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Wie ich einmal darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich sexistische Scheiße geschrieben habe

Ein Text von uns wurde als chauvinistisch kritisiert. Mit Recht.

Foto: Sander Baks/Eurosonic

Als Journalist, und insbesondere als Autor bei VICE, lernt man eigentlich recht schnell, auch harte und persönliche Kritik nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Aber manchmal gibt es dann doch Dinge, die einen treffen und zum Nachdenken bringen. Gestern zum Beispiel. Als ich nach 9 Stunden im Büro nachhause kam, bemerkte ich, dass ich mich bereits seit einigen Stunden unbemerkt einer Sache ausgesetzt fand, die normale Menschen als Kritik, Journalisten beim profil wohl als „Shitstorm“ bezeichnen würden.

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Auf dem österreichischen Musikblog Walzerkönig erschien ein Text, der sich mit der Art und Weise beschäftigte, wie männliche Musikjournalisten Konzerte von Frauenbands besprechen. Darin war ich als negatives Beispiel für chauvinistische Schreibe aufgeführt. Also nicht ich persönlich, aber einer meiner Tagebuch-Einträge, die ich während des Eurosonics geschrieben habe. Das ist auf mehreren Ebenen extrem unangenehm. Auf der professionellen, weil das natürlich keine Art ist, von der ich mir wünsche, dass das Medium, das ich als Chefredakteur leite, gesehen wird. Und natürlich auf der persönlichen: Solche Vorwürfe hört niemand gern. Vor allem, wenn sie im angeführten Fall größtenteils richtig sind.

Grundsätzlich würde ich mich nicht als Sexisten beschreiben. Aber es wäre falsch zu glauben, dass man deshalb immun gegen sexistische Gedanken wäre. Wer das denkt, der glaubt auch, dass Karikaturen im Falter nicht rassistisch sein können, eben weil sie im Falter erscheinen. Dahinter steckt eine blödsinnnige, dichothome Denke. Fast jeder hat mal sexistische, rassistische oder anderweitig zu verurteilende Gedanken. Das macht einen noch nicht zum schlechten Menschen. Wichtig ist nur, diese zu erkennen und zu reflektieren.

Also, was war konkret passiert? Beim Eurosonic hatte die Band Hinds (fna Deers), die aus vier knapp 18-jährigen Spanierinnen besteht, einen anfangs relativ katastrophalen Auftritt. Der Sound stimmte hinten und vorne nicht, alles übersteuerte. Es war sehr unangenehm und die Band konnte einem leidtun. Das war der Satz, der sich in meiner Kurz-Review darüber fand:

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Ein Satz, über den ich im Vorfeld mehrfach drübergelesen habe, ohne zu merken, was daran eigentlich problematisch ist. Astrid Exner vom Walzerkönig weist aber völlig richtig auf Folgendes hin:

Man kann jetzt natürlich anführen, dass das Format Festivaltagebuch für achtlose Fehler prädistiniert ist, weil es meistens zwischen Tür und Angel (und verkatert) produziert wird. Aber es gibt da nichts zu relativieren. Der Satz reproduziert Stereotype, ist unnötig und scheiße. Punkt. Sowas sollte nicht passieren, auch wenn es das leider immer wieder tut. Vor allem im Musikjournalismus. Der ist leider noch immer eine Männerdomäne, in der Männer zu oft zusammenstehen, trinken, (vermeintlich) männliche Witze machen und danach (vermeintlich) männliche Dinge schreiben. Es fallen Worte wie „Mädchenmusik“ oder „Muschihouse“. Bei letzterem gab es zumindest eine Debatte, als die Kollegen von The Gap letztes Jahr den Begriff benutzt haben. Dementsprechend ist es gut und wichtig, dass uns Herren da öfter mal jemand reingrätscht. Auch wenn es in diesem Fall mich persönlich trifft.

Wenn ich klug wäre, würde ich den Text jetzt hier beenden, um jegliche Missverständnisse auszuschließen. Aber das bin ich leider nicht. Alles, was ich von jetzt an schreibe, kann als ABER missinterpretiert werden. Das soll es aber kein Aber sein. Nochmal: Es gibt nichts zu relativieren. Ich habe mir nur seit gestern wirklich sehr viele Gedanken gemacht, die ich gerne teilen möchte.

