und seine Hörer. Ross lacht. „Das ist bei vielen hängengeblieben. Ich fand gar nicht, dass das ein so wildes Statement war. Als [TNGHT] eine Art von Proll-Musik wurde, merkten wir schnell, dass das nicht das war, worauf wir es abgesehen hatten. Es war nicht das, was wir erreichen wollten, und es war bestimmt nicht etwas, das wir auf Kosten unserer Solokarieren, an denen wir viele Jahre gearbeitet hatten, weiter verfolgen wollten.“

Es sind Momente wie dieser, in denen du Ross als menschliches Wesen mit Zielen und Ideen wahrnimmst—Ideen, wie er noch weiter über sich hinauswachsen kann—anstatt einfach als Typen, der weiß, wie man einen Club zum Kochen bringt. Er fordert sich selbst immer wieder heraus, um größer zu werden, um jemand zu werden, an den man sich erinnert. Er will nicht einfach nur Bumm Bumm Bumm-Musik machen. Die EDM-Kultur hat uns gelehrt, dass es nur einen Laptop, etwas Talent und einen einzigen Track braucht: Das ist dein Ticket zum Ruhm. Ross hingegen scheint an das komplette Gegenteil zu glauben. Als ich ihn frage, ob mehr TNGHT-Material auf dem Weg ist, antwortet er mir ohne zu zögern: „Ja, auf jeden Fall. Es wird definitiv mehr von TNGHT geben.“

Aber gut, genug von Vergangenheit und dem, was Ross Birchard zu Hudson Mohawke gemacht hat. Hier geht es um das Jetzt und das bringt uns sofort zu Lantern. Sollte es sein Ziel gewesen sein, damit etwas Unerwartetes zu erschaffen, dann ist ihm das auf jeden Fall gelungen. Dieses beeindruckende, sich über 14 Songs erstreckende Album) ist wahrhaftig im Hier und Jetzt verortet ist—eine mächtige, fluoreszierende Ansammlung von Klängen, die trotz seiner schimmernden Beschaffenheit tief im Herzen unglaublich düster ist. Überraschenderweise ist auf dem Album kein einziger Rapper vertreten. Anstattdessen sind bei einer Handvoll Songs Sänger zu hören: Miguel, Antony, Jhene Aiko, Ruckazoid und Ifane. „Auf der ersten Hudson Mohawke-Platte hatte ich dieses Tweet-Ding“, sagt Ross und bezieht sich damit auf seine Überarbeitung von Tweets „Oops (Oh My) featuring Missy Elliott“. „Das war wie ein R’n’B-Song. Also, was die ganzen Leute angeht, die jetzt sagen, ‚Yo, warum gibt es keine Rapper [auf Lantern]?’, nun, meine erste Vinylveröffentlichung war eine R’n’B-Platte, verstehst du, was ich meine?“

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Lantern wurde von den Grundmauern an neu aufgebaut und fußt, abgesehen von der souligen Leadsingle „Ryderz“, kaum auf Samples. Ein gutes Beispiel für diesen Stil ist „Portrait of Luci“, ein fröhlicher Instrumentaltrack, der von einer Synthspur getragen wird. Es ist ein Song, der wahrscheinlich eine neue Liebe beschreibt—oder eine nostalgische Erinnerung an etwas, das für immer verloren ist.

„Ich habe einen Haufen Rap-Alben gemacht“, sagt er mit Nachdruck, „und ich arbeite auch jetzt gerade an einem Haufen Rap-Alben für andere Leute. Ich wollte aber nie, dass das etwas ist, wofür ich bekannt bin. Im Moment habe ich einfach das Gefühl, dass es wichtig ist—ich meinte ja eben schon, dass viele Leute mich erst seit Kurzem auf dem Schirm haben—dass es wichtig ist, auch ein größeres Spektrum von dem zu präsentieren, was ich bin, anstatt nur einen Haufen Rap-Banger zu machen.“

In dem Moment kommt ein Mitglied von Ross’ Tourcrew in den Backstage und geht direkt zum Kühlschrank. Darin befinden sich gerade mal sechs Bier. „Wir müssen mal einen vernünftigen Rider machen. Selbst für meine DJ-Sets bekomme ich sonst mehr“, scherzt Ross (tatsächlich wurde der Kühlschrank einfach noch nicht aufgefüllt. Später findet sich darin viel mehr, als wir trinken können). Sein Crewmitglied wedelt mit einem Bier, ich nehme dankend an. „Oh scheiße! Jetzt fühle ich mich wie ein Arschloch“, sagt Ross.

