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Wie können wir das Clubsterben aufhalten?

Nach einem schwierigen Jahr für die Clubkultur schauen wir, wie die Entwicklung eventuell aufgehalten und umgekehrt werden kann.

Die Überreste des ehemaligen The Cross. Der Club im Herzen Londons machte 2008 zu. (Foto von Ben Williams)

Das unerwartete Ende von Plastic People Anfang dieses Monats und auch das Ende von Trouw und dem Atomic Café waren der logische Abschluss dieses wirklich furchtbaren Jahres für Großbritanniens und Europas Clublandschaft. Allein in London wurden derartig viele Clubs dichtgemacht, dass es hier zu lange dauern würde, alle aufzulisten. Aber auch außerhalb der britischen Hauptstadt, in Liverpool, wurden das legendäre Cream und der Club The Kazimier in Angst und Schrecken versetzt, als sie von der Stadtplanung zum Abriss freigegeben worden waren. Auf der ganzen Insel werden Sonderabgaben für den nächtlichen Betrieb eingefordert, was viele Clubs dazu zwingt, früh zu schließen, um zusätzliche Kosten zu vermeiden, in anderen Nationen führen absurde Urheberrechtspauschalen, Anwohnerbeschwerden und Mietpreise zum Ende von Clubs. Auch in Wien geriet der eine oder andere ins Straucheln. Man denke nur an das Flex—lange Zeit war unklar, ob die Urmutter der Wiener Clubs schließen muss oder ob es sich wieder fangen kann. Und wie wir gestern berichtet haben, muss man sich nun auch Sorgen um den Weekender Club in Innsbruck machen.

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Aber man fragt man sich schon, wie man diesen vermeintlich stetigen Niedergang aufhalten und umkehren kann. Jedes Mal, wenn im letzten Jahr ein Nachtclub in Gefahr geriet, schlugen sich im Internet tausende Menschen auf ihre Seite. Als in Wien mit dem Jessas ein fix und fertiger Club zusperren musste, bevor er jemals seine Pforten öffnen konnte, explodierten die sozialen Netzwerke für Wiener Verhältnisse förmlich. Als zum Beispiel Ende letzten Jahres bekannt wurde, dass die Betriebslizenz des Fabric einer Überprüfung unterzogen werden soll, kam über Nacht eine Petition mit 30.000 Unterstützern zustande. Trotz des immensen Supports erwägt das Islington Council weiterhin, dem Club strengere Sicherheitsauflagen aufzudrücken, die auch einen eventuellen Einsatz von Drogenspürhunden und Ausweis-Scans beinhalten. Der Club ist gerade dabei, gegen die Auflagen Widerspruch einzulegen. „Das hier sind keine fairen Bedingungen“, beschwerte sich Fabric-Besitzer Keith Reilly gegenüber einem der Stadtvertreter nach dem Treffen. Reillys Frustration ist durchaus nachvollziehbar: In Unterzahl gegen nörgelnde Anwohner und einem großen Polizeikontingent kippte die Stimmung im Saal zunehmend gegen das Fabric.

Die Schlange vor dem Fabric. Mit der neuen Betriebslizenz ist der Club verpflichtet, Drogenspürhunde und Ausweis-Scans einzusetzen.

Die Clubgänger wiederum haben bei der Regelung des Nachtlebens so gut wie gar nichts zu melden. Die Entscheidungen über die Tanzlokale werden hinter verschlossenen Türen gefällt und selbst der Stadtrat bleibt in manchen Fällen außen vor. Als ein Bauunternehmer 2012 den Vorschlag machte, unweit des Ministry of Sound einen Appartementblock zu errichten, funkte der Londoner Bürgermeister Boris Johnson persönlich dazwischen. Bei einer Bürgerversammlung, die November 2013 zusammengerufen worden war, um die Streitigkeiten beizulegen, teilte Johnson in einer Ansprache eine Anekdote darüber, wie er „mit Ulrika Jonsson [in dem Club] emal eine Flotte Sohle auf’s Parkett gelegt“ hatte. Vielleicht hat diese eine magische Nacht in den heiligen Hallen gereicht, ihn zu überzeugen—einen Monat später wurde das Bauvorhaben zwar genehmigt, allerdings unter der Bedingung, dass die Wohnungen mit entsprechendem Klangschutz ausgestattet werden.