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Ich glaube immer noch, dass in dem konkreten Fall beide Seiten überfordert waren. Die Band durch falsche Eingaben (kein Vorwurf an 18-jährige), aber eben auch die Crew der (männlichen) Soundtechniker. Ich kann mich selbstverständlich irren: Auch die hauptberuflichen Soundtechniker im Publikum waren sich nicht einig, wem da jetzt die Schuld zu geben ist. Was mir allerdings zu denken gab, war die Tatsache, dass diese Textpassage aus diesem Stück vom geschätzten Kollegen Pausch als positives Gegenbeispiel angeführt wird:

Ist es geschlechtssensibel und feministisch, den Männern die Schuld zu geben? Und sexistisch, die Frauen in der Verantwortung zu sehen? Was hier wie eine bösartige, rhetorische Frage klingt, ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheint. Wir begeben uns hier auf das schlüpfriges Terrain zwischen Feminismus und dem, was man gemeinhin Post-Feminismus nennt. Und zu der Frage, ob wir uns double standards erlauben.

Das berührt auch den zweiten Punkt, der in dem Blogbeitrag kritisiert wurde: Die Beschreibung von Hinds als „hübsch“. Ich könnte darauf hinweisen, dass ich dasselbe am nächsten Tag auch über die Männerband Years & Years geschrieben habe. Und dass sogar die Walzerkönige selbst das getan haben. Das Aussehen von Männern bewerten zu dürfen, von Frauen aber nicht, ist selbstverständlich ein double standard. Aber es gibt gute Argumente, diesen anzulegen. In Männerdomänen ist es eben nicht egal, ob ich meinen Blick gerade auf Teile der Mehrheit oder der marginalsierten Gruppe werfe. Erst gestern hab ich mit einer Kollegin über einen Text einer weiblichen Autorin auf nzz.at geredet, die dabei folgenden Satz gesagt hat: „Ich fand den Text richtig schlecht. Aber ich werd einen Teufel tun und jetzt auf eine der wenigen Frauen losgehen, die diese Männertruppe hat.“

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Diese Haltung ist nicht unproblematisch, aber nachvollziehbar und wahrscheinlich richtig. Jetzt springen wieder von allen Seiten Leute heraus und erzählen etwas von „Quotenfrauen“ und Gleichberechtigung. Diese Argumente sind alle richtig. Halt genauso richtig wie ihre Gegenargumente. Das sind Widersprüche, die moderne Gesellschaften aushalten müssen. Ich würde soweit gehen zu sagen: Die Fähigkeit zur Heuchelei macht moderne Geselllschaften erst möglich. Ich glaube nicht an vollkommen richtige Antworten in dieser Frage. Wenn sie jemand kennt: Bitte an mich schicken, ich leite sie dann an die Welt weiter.

Was bleibt noch zu sagen? Vielleicht zwei kurze Dinge.

Erstens: Ich weiß, das war jetzt wieder serious mansplaining. Ist auch scheiße, und ich hab kurz überlegt einfach zu schweigen. Aber wenn ich angegriffen werde, habe ich mich dann doch im Recht gesehen, mich zu äußern.

Zweitens: Ich möchte mich hier schützend vor mein Medium stellen. Seit unserem Launch im März haben wir den Sexismus der Club-, Festival und Musikszene in mehreren Texten kritisiert. Hier zum Beispiel. Oder hier. Oder hier. Dass es jetzt uns trifft, zeigt für mich gerade den Punkt, den ich oben beschriebe haben. Dass sexistische Gedanken auch in den Leuten schlummern, die ich spontan eher auf der guten Seite sehen würde. Ich bin übrigens sehr froh, dass mich seit Anfang Jänner Isabella Khom als Halbtagskraft und Nicole Schöndorfer und Lisa Schneider als regelmäßige freie Autorinnen unterstützen. Das bricht das beschissene Männermonopol im Musikjournalismus nicht. Aber jeder Schritt in die richtige Richtung ist positiv.

Ihr könnt Jonas nicht nur auf eurem Blog kritisieren, sondern auch auf Twitter: @L4ndvogt

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