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"Jede Line sollte die geilste sein"—Die Beginner im Interview über ihr neues Album

Die Beginner aus Hamburg veröffentlichen heute ihr Album "Advanced Chemistry". Im Interview nehmen sie das Heft selber in die Hand—und Rihanna in die Mangel.

Man könnte jetzt mit mehreren Trommelwirbeln auffahren. Mit riesigem Feuerwerk und Leuchtpetarden. Eizi Eiz, Denyo und DJ Mad veröffentlichen am heutigen Freitag nach einer Ewigkeit, die nicht nur gefühlter Natur war, endlich wieder ein neues Werk als Beginner. Aber wir wollen die Dinge einfach sich selbst überlassen. Viel ist schon gesagt worden über ihren Viertling Advanced Chemistry. Da bietet es sich an, mit der versammelten Mannschaft vor wunderschöner Kulisse auf einer Terrasse direkt am Rhein in Basel—das Interview fand kurz vor ihrem abrissmässigen Auftritt am Open Air Basel statt—mal über das grosse Pop-Game zu sprechen. Warten wir noch kurz, bis Eizi mit seiner Spasszigarette von hinter der Hausecke zurückkommt, DJ Mad sein Rindstartar aufgemampft und Denyo sein zweites Panaché geschluckt hat. Los.

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DJ Mad: So, dann wollen wir mal anfangen. Also Dennis, wie war denn das so nach 13 Jahren wieder Musik zu machen?
Denyo: Gar nicht so schlecht. Der erste Saunagang auf Promotour war wirklich spitze.

Noisey: Danke, dass du das mit dem Interview für mich übernimmst, Mad.
DJ Mad: Das ist halt schon der Running Gag, weil das bei 80 Prozent der Interviews die Einstiegsfrage ist.

Und dann kommt wahrscheinlich die, in der ihr gefragt werdet, ob das Stück "Spam" eurer Skepsis gegenüber der digitalen Welt Ausdruck verleiht. Also quasi, ob ihr gegen das Internet seid.
Denyo: Ja, das kommt auch immer, aber das ist seltener geworden. Aber die ist auf jeden Fall im Ranking gesunken.
Eizi Eiz: Ja, kommt aber trotzdem immer wieder. Weil wir ja auch auf Twitter sind und so. "Wie geht denn das zusammen?", werden wir oft gefragt.

Ich würde gern mit was Anderem anfangen. Ich war gestern bei Rihanna.
DJ Mad: Und, wie geht's ihr?

Sie sah recht glücklich aus. Aber sie schwebt die ganze Zeit alleine in einer Blase. Sie macht gar keine Anstalten, zur Band oder zum Publikum Kontakt herzustellen.
Eizi Eiz: Ja, das ist mies.
Denyo: Dass sie sich selber gefällt, ist schon mal gut.

Ihr habt mit "Plastik" (auf dem Jan Delay Album Mercedes Dance) und jetzt "Spam" schon mehrere Songs darüber gemacht, dass unsere Welt—vereinfacht gesagt—immer künstlicher und unpersönlicher wird. Die knapp 40.000 Leute in Zürich waren trotzdem extrem happy mit dieser 80-minütigen Selbstreferenz für 140 Franken.
Eizi Eiz: Ja, über solche Sachen haben wir unabhängig von Interviews in letzter Zeit oft gesprochen. Das ist so schwierig, wenn die Vorbilder fehlen. Aus Amiland kommen auch sehr wenig gute Live-Rapper. Wir sind zu Public Enemy, zu Ice-T und zu De La Soul gegangen. Und heute kommen die da hoch und haben noch ihre Vocals mitlaufen. Dazu schreien zehn Leute irgendwas ins Mic. Die machen kaum mehr was. Und die Grossen machen praktisch alle das Gleiche. Da ist es völlig egal, ob du zu Justin, zu Beyoncé, zu Pink oder zu Rihanna gehst. Oft sind die noch mit den gleichen Berufsmusikern unterwegs, mit den gleichen Musical Directors, mit dem gleichen Bühnendesignern. Das sind Zirkuspferdchen, die ausgewechselt werden.
Denyo: Da hast du total recht. Trotzdem gibt's noch Unterschiede. Wenn du zu Beyoncé gehst, dann reitet die das Zirkuspferd aber mal so richtig (grosses Gelächter). Und das macht dann eine Rihanna nicht so.
Eizi Eiz: Und Pink macht irgendwelche Turnübungen am Trapez.
Denyo: Bevor wir den ersten geilen Song gemacht haben, haben wir mindestens 500 geile Shows gemacht.
Eizi Eiz: Und mindestens dreissig Scheisssongs (lacht).
Denyo: Auf jeden Fall konnten wir das mit den Shows, bevor wir das mit den Alben konnten. Und deswegen sind wir auch nach wie vor 'ne echte Liveband.