Diese ungekünstelten Momente passieren den ganzen Abend über immer wieder. Und jedes Mal bin ich aufs Neue verwundert, weil Ross—als Hudson Mohawke—den Ruf hat, ein verschlossener Sonderling zu sein, der ungern mit irgendjemandem über irgendetwas redet. Tatsächlich ist er aber nur ein ganz normaler Typ. Nach unserem Interview verbringen wir noch zehn Minuten damit, zusammen auf der Couch abzuhängen und alte Tim & Eric-Videos anzuschauen. Später geht er für eine Zigarette nach draußen und bietet mir auch eine an. Ich sag ihm, dass ihn das Zeug noch umbringen wird. Er sagt mir, dass ich mich verpissen kann.

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Die Schlange vor dem Irving Plaza reicht mittlerweile einen Block weit, aber niemand scheint zu merken, dass sie direkt neben dem Mann stehen, den sie alle sehen wollen. Wir fangen an, uns über John C. Reilly und darüber zu unterhalten, wie unterschätzt der Film Stepbrothers ist—und außerdem ist Reilly ein überraschend talentierter Musiker. Ich erzähl ihm, dass ich ihn sogar einmal zu seiner Musikerkarriere interviewt habe. Ross ist beeindruckt. „Netter Typ?“ Jup. Dann geht es wieder zurück zu Tim & Eric.

„Hast du dir das neuste Heidecker & Wood-Album angehört?“

Hab' ich.

„Das ist so unglaublich gut! Viele Leute meinten so, ‚Ach, die versuchen doch nur die 70er zu verarschen.’ Verdammt, das sind einfach ein paar unglaublich geile Songs.“

Plötzlich kommt irgendein Kerl mit Hut zu uns und unterbricht uns. Er hatte mitbekommen, wie wir uns vorher über John C. Reilly unterhalten haben. Er stellt sich vor—wir nennen ihn jetzt einfach mal Steve, an seinen richtigen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern—und Ross streckt ihm die Hand aus. „Hi, ich bin Ross.“ Der Typ, obwohl er ein Bändchen für die Show trägt und nach Feuer fragt, hat absolut keinen Plan, dass er mit Hudson Mohawke spricht. Irgendwie ist es ganz schön: Dieser Normalo ist ein Mysterium—selbst für seine Fans.

Wir gehen wieder rein und machen Witze über irgendwelchen Nerdkram. In der Hoffnung, dass er mir etwas über ein gemeinsames Projekt mit der Lichtgestalt aus Atlanta erzählt, frage ich ihn, was er von Young Thug hält. „Young Thug? Oh, ich liebe Young Thug“, grinst er.

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HudMo im Irving Plaza in New York

Das heutige Konzert ist gleichzeitig der erste Abend, an dem HudMo mit Liveband auftritt. Zu der Band gehören der Two Door Cinema Club-Drummer Ben Thompson und der Producer Redinho hinterm Keyboard. Ins Irving Plaza passen etwa tausend Menschen und schon bevor der Opener Remy Banks sich für seinen Auftritt fertigmacht, sieht der Laden ziemlich ausverkauft aus. Aber was können wir eigentlich von einer Hudson Mohawke Soloshow mit Liveband erwarten?