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Ein Werbefilm des Ministry of Sound aus den 90ern und die wahrscheinlich authentischste Nachstellung von Boris Johnsons Besuch in dem Club.

Auch wenn das Ministry aus der Geschichte siegreich hervorgegangen war, warf die Einmischung von Oben dann doch einige Fragen bezüglich der Transparenz solcher Deals auf. Bezeichnenderweise schuf diese Entscheidung auch keinen Präzedenzfall für ähnliche Streitigkeiten. Kleineren Clubs, wie dem Egg in King’s Cross, war es nicht möglich, sich ähnliche Zugeständnisse zu sichern, obwohl in dem Fall die Wohnbebauung keinen Steinwurf vom eigenen Eingangsbereich entfernt angelegt wurde. Wie es aussieht, können lediglich die Clubs, die sich dank entsprechender Ressourcen zur Wehr setzen können, auch friedlich mit den Stadterneuerungsplänen koexistieren.

§

VORBILD AMSTERDAM

Es gibt auf dem europäischen Festland jedoch zwei Städte, die vielleicht eine Antwort auf die momentane Misere im Vereinigten Königreich parat haben. In Amsterdam hat Mirik Milan die Position des ‚Nachtburgemeester’ inne. Die freiwillige und unbezahlte Stelle wurde 2003 durch den Stadtrat ins Leben gerufen. Milan, der 2013 gewählt worden war, ist der mittlerweile fünfte Amtsinhaber. Wie der Titel schon andeutet, fungiert der Träger als Repräsentant für Amsterdams Nachtleben. „Ich berate den Bürgermeister bezüglich der Regelungen und Vorschriften für Bars und Clubs, weil [die Regierung] zwar weiß, was allgemein in der Stadt vor sich geht, aber keinen blassen Schimmer vom Nachtleben hat“, so Milan. Eine der bislang größten Errungenschaften war die Sicherung von 24-Stunden Lizenzen für zehn Clubs der Stadt—darunter Trouw, Overkant und Westerpark.

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Auch wenn es sich dabei um einen offiziellen Posten handelt, ist Milan durch seine nicht vorhandene Entscheidungsgewalt stark vom politischen Tagesgeschäft abhängig. Glücklicherweise hat sich der momentan amtierende Bürgermeister Amsterdams, Eberhard van der Laan, in vielen Fällen als Unterstützer von Milan bewiesen. Ein paar Kilometer weiter westlich, in Paris, erfährt der dortige Nachtbürgermeister, Clément Léon, keine Anerkennung durch den Stadtrat. Léon, der 2013 durch einen Online-Poll in sein Amt gewählt worden war, zeigte sich zu Beginn vorsichtig optimistisch, mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zusammenzuarbeiten, nachdem diese immerhin die Benennung eines Repräsentanten für das Nachtleben in ihr Wahlprogramm aufgenommen hatte. Seit sie allerdings 2014 ihr Amt angetreten hat, fühlt sich Léon immer mehr an den Rand geschoben. „Sie unterstützt mich nicht. Wenn ich gehört werden will, muss ich das durch Proteste und Boykotts machen“, sagt er.

Der Nachtbürgermeister von Paris, Clément Léon (links) und der Nachtbürgermeister von Amsterdam Mirik Milan (rechts).