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Will man als Künstler denn nicht, dass sich die einzelnen Konzerte voneinander unterscheiden?
Eizi Eiz: Klar will ich das. Klar wollen wir das. Aber sie anscheinend nicht. Bei Rihanna hab ich vor zwei Jahren damit aufgehört, baff zu sein, wie diese Frau seit zehn Jahren die ganze Zeit am Start ist und nicht in der Klapse landet. Unfassbar, wie sie das hinkriegt, dabei noch happy zu sein.

Das ist doch nur ein Social-Media-Phänomen. Das nimmt man doch einfach nur so wahr.
Eizi Eiz: Ja, aber worauf ich hinaus will: Wenn die das schafft, das so krass durchzuziehen, dann musst du irgendwo Abstriche machen. Und dann sind das halt ihre Abstriche: Dass sie nicht jeden Abend noch mit der Band quatscht und dass sie keine Zugaben spielt. Dafür hat die überhaupt keine Synapsen mehr freigeschaltet.
Denyo: Wenn man Rihanna kennt, dann weisst du ja auch, wenn du aufn Konzert gehst, dass du nicht die krasseste Performance zu erwarten hast. Dann geht man aus anderen Gründen hin.

Aber eigentlich wollen doch die Leute was Persönliches erfahren. So wie bei den Beginnern. Oder nicht?
Eizi Eiz: Ich glaube, das will dieser Mainstream gar nicht.
Denyo: Man muss ja auch jeden Künstler als das betrachten, was er ist. Rihanna ist ja auch nicht dafür bekannt auf poetischste Art und Weise von ihrem Leben zu erzählen. Das erwartet man von ihr auch nicht. Die macht krasse Popsongs, that's it.
Eizi Eiz: Andere machen krasse Popsongs für sie.
Denyo: Ja, gut. Aber sie macht die Songs ja dann schlussendlich zu Hits. Sie ist schon eine krasse Künstlerin. Sie ist nicht nur eine Interpretin.
DJ Mad: Das ist Entertainment, fertig, aus.
Eizi Eiz: Ja, sie ist auf jeden Fall die Königin der Interpreten gerade.

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Im Gegensatz zu Rihanna erzählt ihr euren Fans konkrete Geschichten aus eurem Leben. Ihr streut immer wieder Zeilen ein, in denen es ganz privat wird.
Denyo: Ja, wir können gar nicht anders. Wir kommen ja auch noch aus einer anderen Zeit. Wir überlegen uns schon: Was kann ich von mir preisgeben, womit andere Leute was anfangen können. So, dass man ihnen auch den Raum lässt, sich selber ein Bild machen zu können zu dem jeweiligen Thema.

So wie zum Beispiel in dem Song "Papa" auf deinem letzten Album #Derbe.
Denyo: Genau. Damit sage ich dann halt, dass ich jetzt ein anderes Leben führe als früher. Eine Geschichte ohne Zeigefinger, in der ich meiner kleinen Tochter erkläre, womit ihr Papa sein Geld verdient. Ich habe in letzter Zeit in den Interviews immer wieder gesagt, HipHop sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber das stimmt nur teilweise. Dass man Rapper als Beruf für einen 40-jährigen Familienvater akzeptiert, davon sind wir noch etwas entfernt.