„Ich schätze, das hier ist so etwas wie ein Probelauf, um sicherzugehen, dass wir nichts versauen“, sagt er. Sie planen auf jeden Fall, eine kleine Tour zu spielen, bevor sie für die großen Festivals zurück nach Europa kommen. „Ich bin mir sicher, dass wir es an irgendeinem Punkt verhauen werden.“ Sollte es die Gruppe tatsächlich beim Auftritt verhauen haben, habe ich davon nichts mitbekommen. Vom Anfang —die Show beginnt mit dem ersten und titelgebenden Track des neuen Albums, Lantern, einem breiigen, schwelenden Intro ohne jegliche Melodie—bis zum Ende des 90-minütigen Sets, bringt die Band eine unglaubliche Energie auf die Bühne. Ross, jetzt als Hudson Mohawke, steht hinter einen Säulenanordnung, die aussieht als würde sie aus einem Raumschiff stammen. Hinter ihm schießen Lichtkegel an die Decke, rotieren und ändern die Farbe mit jedem Beat von jedem Song. Die Luft ist schwül und stickig.

Wenn er über den Liveansatz von Lantern spricht, merkt man schnell, dass Auftritte das sind, was Ross am meisten begeistert. „Es muss nicht als DJ-Set aufgeführt werden“, sagt er. „Es lässt sich ganz gut adaptieren. Ich freue mich richtig auf dieses Liveding, weil es etwas ist, dass ich bis jetzt noch nie wirklich gemacht habe.“

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Und wieder einmal hat es Ross sich zur Aufgabe gemacht, eben nicht das zu sein, was alle von Hudson Mohawke erwarten. Kein Wunder, dass dieser Kerl für einen Künstler wie Kanye West so attraktiv ist. Er ist ständig frustriert über die ganzen Schubladen, in denen sich Künstler plötzlich wiederfinden und er sucht Wege, um nicht in ihnen eingesperrt zu werden. „Ich finde es irgendwie nervig, dass du das Album fertigmachst und es dann noch mal verdammte sechs Monate dauert, bis es veröffentlicht wird“, sagt er. „Ich bin fast schon mit dem nächsten Album fertig. Ich weiß aus Erfahrungen mit anderen Künstlern, dass es manchmal auch schneller gehen kann—als wir zum Beispiel Yeezus fertig hatten, ist es eine Woche später erschienen.“

Hey, wo wir gerade schon bei Yeezus sind, frage ich Ross, ob er mir nicht verraten will, wann das nächste Kanye-Album kommt.

„Nein“, er lacht. „Das will ich dir nicht verraten.“

Nach der Show stehen wir draußen vor dem Laden und wieder raucht er eine Zigarette. Ich sage ihm wieder, dass ihn das umbringen wird. Er sagt mir wieder, dass ich mich verpissen kann. Ich frage ihn, ob es sich komisch anfühlt, berühmt zu werden. „Es fühlt sich nicht wirklich anders an als die Zeit, in der ich noch in Glasgow in einer Bar gearbeitet habe. Es gibt auf jeden Fall Momente, in denen du dich kneifst, um sicherzugehen, dass du nicht träumst, aber eigentlich hat sich das Meiste nicht groß geändert. Ich glaube, dass andere Menschen vielleicht eine bestimmte Vorstellung von mir bekommen oder die falsche Meinung über mich haben, weil sie gesehen haben, wie ich irgendwas mit irgendjemandem mache und dadurch denken, ich bin ein Arschloch.“ Wir sind kurz davor, uns auf den Weg zu einer Bar im East Village zu machen. Vielleicht wird er dort noch ein Überraschungs-Set spielen. Aber erst muss er zurück ins Hotel und „diese Laptops abladen.“ Für einen Moment, frage ich mich, was er wohl darauf hat. Wahrscheinlich einen unveröffentlichten Kanye-Song featuring Young Thug, Pusha T, Vic Mensa und Fetty Wap.

„Ich schicke dir später eine SMS“, sagt er und verschwindet wieder.

Hudson Mohwake spielt beim Donauinselfest. Lantern bekommst du direkt bei Warp Records.

Folgt Eric Sundermann bei Twitter—@ericsundy

Jason Bergman ist Fotograf und lebt in New York. Folgt ihm bei Instagram.

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