Selbst in Amsterdam gibt es keine Absicherung dafür, dass auch die Nachfolgebürgermeister das Amt unterstützen werden. Sowohl Léon als auch Milan sind dazu entschlossen, mit jedem Bürgermeisterkandidaten, ungeachtet der Parteizugehörigkeit, zusammenzuarbeiten. „Wir kommen aus dem Nachtleben und sind keine Politiker, jedenfalls jetzt noch nicht“, so Milan. Nichtsdestotrotz musste Milan der momentanen Regierung auch ein paar Zugeständnisse machen. Er spricht von der Idee, illegale Raves mithilfe einer speziellen „Erlaubnis für nichtkommerzielle Raves“ zu regulieren. Dadurch würde die Teilnehmerzahl auf höchstens 300 Personen beschränkt und jede Form von Online-Werbung verboten werden. Milan gibt zu, dass diese Konditionen vor allem die Betreiber schützen sollen—vor ungewollter Konkurrenz—und der Polizei mehr Kontrolle über das Nachtleben zu geben, die damit dann letztendlich auch die Clubkultur weiter einschränken kann.

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VORBILD BERLIN

Eine Alternative zum Modell des Nachtbürgermeisters wäre es, die Clubs sich einfach selber repräsentieren zu lassen. In Berlin vereint die Club Commission 125 Clubbesitzer und Veranstalter unter einem Dach. „Wenn in der Vergangenheit einzelne Clubs versucht haben, der Regierung gegenüber Bedenken zu bestimmten Vorhaben zu äußern, wurde ihnen immer gesagt, dass man nicht mit Individuen, sondern nur mit Organisationen verhandeln würde. Also haben wir uns organisiert“, sagt Lutz Leichsenring, der Pressesprecher der Club Commission.

Ähnlich wie in London verändern steigende Mieten und Grundstückspreise auch die deutsche Hauptstadt und treiben immer mehr Clubs aus den zentralen Bezirken. In den letzten fünf Jahren mussten zwanzig Clubs schließen und laut Commission werden in Zukunft noch viele weitere folgen. Kein Wunder also, dass das Clubsterben in Berlin ein großes Thema ist. „In gewisser Weise ist es, wie ein Feuer zu löschen: Wenn man versucht, einen Club zu retten ist es in der Regel schon zu spät“, so Leichsenring. „Eine echte Veränderung können wir eigentlich nur herbeiführen, wenn wir die die Stadtplaner davon überzeugen, dass siche jede weitere Clubschließung negativ auf den Tourismus auswirken wird.“

Eine Demonstration gegen Gentrifizierung, Berlin 2014.

Auch wenn manche Clubs weiterhin von einer Schließung bedroht sind, hat Berlins Regierung immerhin jährlich 1,5 Millionen Euro bereitgestellt, um die Undergroundszene zu unterstützen—insgesamt lässt sich die Stadt ihre Kulturlandschaft im Jahr fast eine Milliarde Euro kosten. Es gibt wenige Städte, die Vergleichbares anbieten können. Immerhin stellte die Stadt London durch das Arts Council für den Zeitraum 2013 - 2014 fast 273 Millionen Euro bereit, wobei zwei Drittel der Förderungen an Opern und Konzerthäuser gingen—Clubprojekte mussten sich mit einem kleinen Bruchteil zufrieden stellen. In Berlin wird anders selektiert. Katja Lucker, die Leitern des Musicboards Berlin—der Organisation, die das Geld aus der Kulturförderung verteilt—erklärt: „Größere Clubs unterstützen wir nicht direkt—Institutionen wie das Berghain oder das Watergate bekommen von uns zum Beispiel kein Geld. Stattdessen unterstützen wir mehrheitlich Events, die in kleineren Clubs stattfinden.“ So vermeidet das Musicboard, dass öffentliche Gelder an privatgeführte Lokale gehen und sorgt trotzdem dafür, dass die vielfältige Musikszene der Stadt am Leben gehalten wird.