Den Refrain des Songs hat Torch beigesteuert, der Papa des Deutschrap. Nun dient seine Band Advanced Chemistry als Namensgeber für euer neues Album. Pflegt Ihr eine Vater-Sohn-Beziehung mit ihm?
Denyo: Ich glaube, das wäre ein bisschen zu hochgegriffen. Torch ist für mich persönlich eine Autorität. So wie ein grosser Bruder das ist. Einer, der zehn Jahre älter ist. Einer, der einem viel beigebracht und viel vorgelebt hat und ohne den man nicht das wäre, was man ist.
Eizi Eiz: Ganz sicher ist: Torch hätte die Platte auch geprägt, wenn er nicht bei Denyo zu hören wäre und wenn das Album nicht Advanced Chemistry heissen würde.
Denyo: Absolut, ja. Für mich ist Torch auch abgesehen davon einfach ein krasser Typ. Ein Intellektueller. Ein wandelndes Lexikon. Der kann dir zu fast jedem Thema was erzählen, was Gehalt und Tiefgang hat.

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Trotzdem wart ihr nie Advanced-Chemistry-Klone. Ihr habt eine Weile gebraucht, um euren Sound zu finden, aber eigen war er immer.
Eizi Eiz: Ich glaube auch. Wir haben uns schon mit der Klasse von 94 abgegrenzt. Deswegen hat's die überhaupt gegeben. Weil uns dieses Oldschool-Gehabe und dieser Alte Schule Sampler der vorherigen Generation auf den Sack ging.

Zurück ins Jetzt: Hat Haftbefehl in den Neunzigern wirklich Bambule gehört, wie er auf dem Album erzählt?
Eizi Eiz: Er hat mir vor fünf Jahren mal erzählt, dass er damals immer "Hammerhart" auf dem Basketballplatz gehört hat. Aber natürlich ist er damals mit 15 nicht einen dicken Mercedes zu Schrott gefahren und hat dann Versicherungsbetrug begangen, wie er im Lied erzählt.
Denyo: Ein bisschen künstlerische Freiheit muss man ihm lassen. Für mich ist das auf jeden Fall die beste Strophe auf dem Album. Ich find die unfassbar.

Mir gefällt die von Samy.
Denyo: Die find ich auch unglaublich gut. Auch Megaloh: krass. Eigentlich alle.

Rihanna ist ja auch drauf.
Eizi Eiz: Wer?

Rihanna. Du rappst im Stück "Kater": "Rihanna kann sich in den Pelz auf meiner Zunge kleiden."
Eizi Eiz: Ach, die Olle wieder. Ja.
Denyo: "Kater" ist übrigens einer der ersten Songs, die entstanden sind. Die Urskizze stammt noch aus dem Jahr 2011. Den Song wollte Mad unbedingt draufhaben, weil er immer so viel säuft.

Schön, dass es euch genau gleich wie allen anderen geht, wenn ihr einen Kater habt. Ihr wickelt euch in eine Decke ein und denkt: Mich hat niemand gern.
Denyo: Ja, bei mir war's dann halt irgendwann so: Scheisse, kann jetzt grad keinen Kater haben. Ich hab jetzt hier gefühlte acht Kinder und 'ne Frau um mich rum. Wenn ich jetzt mal weggehe, dann nur, wenn ich vorher geklärt habe, dass ich den ganzen nächsten Tag frei habe.

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Habt Ihr einen Lieblingsverse auf dem Album?
Denyo: Das kann ich dir jetzt so gar nicht sagen. Die Aufgabe war, dass du jedes Mal, wenn du einen Verse schreibst, das Gefühl hast, dass du die geilste Lines des Albums geschrieben hast. Und dann gleich der nächste. Deshalb ist es jetzt so, dass ich sage: Da sind bestimmt 20, 30 Lines drauf, die ich abfeier. Ist das jetzt zu selbstgefällig?

Für dich, Mad?
DJ Mad: Schwierig.
Denyo: Er hört nicht auf die Texte. Er hört auch die Platte nicht.
DJ Mad: Ist das wieder alles auf Deutsch diesmal?

Und deine Jan?
Eizi Eiz: Keine Ahnung. Meine Lieblingsline ist immer noch die von Dendemann: "Und da fragst du dich, warum an der Waterkant die Beats fetter warn, euer Sound hängt am Vaterland wie Kriegsveteranen." Aber der ist nicht auf dem Album, wie du weisst. Schätze nicht, dass der noch irgendwann übertroffen wird.

Beginner live in Zürich: Mittwoch, 22.03.2017, Halle 622

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