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Die Förderung kann aber auch nicht alle Probleme lösen. Zuerst einmal ändert sie nichts an dem immensen Einfluss der Gentrifizierung und der damit einhergehenden Zähmung des Nachtlebens. „Es ist schon sehr viel, um was sich eine Organisation hier kümmern muss“, gibt Lucker zu. „Wir versuchen sowohl den Einwohnern, als auch den Regierenden zu zeigen, wie wichtig eine attraktive Clublandschaft für die Stadt ist. Kultur besteht nicht nur aus Theatern und Opernhäusern.“

M.E.S.H. ist einer der Producer, der Unterstützung durch das Berliner Musicboard erhält.

§

Eine frühe Version von ClubScan.

In Großbritannien wurde die Club- und Dance-Szene bislang immer mehr als öffentliches Ärgernis und weniger als ernstzunehmende Kultur wahrgenommen. Zusammenschlüsse von Clubs sind meist halbherzig organisiert worden und sie haben nicht immer die redlichsten Ziele. Nicht nur für Clubgänger steht einiges auf dem Spiel. Auch den Angestellten im Nachtleben ist jahrelang ein Mitspracherecht verwehrt worden und die Lage könnte sich für sie noch verschlechtern, wenn die Etablissements ihre ganze Macht in einer einzigen Institution bündeln. Eine Studie der KPMG aus dem letzten Jahr hat gezeigt Untersuchungen haben letztes Jahr gezeigt, dass die Einnahmen bei 90% des Barpersonals in Großbritannienunter dem Existenzminimum liegen. Weder die Betreiber, noch die Repräsentanten von Nachtclubs, mit denen ich gesprochen habe, schienen ein wirklich zufriedenstellendes Modell für eine faire Behandlung aller Beteiligten liefern zu können. Gleichermaßen schien kaum jemand eine konkrete Lösung dafür zu haben, wie man den tiefverwurzelten Problemen Herr werden kann, die momentan so viele Clubs in Europa zwingen, ihre Pforten zu schließen—vor allem in Städten wie London und Berlin, die heutzutage durch die steigenden Mietpreise massiv umgestaltet werden.
Angestellte in einem Nachtclub. 2014 verdiente das Barpersonal durchschnittlich 6,57 Pfund die Stunde.

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Auch wenn man wahrscheinlich am liebsten so viele Etablissements wie möglich schützen möchte, kann Stillstand für eine Kulturlandschaft fast so erstickend sein, wie der Verlust eines altgedienten Clubs. Wie mir einer der Gründer von Liverpools The Kazimier sagte: „Ich finde nicht, dass Clubs für immer existieren sollten. Ich finde es aufregend, dass Clubs einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Wir wollen allerdings schon ein bisschen Kontrolle über unser eigenes Schicksal haben.“

Was uns mehr Sorgen bereiten sollte, sind Einschränkungen, die die Szene davon abhalten, sich neu auszurichten. Wenn uns Clubschließungen etwas gelehrt haben, dann dass daraus unglaublich populäre Protestbewegungen hervorgehen können. Es könnte vieles erreicht werden, wenn einiges von der Energie, die in den Kämpfen, die die Clubszene als solche ständig kämpfen muss, umgeleitet werden könnte. 2015 geht der Ausverkauf von elektronischer Musik in riesen Schritten voran, die milliardenschwere EDM-Industrie wächst weiter an, Clubs richten sich zunehmend an einer kaufkräftigen Minderheit aus und die Top 100 des DJ Mags ähneln immer mehr der Reichenliste des Forbes Magazins. Gleichzeitig haben es Frauen, Ausländer und die LGBT-Community immer noch schwer, einen Fuß in die Szene zu kriegen. Mit der Konzentration auf einzelne Verluste riskieren wir, die tieferliegenden Probleme zu übersehen, die zu einer Standardisierung, Segregation und Privatisierung der Szene im Großen und Ganzen führen. Statt einzelnen Clubs nachzutrauern müssen wir ganz allgemein für unser Recht auf Party kämpfen—heute mehr denn je.

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Dieser Artikel erschien vorab auf Thump.

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